DW-Interview mit Sharon Dodua Otoo
7. Juli 2016Deutschland ist kein Neuland für die in London geborene Tochter ghanaischer Eltern. Sharon Dodua Otoo kam bereits 1992 als Au-Pair-Mädchen nach Hannover. Nun lebt sie seit über zehn Jahren in Berlin. Eines ihrer Schwerpunktthemen: die alltägliche Diskriminierung von Schwarzen in einer überwiegend weißen Gesellschaft. Die DW sprach mit Otoo über Fremdenfeindlichkeit, die Rolle des Rassismus in der Brexit-Debatte und über den - wie sie sagt - "glücklichen Zufall", dass sie gerade mit einem auf Deutsch geschriebenen Buch eine so begehrte Auszeichnung erhält.
DW: Warum sind Sie von London nach Deutschland gezogen?
Sharon Dodua Otoo: Um ehrlich zu sein: Schon seit langem habe ich eine Art Hass-Liebe für Deutschland empfunden. Die Art und Weise, wie die Menschen in Deutschland miteinander kommunizieren, kann einen ganz schön vor den Kopf stoßen. Sie haben keine Scheu, ihrem Gegenüber zu widersprechen. Die Menschen in Großbritannien hatte ich als vergleichsweise höflich in Erinnerung. Der Humor war dort etwas leichter. In Deutschland kann er doch recht beißend sein. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich in meinen Anfangsjahren hier oft verärgert war und mich schnell angegriffen fühlte.
Was ich hingegen schätzte, war eine gewisse Tiefe von Allgemeinwissen und ein echtes Bemühen, den Dingen auf den Grund zu gehen. Da gibt es den deutschen Ausdruck "Auseinanderestzung, sich mit was auseinandersetzen" - und ich glaube, so ein Wort gibt es auf Englisch nicht. Mein Eindruck ist, dass Gespräche in England manchmal eher auf einem oberflächlichen Niveau bleiben, während sie in Deutschland eher tiefschürfend sind. Diesen Umstand habe ich irgendwie schätzen gelernt, so dass ich mehr davon wollte.
Hat das auch Ihr Schreiben beeinflusst?
Ja. Es zwingt mich dazu, mein Denken zu schärfen. Ich fühle, dass ich hier wirklich eine Chance habe, weil die Menschen bereit sind, tiefer zu graben – obwohl die Deutschen auch dazu neigen, sich über alles mögliche zu streiten. Sie vertreten einen sehr klaren Standpunkt, doch wenn es einem gelingt, sie zu überzeugen, dann machen sie sich diese Meinungen zu eigen. Nur höchst selten schwanken sie unentschlossen hin und her.
Ich hatte das Gefühl, dass dieser Umstand eine Nische für mich darstellt, die Chance, möglichst viele Menschen zu erreichen. Ich überrasche und verwirre meine Leser gern oder bringe sie zum Lachen. Denn ich glaube, dass meine Botschaften auf diese Weise eindringlicher wirken und ich die Leser viel eher erreiche als mit polemischem Geschrei. Ich will hier keinesfalls politischen Aktivismus herabstufen. Aber ich glaube, dass die leisen, subtilen Töne auch ihre Vorzüge haben.
Haben Sie eine ganz bewusste Botschaft?
Ja. Ich würde jeden hinterfragen, der behauptet, Kunst zu schaffen, ohne eine Botschaft zu haben. Wir alle werden von den Gesellschaften beeinflusst, in denen wir leben, und wir haben wiederum auch einen Einfluss auf diese Gesellschaften, vor allem wir Künstler. In diesem Sinne gibt es aus meiner Sicht keine neutrale oder apolitische Kunst.
Ich bin mir über die Erfahrungen, die ich als Schwarze in einer überwiegend weißen Gesellschaft mache, bewusst. Und ich bin mir bewusst, dass ich einen besonderen Einfluss habe, den ich mit anderen Schwarzen teilen möchte. Es geht um Strategien, wie wir mit bestimmten Situationen umgehen können. Es geht aber auch darum, weißen Mitmenschen zu sagen: Schaut mal, so sieht die Lebenswirklichkeit für uns Schwarze aus.
Mir ist bewusst, dass ich als jemand mit britischem Pass gewisse Privilegien genieße, die andere Personen mit anderen Pässen - oder gar keinem Pass - nicht haben.
Wenn wir schon von britischen Pässen reden, was bedeutet der Brexit momentan für Sie?
Es ist wirklich interessant: Als ich noch jünger war, war es mir wichtig, als Britin wahrgenommen zu werden, weil ich mich nicht als typische Engländerin sah. Als ich nach Deutschland kam, fühlte ich mich jedoch sehr englisch, weil mir klar wurde, dass ich eine andere Sozialisation erlebt habe als Schotten oder Waliser. Jedenfalls wollte ich nicht alle diese Identitäten für mich selbst beanspruchen. Für mich war es sehr erstaunlich, von allen wieder als Britin gesehen zu werden.
