Bahai im Iran - verfolgt von Staats wegen
6. März 2021Das Dokument ist zwei Seiten lang. Und es ist brisant. Nach Ansicht von Experten handelt es sich um das authentische Protokoll einer Sitzung vom 21. September 2020 in der nordiranischen Stadt Sari. Demzufolge verständigten sich hohe Beamte mehrerer Behörden auf Provinzebene über nichts weniger als über die systematische Verfolgung einer religiösen Minderheit: Der Bahai.
Die Bahai sind Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem Islam hervorgegangen, im Iran. Heute sind sie weltweit verbreitet, mit nach eigenen Angaben über fünf Millionen Anhängern.
Aber in ihrer iranischen Heimat, schreibt die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, auf DW-Anfrage, sind die Bahai die "am stärksten in ihren Rechten eingeschränkte Minderheit. Sie werden als politische Gruppe und als Sektierer betrachtet und verfolgt."
Behörden sprechen von einer "perversen Sekte"
Und zwar von Staats wegen. Darauf deutet das der DW zugespielte Papier hin. Demnach waren im letzten Herbst 19 Vertreter unter anderem des Geheimdienstes, der Polizei, der Wirtschafts- und der Bildungsbehörden zusammengekommen. Anlass: Ein Treffen der sogenannten Kommission für Ethnien, Sekten und Religionen der Provinz Mazandaran. Zweck: "Die Kontrolle der irregeleiteten Bewegung der perversen Bahai-Sekte".
Auf eine Anfrage der Deutschen Welle zur Verfolgung der Bahai hat die iranische Botschaft in Berlin nicht reagiert.
Die Deutsche Welle hat das Dokument mit der Nichtregierungsorganisation Minority Rights Group, MRG, in London geteilt, die auch im Iran aktiv ist. Für MRG-Direktor Joshua Castellino ist dieses Protokoll schockierend, "weil es eine konzertierte Strategie nahelegt, bei der eine staatliche Stelle einer ganzen Reihe von Akteuren Anweisungen zur Verfolgung der Bahai gibt."
Auch Wolfgang Kaleck vom ECCHR, dem European Center for Constitutional and Human Rights, in Berlin hat das Protokoll gesehen. Kaleck verweist darauf, dass sich zahlreiche UN-Agenturen mit dem Thema der massiven Diskriminierung der Bahai befassen. "Bisher war es allerdings so, dass der Staat Iran sich immer herausgeredet und gesagt hat, damit haben wir nichts zu tun, das sind bestimmte Strömungen, bestimmte Gruppen in der Bevölkerung, die Anstoß nehmen an den Bahai. Dieses Dokument scheint jetzt ein Indiz zu sein, dass zumindest auf der Provinzebene sehr wohl massiv Vorgaben gemacht werden für die Exklusion der Bahai aus dem öffentlichen Leben."
Landraub per Gericht
Welche Formen das annehmen kann, hat sich jüngst in dem Dorf Ivel gezeigt, gelegen in der Provinz Mazandaran. Ivel könnte ein ganz gewöhnliches Dorf sein. Aber Ivel ist eine der ältesten Gemeinden der Bahai. Oder besser: war. Weil die Bahai aus Ivel vertrieben wurden, ihre Häuser zerstört, ihre Grundstücke und Äcker beschlagnahmt. Ihre Vertreibung begann 1983, wenige Jahre nach der islamischen Revolution. Da rückten Bulldozer und Lastwagen an; 50 Häuser wurden zerstört. Die Vertreibung endete im letzten Herbst mit Gerichtsbeschlüssen, mit denen der Landraub für rechtens erklärt wurde, kurz nach der protokollierten Sitzung in der Provinzhauptstadt Sari.
Ende Februar machten die Bahai in den sozialen Medien unter dem Hashtag #ItsTheirLand auf die Beschlagnahmung der Grundstücke aufmerksam. Ein Protest, der weltweit Widerhall fand.
Insgesamt, hat die Menschenrechtsbeauftragte Kofler beobachtet, habe sich durch die Corona-Pandemie "die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Diskriminierung der Bahai verschärft". Der 2. Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit vom letzten Oktober schreibt über die geschätzt 300.000 Bahai im Iran: "Sie gelten pauschal als 'Häretiker'; in Anklagen wird ihnen Staatsgefährdung vorgeworfen."
Verfolgung über den Tod hinaus
Es habe auch Hinrichtungen von Bahai gegeben, vor allem in den ersten Jahren der islamischen Republik, erinnert Heiner Bielefeldt im DW-Gespräch. Der Philosophieprofessor war von 2010 bis 2016 UN-Sonderbeobachter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit und hat sich intensiv mit den Bahai befasst. Deren Verfolgung schließe alle Lebensbereiche ein, berichtet Bielefeldt, "und hört auch nach dem Tode nicht auf. Was sich zeigt in der gezielten Verwüstung von Friedhöfen – und zwar Verwüstung mit Dampfwalzen. Da geht es nicht darum, dass Grabsteine beschmiert werden, was Individuen machen können, sondern es geht tatsächlich um das Plattmachen von Friedhöfen."
Bielefeldt spricht von einer "systematischen, staatsorganisierten Verfolgung in allen Lebensbereichen" mit dem Ziel, die "Bahai-Religion an der Wurzel zu packen und auszurotten".
Wobei der Menschenrechtler die Beobachtung gemacht hat, dass "offenbar die Bevölkerung im Iran nicht durchgängig mitzieht. Wir haben hier einen Fall, wo die staatliche Repression sehr scharf ist, aber nicht unbedingt einhergeht mit einer gesellschaftlichen Repression." Tatsächlich haben sich auch einzelne schiitische Geistliche wie der im deutschen Exil lebende Hassan Yussefi Eshkevari dem Protest gegen den Landraub in Ivel angeschlossen.
Einsatz für andere
Umgekehrt erzählt Bielefeldt, dass sich die selbst so sehr von Verfolgung bedrohten Bahai nicht nur für ihre eigene Gemeinde einsetzten, sondern auch für andere Gruppen. In besonderer Erinnerung ist ihm eine Sitzung des UN-Menschenrechtsrates geblieben: "Da erhob die Bahai-Repräsentantin in Genf die Stimme für verfolgte schiitische Minderheiten in Saudi-Arabien und Teilen Südostasiens."
Der schiitisch geprägte Iran hat es ihnen nicht gedankt. "Iran missachtet das Recht auf Religionsfreiheit", kritisiert Bärbel Kofler gegenüber der DW. "Zu dessen Schutz und Achtung hat sich Iran mit der Unterzeichnung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte verpflichtet". Das war 1975. Vier Jahre vor der Revolution. Die jetzige iranische Verfassung kennt kein Recht auf Religionsfreiheit. Sie kennt neben dem schiitischen Islam nur eine Aufzählung tolerierter Minderheiten. Das Christentum gehört dazu, das Judentum und auch die Zoroastrier. Die Bahai nicht.