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Autisten als wertvolle Spezialisten

Insa Wrede22. Mai 2013

Der deutsche Softwarekonzern SAP will 650 Autisten einstellen - Menschen, die gemeinhin als krank gelten. Dabei haben sie teilweise fantastische Fähigkeiten. Das weiß die junge Beratungsfirma Auticon schon lange.

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Asperger-Autisten, die bei Auticon als IT-Berater angestellt sind, bei der Arbeit am Computer (Foto: Auticon)
Bild: Auticon

Sie haben oft ein sehr gutes Fachwissen, sie können logisch und analytisch denken, sich gut konzentrieren - auch bei Aufgaben, die mehrmals wiederholt werden müssen. Sie sind detailverliebt, präzise und haben einen hohen Qualitätsanspruch. Man möchte meinen, Unternehmen würden sich nach solchen Arbeitnehmern die Finger lecken. Doch erst jetzt hat der Softwarekonzern SAP dieses Potenzial entdeckt. In Deutschland gibt es rund 250.000 Asperger-Autisten. Das ist eine milde Form des Autismus, bei dem die Betroffenen häufig die oben genannten Fähigkeiten haben. Und trotzdem werden sie vom Arbeitsamt meist als arbeitsunfähig eingestuft.

Nur 15 Prozent der Menschen mit Asperger-Syndrom haben eine normale Arbeit. Der Grund: Sie haben Probleme, sich in einem normalen sozialen Umfeld zu bewegen. Aber das verlangen die Unternehmen eben auch: Teamfähigkeit, Fingerspitzengefühl im Umgang mit anderen Menschen und Kommunikationsfähigkeit. Melanie Altrock, 26 Jahre alt, ist Asperger-Autistin. In der zwölften Klasse musste sie die Schule verlassen. Bis zum November des vergangenen Jahres war sie auf der Suche nach einer Ausbildung.

Dirk Müller-Remus, Firmengründer von Auticon (Foto: Auticon)
Hat Freude an der Arbeit mit anders denkenden Menschen: Dirk Müller-RemusBild: Auticon

"An den Noten lag es nicht"

"Beworben habe ich mich oft genug, bin aber nie genommen worden. Ich habe versucht, eine Ausbildungsstelle zu finden. Dann kamen das übliche Hartz-IV-Dilemma und Ein-Euro Jobs", erzählt Altrock. "An den Noten lag es definitiv nicht, das hat man mir oft genug gesagt", sagt sie. "Mein Psychiater hat mir erklärt, er würde mich auch nicht einstellen, wenn ich zu einem Vorstellungsgespräch käme. Man sieht es mir halt einfach an, dass ich anders bin und dass ich nicht so ticke, wie das allgemein in der Arbeitswelt erwartet wird."

Seit Anfang November hat Melanie Altrock nun doch ihre Chance im Berufsleben bekommen. Bei Auticon, einer Berliner Beratungsfirma, ist sie als Junior-Berater angestellt - zu marktüblichem Gehalt. Auticon vermittelt Asperger-Autisten als IT-Berater an Unternehmen. Gegründet wurde die Firma Auticon vor rund einem Jahr von Dirk Müller-Remus, der dafür seinen Vorstandsposten in einem Medizintechnik-Unternehmen aufgegeben hat.

"Der Umschwung kam dadurch, dass ich einen Sohn mit dem Asperger-Syndrom habe", so Müller-Remus. Sein Sohn sei fast komplett unfähig, seinen Alltag zu bewältigen, aber er habe auch enorme Fähigkeiten und Begabungen. Für Müller-Remus war es kaum vorstellbar, dass sein Sohn einmal einen ganz normalen Beruf ausüben könnte. "Da lag die Idee nahe, ein Unternehmen zu gründen, das auf den Stärken von Autisten aufbaut."