Und nun diese Entscheidung, die EU zu verlassen. Ich wunderte mich, wie das überhaupt passieren konnte, und wann? Es ist ganz klar ein Sieg der Rassisten - von Leuten, die behaupteten, Großbritannien würde von Zuwanderern buchstäblich überrannt. Das hat funktioniert und ich war darüber sehr schockiert. Jetzt fühle ich mich definitiv als Britin. Ich will tun, was auch immer ich tun kann, um das Bewusstsein über die Gefahren von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in der britischen Gesellschaft zu stärken.
Ich glaube, dieses Phänomen ist nicht nur auf Großbritannien und Deutschland beschränkt. Es ist ein allgemeiner Trend in Europa und den Vereinigten Staaten, wo Politiker mit der Sichtweise punkten, dass Gesellschaften homogen seien, und dass wir uns vor dem jeweils Anderen schützen müssten. Und dieser "Andere" wird konstruiert. Zur Zeit wird vor allem eine bestimmte Wahrnehmung von Muslimen konstuiert, wobei völlig egal ist, ob die betreffenden Personen wirklich Muslime sind. Sie sind an allem schuld, angefangen von der fehlenden Emanzipation der Frau, bis hin zum Terrorismus. Das ist eine sehr gefährliche Gefühlslage. Wir wissen, wohin das führen kann, vor allem in Deutschland. Es schockiert mich, dass wir schon wieder auf dem selben Weg sind.
Wie ist es für Sie, in zwei Sprachen zu arbeiten? Wie entscheiden Sie, auf welcher Sprache Sie schreiben?
Ehrlich gesagt war es für mich eher ein Experiment, auf Deutsch zu schreiben. Ganz schnell kam ich zu dem Schluss, dass ich nicht auf Deutsch schreiben würde, weil ich mich nicht sicher genug fühlte. Ich finde, dass Deutsch sehr "eindeutig" ist, sehr klar. Es ist schwer, im Deutschen zu spielen. Auf Englisch geht das leichter, da gibt's mehr Raum für Wortspiele und grammatische Experimente, die englischsprachige Leser akzeptieren. Deutsche Leser achten mehr auf die Korrektheit der Grammatik und der Konnotation.
Im Falle meiner Geschichte "Herr Gröttrup setzt sich hin" entschied ich mich für Deutsch, weil das Thema eben so deutsch ist. Der Mann ist so deutsch, sein Name ist so deutsch, und alles, wofür er steht, ist ebenfalls deutsch.
Jedenfalls habe ich die Geschichte ursprünglich geschrieben, um verschiedene Sichtweisen aufzuzeigen. Dass es da diese Leute gibt, die mit nur einer Sichtweise durchs Leben gehen, ohne zu realisieren, dass es auch noch andere gibt, die sie annehmen könnten. Aber normalerweise schreibe ich nicht auf Deutsch, das war eher ein Zufall, der einfach so passierte.
Hat Sie die Auszeichung mit dem Bachmann-Preis überrascht?
Das hat sie wirklich. Ich dachte mein Text sei ein Außenseiter, weil er so anders ist als die anderen nominierten Beiträge. Das konnte nur in zwei Richtungen gehen: Entweder die Jury würde meinen Beitrag komplett ablehnen, oder eben als eine totale Neuigkeit ansehen. Natürlich freue ich mich riesig. Ich muss mich erst noch dran gewöhnen.
Ihr Sohn schrieb auf Twitter, er sei auf seinem Heimweg von der Zeremonie aufgrund seines Äußeren von der Polizei kontrolliert worden. Was bedeutet ein solcher Widerspruch für Sie - auf der einen Seite einen Preis für eine Arbeit gegen Diskriminierung zu erhalten, und gleichzeitig so etwas zu erleben?
Ich freue mich, dass Sie das fragen, denn ich versuche gerade selbst, mir einen Reim darauf zu machen. Darüber wird man noch reden müssen. Mein Sohn war ganz begeistert, als ich den Preis erhielt. Er war so stolz. Er hat alles gelesen, was ich geschrieben habe. Aber er hat in der Schule auch die Erfahrung gemacht, dass er total unterschätzt wird. Er muss ständig dagegen ankämpfen, dass manche Leute geringe Erwartungen an ihn haben und sein Potential nicht sehen.
Auf der Straße wird er als Schwarzer gesehen. Es gibt nur wenige positive Darstellungen von Schwarzen in den Medien, in der Werbung, in Filmen oder in der Literatur. Deshalb wird er von manchen Leuten nicht als der Sohn einer Bachmann-Preisträgerin gesehen, sondern als jemand, der ein Verbrechen begangen hat. Genau das ist offensichtlich passiert, als er sich auf dem Weg aus Österreich zurück nach Deutschland befand. Das Auto, in dem er mit seinem Freund fuhr, wurde angehalten, die Polizei wollte das Auto und das Gepäck durchsuchen. Es erscheint fast komisch, aber das ist der Alltag für viele Schwarze, die in überwiegend weißen Gesellschaften leben.
Was kommt als nächstes?
Urlaub. Gemeinsam mit Menschen, mit denen ich über alles reden kann. Und darüber nachdenken, was ich nun als nächstes machen möchte.