Bahn: Der nächste Schritt nach Stuttgart
9. Dezember 2022Am 11. Dezember wird ein altes Versprechen der Deutschen Bahn endlich wahr: Reisende können in Ulm einen ICE besteigen, der in Höchstgeschwindigkeit in Richtung Stuttgart fährt - eine wichtige Etappe auf dem Weg in die Zukunft - die Verwirklichung des Projektes Stuttgart 21”.
Bereits am Freitag (9.12.2022) wurde die Strecke offiziell eröffnet. Unter den wachsamen Augen von Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) und Bahnchef Richard Lutz fuhr ein ICE der Deutschen Bahn die 60 Kilometer lange Teilstück von Ulm nach Wendlingen - pünktlich.
Allerdings fehlen noch 25 Schienenkilometer von Wendlingen in die Landeshauptstadt, an dem letzten Drittel der Strecke wird noch gebaut.
Eine schöne neue Strecke
Diejenigen, die den bereits fertiggestellten Streckenabschnitt besichtigt haben, äußern sich überwiegend begeistert: Gelobt wird dabei vor allem, wie gut sich die Trasse in die Landschaft einfügt, wie ästhetisch gelungen etwa die 85 Meter hohe Filstalbrücke gelungen sei.
Die technischen Daten allein sind schon beeindruckend. Das gilt nicht nur für die 485 Meter lange Filstalbrücke, die derzeit die dritthöchste im Streckennetz der Bahn ist. Es gibt auf den rund 60 Kilometern zwischen Ulm und Wendlingen noch 36 weitere Brücken und 12 Tunnels. Die Filstalbrücke bietet den Reisenden noch einen weiteren Höhepunkt, überquert sie doch die chronisch verstopfte Autobahn A 8. Mit Tempo 200 bis 250 km/h über die im Stau stehenden Autofahrer hinweg - das freut jedes Bahnfahrerherz.
Wermutstropfen für die Bahnkunden: Auf den 60 Kilometer der neuen Trasse sieht man nicht viel von der gewiss schönen Schwäbischen Alb, denn rund die Hälfte der Zeit fährt der Hochgeschwindigkeitszug durch einen der 12 Tunnels. Der eine oder andere wird sich vorkommen, als habe er versehentlich die U-Bahn genommen.
Kürzere Reise ...
Vor allem hat sich die Reisezeit der Kunden, die von Ulm nach Wendlingen reisen, verkürzt - da geht es jetzt eine satte Viertelstunde schneller. Die Bahn erwartet, dass der Kunde das auch honorieren wird. Den Projektleiter und Geschäftsführer der Stuttgart-Ulm GmbH, Olaf Drescher, zitiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung so: "Die Reisenden werden begeistert sein: von schnelleren Verbindungen von mehr Zügen und von der Aussicht auf im Stau stehende Autos auf der parallel zur Strecke verlaufenden Autobahn.”
… aber eine lange Geschichte
Dabei hatte es beinahe biblisch begonnen, denn am Anfang war das Wort: Stuttgart 21. Und mit dem gab es bald einen neuen Begriff: Wutbürger. Gemeint waren damit Stuttgarter, die gegen das Prestigeprojekt der Deutschen Bahn (eine schnelle Mittelgebirgsquerung durch Schwäbische Alb und einen neuen unterirdischen Fernbahnhof in Stuttgart) aufbegehrten und zu Tausenden protestierten - gegen Geldverschwendung, städtebaulichen Kahlschlag und bauherrlichen Größenwahn.
Die Bahn hielt dagegen und versprach Bürgern und Bahnfahrern die Umsetzung einer ebenso wichtigen wie angeblich unvermeidlichen Investition in die Zukunft der deutschen Bahn-Infrastruktur. Um finanzielle Stabilität und Verlässlichkeit zu demonstrieren, wurde gleich noch ein Wort erfunden: Stuttgart 21 sei die "bestgerechnetste” Investition überhaupt. Als wenn grammatische Stümperei mit einem doppelten Superlativ eine kaufmännische Tugend verspräche.
Vom Versprechen ist nichts geblieben
Vom neuen Tiefbahnhof in Stuttgart - Herzstück der Bahnprojektes - ist noch nicht viel zu sehen. Und nicht nur, weil er größtenteils unter der Erde liegt, sondern schlicht, weil er noch nicht fertig ist. 21 war übrigens das vergangene Jahr, jetzt müsst es korrekter heißen: Stuttgart 25.
Und der Name Stuttgart steht im aktuellen Kontext, der Inbetriebnahme der neuen Alb-Querung von Ulm nach Wendlingen eher dafür, dass das Projekt noch lange nicht fertig ist, denn die letzten 25 Kilometer von Wendlingen in die Landeshauptstadt und damit die Komplettierung der Strecke Ulm-Stuttgart für den Schnellzugbetrieb werden nicht vor 2025 fertig sein.
Wie teuer wird's denn nun?
Der Schwabe gilt in Deutschland gemeinhin als sparsam. Die norddeutsche Alt-Kanzlerin Angela Merkel hatte für sich und uns als fiskalisches Vorbild sogar die "schwäbische Hausfrau” erfunden, die nie mehr Geld ausgeben würde, als sie einnehme.
Ein nur oberflächlicher Blick auf die Entwicklung der Baukosten entlarvt das Klischee schnell und gründlich: 2010 hieß es noch, das Projekt dürfe nicht mehr als 4,5 Milliarden Euro kosten, ab dann lohne sich das Ganze nicht mehr. Gegner von Stuttgart 21 hatten damals schon ein Gutachten vorgelegt, das die Kosten fast doppelt so hoch schätzte: 8,5 Milliarden Euro. Die Bahn selbst gibt die Kosten zurzeit noch mit 9,79 Milliarden Euro an. Das jetzt fertiggestellte Teilstück allein kostet wohl um die vier Milliarden Euro.
Wenn 2025 alle Baustellen des Projektes Stuttgart 21 abgearbeitet sein sollten, wird sich zeigen, ob die Versprechen der Bahn auch Wirklichkeit werden: Ein schnellerer und zuverlässigerer Verkehr von Stuttgart nach München, eine bessere Anbindung der Deutschen Bahn an die Schweiz und spürbare Erleichterungen im gesamten deutschen Streckennetz. Auf diese Bilanz müssen wir aber nun noch drei Jahren warten - mindestens.