Gut im Qualitätsmanagement

Die Stärken vieler Asperger-Autisten liegen insbesondere im Qualitätsmanagement, erklärt Müller-Remus. Sie könnten oft sehr strukturiert, analytisch und logisch denken. Und da es eine große Nachfrage nach Software-Testern gibt, hat sich sein IT-Beratungsunternehmen darauf spezialisiert, Asperger-Autisten für diese Aufgaben zu schulen und an Unternehmen zu vermitteln. Dabei baut Auticon auf dem schon vorhandenen Fachwissen der Bewerber auf. Viele der Asperger-Autisten haben sich autodidaktisch einiges über IT beigebracht. So auch Melanie Altrock. "Seit ich acht bin, beschäftige ich mich mit Computer-Problemen, mit Programmieren, Hardware, Software und Logik im Allgemeinen. Alles was so mit Logik und Algorithmen zu tun hat, das ist mein Grundtalent, das kann ich richtig gut", sagt sie.

Damit die IT-Berater nicht am normalen Arbeitsumfeld scheitern, stellt ihnen Auticon sogenannte Job-Coaches zur Seite. Eine von ihnen ist Elke Seng. Sie findet in einer Einführungsphase heraus, welches Umfeld jeder Mitarbeiter braucht, welche Beleuchtung richtig ist, welche Geräusche nicht da sein dürfen, wo der Arbeitstisch stehen muss, ob es kühl oder warm sein sollte. Wenn die Berater dann in den Unternehmen eingesetzt werden, kümmert sie sich um die richtige Gestaltung des Arbeitsplatzes und redet auch mit den anderen Mitarbeitern und den Chefs über die Besonderheiten der Asperger-Autisten. "Viele haben Angst vor Autisten und denken, da kann man was falsch oder kaputtmachen", sagt sie. "Wir müssen einfach die Firmen vorher gut und offen informieren, dass da jemand kommt, der anders ist und was konkret anders ist", so Müller-Remus. "Und wie die Kommunikation mit dem jeweiligen Mitarbeiter klappt."

Elke Seng, Job-Coach bei Auticon (Foto: Auticon)
Viele der Mitarbeiter von Elke Seng blühen in kürzester Zeit aufBild: Auticon

Expansion geplant

In Berlin hat Auticon inzwischen sieben Berater fest angestellt, am Standort Düsseldorf, der in Zusammenarbeit mit Vodafone aufgebaut wurde, sind es vier Berater. Und bis zum Sommer ist ein dritter Standort in München geplant - mit fünf festen Beratern. Während es in anderen Ländern schon ähnliche Unternehmen gibt, ist Auticon das erste in Deutschland, das Asperger-Autisten an Unternehmen vermittelt.

Der Sohn von Müller-Remus profitiert bislang noch nicht von dem Unternehmen seines Vaters, denn seine Stärken liegen im musikalischen Bereich. Nach Erhebungen interessierten sich nur etwa 15 Prozent aller Asperger-Autisten für das Thema IT, sagt Müller-Remus. Daher überlege er, das Leistungsportfolio von Auticon rund um das Thema Qualitätsmanagement nach und nach zu erweitern. So dass am Ende auch Mitarbeiter akquiriert werden könnten, die dann beispielsweise im Bereich Sprachen oder Musik ihre Stärken haben.

Für die deutsche Wirtschaft hieße das, ein großes brachliegendes Potential zu nutzen, für den Sozialstaat, eine geringere Belastung durch Arbeitslosenunterstützung zu haben. Und die Betroffenen? "Ich habe sehr traurige und sehr erschütternde Biographien gehört und gelesen", erzählt Elke Seng. "Für viele, das sagen sie auch selber, ist es die letzte oder einzige Chance, die sie bisher überhaupt auf dem Arbeitsmarkt hatten." Bei Auticon würden sie innerhalb kürzester Zeit so sehr aufblühen, so Seng. "Neulich sagte einer der neuen Mitarbeiter zu mir, Frau Seng, ich hatte eigentlich noch einen Termin beim Psychiater, aber ich muss da jetzt gar nicht mehr hin, seit dem ich hier bin, geht es mir richtig gut."

Dieser Artikel ist eine aktualisierte Version des Beitrages vom 03.12.2012.