Baerbock pocht in der Ukraine auf Diplomatie
17. Januar 2022Deutschland und die Ukraine wollen im Konflikt mit Russland einen neuen diplomatischen Vorstoß starten und streben dafür die Wiederbelebung des sogenannten Normandie-Formats an. Dies machten Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und der ukrainische Ressortchef Dmytro Kuleba nach einem Treffen in Kiew deutlich. "Diplomatie ist der einzige gangbare Weg, um die derzeitige hochgefährliche Situation zu entschärfen", sagte Baerbock.
Sie werde auch bei ihrem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow an diesem Dienstag in Moskau für neue Gespräche in der Konstellation werben, kündigte die Grünen-Politikerin an. Mit ihrem französischen Kollegen Jean-Yves Le Drian habe sie vereinbart, alles zu tun, um das Normandie-Format wieder in Gang zu bringen. Zudem werde sie in Kürze mit Le Drian an die Konfliktlinie im Osten der Ukraine fahren. Kuleba regte an, schon bald ein Treffen auf der Ebene der vier Außenminister zu organisieren.
"Mehr als bedrückend"
Dem Normandie-Format gehören Deutschland, Frankreich, Russland und die Ukraine an. Unter Vermittlung der Regierungen in Berlin und Paris hatten sich Moskau und Kiew 2015 auf das Minsker Abkommen verständigt, mit dem der Osten der Ukraine befriedet werden soll. Dort stehen die ukrainische Armee und pro-russische Separatisten einander gegenüber. Nach UN-Schätzungen sind im Donbass bei Kämpfen zwischen beiden Seiten seit 2014 mehr als 14.000 Menschen getötet worden.
Baerbock nannte die Lage im Konfliktgebiet "mehr als bedrückend". Klar sei für sie, dass die territoriale Integrität der Ukraine nicht zur Disposition stehe. Deutschland werde "alles dafür tun", die Sicherheit des Landes zu garantieren, sagte Baerbock. Sollte Russland in die Ukraine einmarschieren, hätte dies "einen hohen Preis". Sie fügte hinzu: "Und das meinen wir sehr ernst." Die Lieferung von Waffen an Kiew lehnte Baerbock allerdings mit Verweis auf die deutsche Geschichte erneut ab. Kuleba sagte dazu: "Wir wissen, wo wir welche Waffen bekommen können, und wir wissen, wie wir sie einsetzen können zur Verteidigung unseres Hoheitsgebietes."
Scholz fordert Schritte zu Entspannung
Die Zuspitzung des Ukraine-Konflikts stellte auf der ersten Auslandsreise von Bundeskanzler Olaf Scholz in diesem Jahr alle anderen Themen in den Schatten. Scholz und sein spanischer Gastgeber, Ministerpräsident Pedro Sánchez, riefen die russische Regierung eindringlich zu "eindeutigen Schritten" auf, um die Situation zu deeskalieren. Die Lage an der ukrainisch-russischen Grenze sei "sehr, sehr ernst" und beunruhige die Regierungen in Berlin und Madrid, betonte der Kanzler in Madrid. Eine militärische Aggression gegen die Ukraine würde "schwerwiegende politische wie auch wirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen", warnte Scholz. "Deshalb ist es unsere Aufgabe, alles dafür zu tun, dass eine solche Entwicklung vermieden werden kann, unter der am Ende ja doch alle leiden müssen."
Scholz wertete es als positiv, dass es wieder "eine ganze Reihe von Gesprächsformaten" gebe. Nun müsse auch das Normandie-Format "wieder mit Leben erfüllt" werden. Beim Normandie-Format kommen Russland, die Ukraine, Frankreich und Deutschland zusammen, um Lösungen für den Ostukraine-Konflikt zu finden. Derzeit liegen die Verhandlungen aber auf Eis.
Auf die Frage eines Journalisten, ob die Bundesregierung an ihrer Haltung zur Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 und zum Verbot von Waffenlieferungen an die Ukraine festhalte, erklärte Scholz, die Regierung handele "in dieser Frage sehr einheitlich". "Dazu gehört auch, einheitlich in der Kontinuität dessen zu stehen, was deutsche Regierungen in dieser Frage in der Vergangenheit klug auf den Weg gebracht haben."
NATO lehnt Festlegung ab
Russland hat in den vergangenen Wochen rund 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Der Westen befürchtet eine Invasion - was die Regierung in Moskau zurückweist. Nach eigener Aussage geht es Russland um Sicherheitsgarantien. So fordert Präsident Wladimir Putin unter anderem eine Zusage der NATO, dass die Ukraine nicht in das transatlantische Militärbündnis aufgenommen wird.
Die Allianz wiederum lehnt eine solche Festlegung kategorisch ab. Stattdessen verlangt der Westen einen Abzug der russischen Truppen aus dem Grenzgebiet. Lawrow hatte NATO und USA in der vergangenen Woche aufgefordert, zeitnah und schriftlich auf die russischen Forderungen zu reagieren.
Geschichtsträchtiges Datum
Als Zeitpunkt für ihren Antrittsbesuch in Kiew wählte Baerbock den 30. Jahrestag der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und der einstigen Sowjetrepublik. Zunächst traf die Ministerin nach ihrer Ankunft Vertreter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die die Lage in der Ostukraine beobachten. Im Anschluss legte sie Blumen am Mahnmal für die Opfer der Maidan-Proteste von 2014 nieder. Auch eine Unterredung mit Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj steht auf dem Programm.
Noch an diesem Montagabend will Baerbock nach Moskau weiterreisen, wo für den Folgetag eine Kranzniederlegung am Grabmal des unbekannten Soldaten geplant ist. Danach steht der Antrittsbesuch bei Lawrow an. Vor ihrer Abreise aus Berlin hatte die Außenministerin einer Koalition aus SPD, Grünen und FDP betont: "Als neue Bundesregierung wollen wir substanzielle und stabile Beziehungen mit Russland."
jj/uh (dpa, afp, rtr)