Ausverkauf eines Mythos
13. April 2003Vor dem Auktionshaus Drouot-Richelieu verteilten Demonstranten vergangene Woche 10-Euro-Scheine mit dem Portrait Bretons. Darauf stand: "Euer Geld stinkt nach dem Kadaver des Poeten". Die Menge johlte: "Erste, zweite, dritte Generation, wir sind alle Kinder von André Breton". Die Ordner stemmten sich mühsam gegen die wütenden Menschen, drinnen wurden immer wieder Flugblätter geworfen.
"Die Versteigerung ist eine Schande"
Die Auktion, die bis zum 17. April 2003 dauert, hat bereits im Vorfeld für Aufregung gesorgt. Seit Anfang des Jahres versuchen Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle mit Protestschreiben und Appellen die Versteigerung zu verhindern. Ihr Ziel: die Bewahrung einer der bedeutendsten Privatsammlungen surrealistischer Kunstschätze.
"André Breton: Nein, wir lassen Dich nicht verramschen", stand auf dem öffentlichen Brief, den die Demonstranten am 10. März anlässlich eines Treffens mit Jean-Jacques Aillagon, dem französischen Kulturminister, verteilten. Schon zuvor hatten sie in einer Petition gefordert: "Erstens wollen wir, dass die französischen Kulturbehörden verhindern, dass die Sammlung Frankreich verlässt, zweitens wollen wir, dass der Staat durch ein Vorkaufsrecht Teile der Sammlung erwirbt." Doch der Staat blieb untätig.
Von einem Ansturm hinweggefegt
3400 Unterschriften wurden gesammelt. Alles umsonst. Ebenso der Rettungsversuch von Bretons Witwe Elisa im Jahre 1989. Sie hatte den damaligen Staatspräsidenten François Mitterrand, dem ein Faible für surrealistische Kunst nachgesagt wurde, in die Wohnung Bretons gebeten – ohne greifbaren Erfolg. Der umtriebige frühere Kulturminister Jack Lang sagte seine Unterstützung zu - doch nichts geschah. "Da es nicht möglich war, die ganze Sammlung zu bewahren und angesichts des Desinteresses der öffentlichen Behörden, haben die Tochter und die Enkelin André Bretons beschlossen, diese Versteigerung zu organisieren", erklärte das Auktionshaus.
Sammler, Käufer, Kenner, Neugierige und Nostalgiker – mit und ohne Geld – durchstreifen nun die Auktionsräume. Die Popgrößen Madonna und Elton John oder Hollywood-Star Tom Hanks sollen an einigen Objekten interessiert sein, vermerkte die Zeitung "L'Express" naserümpfend. Nur noch wenige Tage sind die Mirós, Dalis, Picassos und andere Kostbarkeiten der Sammlung zu bewundern. Dann sind sie in alle Winde zerstreut. 4100 Stücke sollen einen Erlös von mindestens 30 Millionen Euro bringen.
Surrealismus zum Verkauf freigegeben
Zuerst werden Bretons Manuskripte und knapp 3500 Bücher versteigert, danach die Gemälde und Fotografien und schließlich seine Sammlung afrikanischer Kunst. Große Aufmerksamkeit werden bei den betuchten Kunstfreunden das Miro-Gemälde "Le Piège", René Magrittes "Die versteckte Frau" und Man Rays gerahmtes Glasobjekt "Unmöglichkeit – Tanzen" (Schätzpreis: 800.000 bis 1,2 Millionen Euro) finden. Zudem ein Diego Rivera, erworben 1938, als Breton nach Mexiko reiste.
Breton hat 1924 das "Manifest des Surrealismus" verfasst und die legendäre "Anthologie des schwarzen Humors". Jahrelang stand er im Mittelpunkt der Surrealisten-Bewegung, obwohl er sich durch doktrinäre Ansichten und seine polarisierende Art immer wieder Feinde machte. Er selbst war in erster Linie Schriftsteller und kein bildender Künstler. Dennoch verstand Breton es, Künstler in seinen Bann zu ziehen. Vor 37 Jahren ist der Gründervater, Theoretiker und unermüdliche Verkünder des Surrealismus verstorben, ohne ein Testament zu hinterlassen.
Epizentrum der avantgardistischen Kunstströmung
Der Sammler und Händler war mit vielen Künstlern – von Max Ernst bis Giorgio de Chirico – befreundet, die alle in seiner Pariser Atelierwohnung in der Nähe des Künstlerviertels Montmartre ein und aus gingen. 44 Jahre lang hatte der Surrealismus eine feste Adresse. Nun wird die noch originalgetreu bewahrte Wohnung in der Rue Fontaine, die mit all ihren Kunstschätzen einem Museum glich, aufgelöst.
Im Auktionshaus Drouot-Richelieu ist schon mancher Hammer gefallen, aber so einer noch nicht. Der Traum von einer Surrealismus-Stiftung oder einem Breton-Museum ist zu Ende.