Baerbock, die Brückenbauerin
14. Dezember 2021"Schönen guten Morgen in der nächsten europäischen Hauptstadt, heute mit dem Thema nukleare Abrüstung", so begrüßt die neue deutsche Außenministerin die Presse am Dienstag in der schwedischen Hauptstadt. Der Anlass der Reise ist das fünfte Treffen der 2019 gegründeten Stockholm-Initiative - unter dem Vorsitz der schwedischen und deutschen Außenministerinnen, Ann Linde und Annalena Baerbock. Der Initiative gehören 16 Länder an, unter anderem Spanien, Argentinien, Jordanien und Japan, 20 weitere unterstützen sie. Das Ziel: die Atommächte dazu bringen, ihre Versprechen einzuhalten und schneller abzurüsten.
Baerbock appelliert bei der Reise an die gemeinsame Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, "dass Atomwaffen niemals wieder eingesetzt werden dürfen". Seit Jahren habe es keine Einigung mehr auf neue atomare Abrüstungsschritte gegeben, beklagt sie. Die neue Bundesregierung wolle bei der nächsten Überprüfungskonferenz des Nicht-Verbreitungsvertrages (NVV) im Januar in New York "eigene Impulse für die atomfreie Welt" setzen.
Kleine Schritte
Dass dabei keine großen Sprünge möglich sind, weiß Baerbock wohl. Schon die Tatsache, dass keine der fünf Atommächte - USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China - die Stockholm-Initiative unterstützt, zeigt, wie begrenzt ihr Handlungsspielraum ist. Eine "atomfreie Welt" ist das große Ziel, aber man kann nur kleine Schritten dahin gehen. Immerhin sollen Vorschläge der Stockholm-Initiative - in einer gemeinsamen Erklärung "Stepping Stones" genannt - "als Grundlage für die Vorbereitungen der anstehenden Überprüfungskonferenz in New York dienen", sagt die Bundesaußenministerin. In der Abschlusserklärung fordert die Initiative von den Atommächten einen zukunftsorientierten Plan.
Die neue deutsche Regierung will die atomare Abrüstung nach vorne bewegen. Im Koalitionsvertrag zwischen den Sozialdemokraten (SPD), den Grünen und den Freien Demokraten (FDP) steht: "Die atomare Abrüstung braucht dringend neue Impulse". Deutschland wolle dabei "die Führungsrolle übernehmen". Konkret heißt das, dass Berlin nicht wie alle NATO-Länder den Atomwaffenverbotsvertrag von 2017 kategorisch ablehnt. Stattdessen bemüht man sich um einen Beobachterstatus. Das kommt innerhalb des westlichen Militärbündnis NATO einem Tabubruch nahe.
Der Spagat der neuen deutschen Außenpolitik
Der Atomwaffenverbotsvertrag verbietet die Entwicklung, Produktion, Stationierung und Einsatz von Kernwaffen, sowie Drohungen damit. Dabei sind in der westdeutschen Eifel seit Jahrzehnten 20 US-Atombomben stationiert, die im Ernstfall von deutschen Kampfjets zum Ziel getragen und abgeworfen würden - genau das sieht die nukleare Teilhabe vor. Manches Mitglied im Osten Europas fragt sich nun: Kann man im Ernstfall mit Deutschland rechnen? Steht Deutschland noch zur Abschreckungsdoktrin?
Einige NATO-Partner fremdeln mit der neuen deutschen Politik, zumal sie Schule macht. Mittlerweile strebt auch Norwegen als ein weiterer NATO-Staat den Beobachterstatus an.
Annalena Baerbock sieht in dem Beobachterstatus und der nuklearen Teilhabe keinen Widerspruch. Sie versichert in Stockholm, dass Deutschland hinter den Verpflichtungen der nuklearen Teilhabe stehe. "Ich habe dazu in Brüssel mit Herrn Stoltenberg gesprochen und unterstrichen, dass der Beobachterstatus keineswegs daran rüttelt, dass wir NATO-Mitglied sind oder der nuklearen Teilhabe verpflichtet sind". Beides gehe "Hand in Hand" und diene dem Ziel, diese Welt sicherer zu machen, man solle es nicht in "schwarz-weiß" Dimensionen betrachten.
Stress vorprogrammiert
Auch innenpolitisch wird die Strategie nicht einfach zu vermitteln sein. Dem linken Flügel der Regierung - bei den Grünen wie bei der SPD - sowie der linken Opposition ist Baerbocks Haltung zur nuklearen Teilhabe ein Dorn im Auge.
Anfang 2022 stehen noch weitere Entscheidungen an, bei den der Stress vorprogrammiert ist. Im Koalitionsvertrag verspricht die Regierung, zu Beginn der 20. Legislaturperiode ein Nachfolgesystem für das Kampfflugzeug Tornado zu beschaffen. Doch vom linken Lager hört man schon, dass es "nicht um konkrete Tage oder Monate gehe" - so Rolf Mützenich im DW-Gespräch. "Wir müssen sehen, ob Entscheidungen auch zu einem richtigen Zeitpunkt getroffen werden, weil wir nicht die Konfliktdynamik in Europa weiter vergrößern dürfen", so der SPD-Fraktionschef. Sein Ziel sei "endlich aus der Abschreckungslogik herauskommen".
Wenn sie auf ihrer sechsten Auslandsreise über die Stockholm-Initiative spricht, sagt Baerbock: "Sie versteht sich als Brückenbauerin". Es klingt, als hätte sie sich auch selbst gerade mit dieser Rolle arrangiert.