Bachelor mit Baby
8. März 2010Wenn sie heute studieren würde, hätte sie ihre wissenschaftliche Karriere vermutlich ruiniert. Ein Kind kam im zweiten Semester, die Eltern viele Kilometer entfernt, der Vater bei der Armee. "Damals hat mir mein Professor Mut gemacht, weiter zu studieren", erzählt Uta Meier-Gräwe. "Er meinte, mit einem Krippenplatz sei das doch zu organisieren, und er hatte Recht."
Mit 25 Jahren promovierte Meier-Gräwe. Heute ist sie Professorin für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft in Gießen. "Natürlich musste ich diszipliniert und gut organisiert sein, um mein Studium mit Kind zu schaffen", erinnert sich die Professorin. Aber damals in Ost-Berlin sei es einfach gewesen, Kind und Studium miteinander zu vereinbaren, denn viele Studenten waren bereits Eltern.
Kinder - Stolperstein für die Karriere
Heute ist die Situation anders. Nach einer Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks in Berlin haben derzeit sieben Prozent der Studenten an deutschen Hochschulen Kinder – davon erziehen 15 Prozent ihr Kind alleine. Ihr Studium verläuft in der Regel weniger reibungslos als das ihrer kinderlosen Kommilitonen. Kein Wunder, dass sie es viermal häufiger unterbrechen und zwar im Schnitt für rund fünf Semester. Mehr als die Hälfte der studentischen Eltern hat nebenbei noch einen Job, denn Familie kostet Geld.
All das macht vielen Studierenden in Deutschland keinen Mut, bereits in jungen Jahren mit der Familiengründung zu beginnen. Zumal spätere Arbeitgeber keineswegs verständnisvoll auf ein längeres Studium reagieren. Völlig zu unrecht, meint Meier-Gräwe. "Wer es in Deutschland schafft, Universität und Kinder unter einen Hut zu bringen, ist ein Organisationstalent", betont die Professorin. "Und eigentlich bestens für die hochflexiblen Anforderungen im heutigen Berufsalltag gerüstet."
Ohne Kinderbetreuung läuft nichts
Die Giessener Professorin muss es wissen, denn sie hat sich in einer vierjährigen Studie ausführlich mit den studentischen Eltern beschäftigt und Rahmenbedingungen für ein familienfreundliches Studium in Gießen entwickelt. Sie sollen auch für andere Universitäten Modellcharakter haben. "Ganz entscheidend für die Vereinbarkeit von Studium und Familie ist ein flexibles und qualitativ gutes Betreuungsangebot", sagt Meier-Gräwe.
In Gießen etwa wurde mit finanzieller Unterstützung einer Stiftung ein bespielhaftes Tagesmütternetzwerk aufgebaut. Der Betriebskindergarten der Universität nimmt schon Kinder unter drei Jahren auf und bietet längere Öffnungszeiten an. Es gibt eine besondere Beratungsstelle für studierende Eltern, die auch bei der Vermittlung einer Betreuung hilft. Außerdem wurde die Anwesenheitspflicht in Vorlesungen und Seminaren gelockert. "Wenn das Kind krank ist, können die Eltern mit Attest zuhause bleiben", sagt die Professorin.
Internationales Schlusslicht
Doch nicht nur in Gießen bemüht sich die Universität um eine kinderfreundliche Atmosphäre. Insgesamt 93 Hochschulen in Deutschland beteiligen sich derzeit am sogenannten "Audit familiengerechte Hochschule" des Bundesfamilienministeriums und bemühen sich gemeinsam mit den Studentenwerken darum, mehr Kinderbetreuungsplätze anzubieten und die Studienorganisation flexibler zu gestalten. "Wir sind hier sicherlich auf einem guten Weg", erklärt Meier-Gräwe. "Aber es bleibt noch viel zu tun."
Denn international gesehen haben Deutschlands Hochschulen in Sachen Familienfreundlichkeit noch stark aufzuholen. Während etwa in den nördlichen Staaten Europas rund 80 Prozent der akademischen Universitätsmitarbeiter Kinder hätten, seien es in Deutschland gerade einmal 20 Prozent, sagt die Professorin. "Hier muss ein Mentalitätswechsel stattfinden", fordert sie. Zumal die neuen Masterstudiengänge zunehmend auch für ältere Studierende interessant seien, die mit Berufserfahrung an die Universitäten kämen. "Und die haben in der Regel bereits Familie."
Autorin: Sabine Damaschke
Redaktion: Gaby Reucher