"Der Kampf gegen den Terror hat keine Deadline"
18. September 2015DW: Herr Habila, seit Mai hat Nigeria einen neuen, demokratisch gewählten Präsidenten: Muhammadu Buhari. Er selbst hat große Veränderungen angekündigt und Beobachter loben seine Pläne zur Bekämpfung der Korruption. Glauben Sie, dass er Erfolg haben wird?
Helon Habila: Ich glaube, dass Buhari ernsthafte Absichten hat. Wir sehen das an seiner Körpersprache und an seinen politischen Zielen. Es ist ohnehin ein Wunder, dass er nach drei erfolglosen Kandidaturen nun überhaupt gewählt wurde. Allein das zeigt seine Entschlossenheit. Er will für Ordnung sorgen in Nigeria. Wird er dabei erfolgreich sein? Ich würde sagen: So weit, so gut. Er versucht den Menschen zu vermitteln, dass wir nicht einfach weitermachen können wie bisher. Nigeria ist korrupt. Es werden Milliarden unterschlagen, als sei es das Normalste der Welt. Aber die Bevölkerung leidet darunter: Krankenhäuser, Universitäten, die Polizei, all das funktioniert nicht aufgrund der Korruption. Doch die Menschen sehen diesen Zusammenhang nicht. Der Grund, weshalb entwickelte Länder funktionieren, ist das Gesetz. Wenn der amerikanische Präsident einen Dollar stiehlt und dabei erwischt wird, muss er ins Gefängnis. Doch in Nigeria scheinen einige Leute über dem Gesetz zu stehen. Die Polizei nimmt sie nicht fest, Richter verurteilen sie nicht. Buhari sagt: Wenn wir als Nation eine Zukunft haben wollen, dann müssen wir das stoppen. Natürlich wird er dabei nicht perfekt sein, auch er hat Fehler.
In den letzten Monaten gab es große Fortschritte im Kampf gegen die Terrormiliz Boko Haram. Präsident Buhari hat dem Thema höchste Priorität eingeräumt. Wird die physische Zerschlagung von Boko Haram auch das Ende des Terrorismus in Nigeria bedeuten?
Mir gefällt nicht, wie Buhari über den Kampf gegen den Terror spricht. Er sagt, dass die Terroristen in einer bestimmten Anzahl von Monaten besiegt sein werden. Das ist naiv. Der Kampf gegen den Terror hat keine Deadline. Selbst wenn die Attentate, Entführungen und Morde aufhören sollten, müssen ganze Heerscharen an Kämpfern resozialisiert werden. Warum haben sich diese Menschen überhaupt Boko Haram angeschlossen? Junge Leute in Nordnigeria sitzen zu Hause herum, arbeitslos, ohne Bildung, ohne Perspektive. Boko Haram gibt ihnen Arbeit und Geld. Ein mittelloser, junger Mensch wird für ein bisschen Geld alles tun. Ich glaube, es geht hier vor allem um Bildung. Boko Haram muss in den Köpfen dieser jungen Menschen besiegt werden - nicht nur auf dem Schlachtfeld. Mangelnde Bildung ist ein Problem in ganz Nordnigeria. Meiner Meinung nach wird der Kampf gegen Boko Haram nicht in fünf oder sechs Monaten enden, selbst wenn dann die Anschläge und Entführungen aufhören sollten. Der wahre Kampf ist der um die Köpfe und Herzen der jungen Soldaten von Boko Haram.
Was sind Ihre Erwartungen für das kommende Jahr in Nigeria?
Es wird schwieriger als alles, was wir bisher gesehen haben. Es ist immer eine große Herausforderung, etwas Neues zu versuchen. Die meisten Nigerianer würden vermutlich lieber einfach so weitermachen wie bisher, auf die korrupte Art. Stromknappheit, Kriminalität, Entführungen - das kennt man, das gab es schon immer. Wenn neue Maßnahmen eingeführt werden, Untersuchungen durchgeführt und Kriminelle zur Rechenschaft gezogen werden, dann wird das bei vielen Leuten Unbehagen auslösen. Kriminalität und Korruption sind in Nigeria Alltag. Die Menschen werden orientierungslos, wenn all das in Frage gestellt wird. Doch wir müssen diese Schmerzgrenze überwinden, wenn wir als Nation überleben wollen.
Das Interview führte Pinado Abdu anlässlich der Veranstaltungsreihe "Visions 2030. Authors and Scientists on the Future of Cities" in Berlin.
Helon Habila ist ein nigerianischer Schriftsteller und Universitätsdozent. Er wurde in Gombe State im Norden Nigerias geboren. Seit 2001 lebt Habila mit seiner Familie in den USA.