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Baden-Baden - in Russland ein Mythos

11. April 2014

Von Dostojewski bis Gergijew: Baden-Baden liebt seine Russen. Mit Sorge verfolgt es daher die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine. Denn die könnten sich auf den Tourismus der eigenen Stadt auswirken.

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Panoramablick auf Baden-Baden
Bild: Fotolia/g215

Baden-Baden hat neuerdings de facto zwei russische Partnerstädte: Sotschi und Jalta. Letztere liegt auf der Insel Krim. Die gehört zwar eigentlich zur Ukraine, ist aber seit kurzem von Russland annektiert. Im Badischen sieht man das ganz pragmatisch. Der Kurort liebt seine Russen. Mögliche Sanktionen gegen Russland oder eine Ausweitung der Reisebeschränkungen betrachtet man mit Sorge - die könnten den 50.000-Einwohner-Ort am Rande des Schwarzwalds empfindlich treffen. Aber darum geht es nur zum Teil. Schließlich waren es neben den Franzosen die Russen, die den Ort im 19. Jahrhundert zur Berühmtheit verhalfen: Damals weilten Dichter wie Fjodor Dostojewski, Iwan Turgenjew, Lew Tolstoi, Nikolai Gogol oder Wassili Schukowski in der Kurstadt. Auch viele Adelige und drei Zaren kamen nach Baden.

Russen sind beliebt

Rund 18.800 russische Gäste zählte Tourismus-Chefin Brigitte Goertz-Meissner allein im vergangenen Jahr. Das sind zwar nur fünf Prozent der Ankünfte, aber die 80.0000 Übernachtungen stellen mehr als acht Prozent der Nächtigungen. Russen sind bei Hoteliers beliebt, weil sie länger bleiben, teurere Suiten buchen und "im Schnitt mehr Dienstleistungen konsumieren als andere Gäste", heißt es in Brenners Parkhotel. 15 Prozent der Gäste in der Nobelherberge sind aus Russland und Weißrussland.

Früher kamen die Russen der heißen Quellen und der berühmten Spielbank wegen. Im Casino verspielte Dostojewski 1867 sein Geld und auch den Ehering seiner frisch Angetrauten. Er kehrte frustriert den gemeinen deutschen "Wucherern, Schurken und Betrügern" den Rücken. Turgenjew wiederum fühlte sich hier ausgesprochen wohl.

Kurhaus im Kurpark von Baden-Baden
Kurhaus im Kurpark von Baden-BadenBild: picture-alliance/dpa

Umworbene Kunden

Heute überwiegt der Gesundheitsaspekt, der nach Beobachtung der Tourismus-Chefin die "gebildete mittlere und obere Schicht" anzieht. Vom allgemeinen Check bis zur Zahnsanierung - Ärzte, Kurkliniken, Händler, Boutiquen und Hotels haben sich seit Jahren auf die teils ausgesprochen wohlhabende Klientel mit Faible für Marken-Artikel eingestellt. Verkäuferinnen und Arzthelferinnen sprechen russisch, auch Apotheken und Boutiquen heißen die umworbene Kundschaft in ihrer Heimatsprache willkommen.

Ob im Casino, in Hotels oder bei den russischsprachigen Führungen von Renate Effern: Noch ist hier von der Krim-Krise nichts zu spüren. Die Slawistin und Osteuropa-Historikerin ist "fast jeden Tag" mit Hochschulgruppen, Ärzten oder Firmenmitarbeitern unterwegs, die vom Unternehmen im Heimatland den Aufenthalt als Bonus geschenkt bekommen haben: "Es kommen nicht nur Steinreiche, sondern auch viele aus der Mittelschicht", betont die Vorsitzende der Turgenjew-Gesellschaft.

Den Kurort kennen sie schon aus der Schule - über ihre Dichter. "Baden-Baden ist in Russland ein Mythos", sagt Effern. Sie führt die Gruppen zur russischen Kirche, den Häusern der Dichter und ihren Denkmälern, zum heutigen Hotel Atlantik, in dem einst Zar Alexander II. logierte, oder zur Villa Gagarin, in der sich viele russische Paare trauen lassen.

Manche haben sogar ihren Altersruhesitz in den "russischsten Ort Deutschlands" verlegt. Allein 2012 kauften Russen hier Immobilien für 66 Millionen Euro. Makler Peter Bereit schätzt, dass er 60 bis 70 Prozent des Umsatzes mit Russen macht. Sie restaurieren oft Villen liebevoll. Wie die Villa von Gogols einstiger Mäzenin. Die hat ein sibirischer Millionär wieder hergerichtet. "Die Russen sind ein Gewinn für die Stadt", schwärmt Effern.

Deutschland Stadtansicht Baden-Baden russische Kirche
Innenansicht der Russische Kirche zur Verklärung des HerrnBild: picture-alliance/dpa

Verständnisvolle Töne

Würden sie wegbleiben, würde das "eine entsprechend nachlassende Nachfrage bedeuten", schätzt Goertz-Meissner. Auch im Brenners heißt es: "Sollte uns im extremen Fall ein Fünftel des Umsatzes wegbrechen, dann ist das zwar nicht existenzgefährdend, aber dennoch klar im Unternehmensergebnis spürbar." Sanktionen würden wehtun, aber die Stadt nicht existenziell gefährden, sagt Rathauschef Wolfgang Gerstner (CDU): "So russisch sind wir nun auch wieder nicht."

Aber doch so pro-russisch, dass man allerorts verständnisvolle Töne zum Thema hört: Festspielhaus-Intendant Andreas Mölich-Zebhauser warnt etwa vor einer "Russland-Dämonisierung". Dass der St. Petersburger Stardirigent und Putin-Fan Waleri Gergijew hierzulande kritisiert wird, ist für ihn "skandalös". War es doch Gergijew, der 1998 dem damals angeschlagenen Festspielhaus mit einer spektakulären Gratis-Aktion zum Erfolg verhalf. Und was die zwei Partnerstädte
angeht: "Das war so nicht geplant", sagt der Bürgermeister. "Aber ich stehe zu beiden."

Deutschland Stadtansicht Baden-Baden Lichtentaler Allee
Lichtentaler Allee - eine Promenade durch den Park in der InnenstadtBild: picture-alliance/dpa

Susanne Kupke (dpa)