Kein Streik mehr: Bahn und GDL beenden Tarifstreit
26. März 2024Bei der Tarifeinigung mit den Lokführer ist die Deutsche Bahn der Gewerkschaft GDL mit einer neuen Arbeitszeitregelung entgegengekommen. Es gebe ein Wahlmodell für das Schichtpersonal, teilten beide Seiten am Dienstag mit. "Die Auseinandersetzung war hart, aber wir konnten uns nun auf einen intelligenten Kompromiss einigen", sagte DB-Personalvorstand Martin Seiler. "Das kann durchaus richtungsweisend sein für die Bundesrepublik", sagte der Manager vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels zu dem System, das eine Absenkung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden ermöglicht. GDL-Chef Claus Weselsky sagte, man habe eine Tarifeinigung erzielt, betonte aber: "Die Auseinandersetzung mit der DB AG ist noch lange nicht beendet."
Die GDL hatte in den vergangenen Monaten immer wieder mit massiven Streiks den Bahnverkehr lahmgelegt. Nach sechs Streiks in der aktuellen Verhandlungsrunde, einer gescheiterten Moderation und Streit vor Gericht gab es zuletzt wieder Gespräche. Beide Seiten sprachen von harten Verhandlungen und äußerten sich am Tag danach in getrennten Pressekonferenzen. "Allein das spricht Bände", sagte Weselsky.
Weselsky sieht "Erfolg fast auf ganzer Linie"
Die Beschäftigten bekommen 420 Euro Lohnerhöhung in zwei Schritten: 210 Euro mehr pro Monat zum 1. August und nochmal 210 Euro zum 1. April 2025. Eine Inflationsausgleichsprämie über 2850 Euro soll in zwei Stufen ab März ausgezahlt werden. Bis Ende Februar 2026 gilt nun Friedenspflicht mit der GDL. Der Tarifvertrag läuft 26 Monate bis Ende 2025, danach folgt eine zweimonatige Verhandlungsphase, in der ebenfalls keine Streiks möglich sind.
Weselsky erklärte, die Gewerkschaft habe sich weitgehend durchgesetzt. Er warf der Bahn vor, Misserfolg in den Verhandlungen als Erfolg zu verkaufen. "Wir haben keinen Misserfolg, sondern Erfolg - fast auf der ganzen Linie." Der GDL-Chef räumte aber ein, dass sich die Gewerkschaft nicht damit durchgesetzt habe, auch Tarifverträge für Infrastruktur-Beschäftigte in der der Bahn - bei Netzbetrieb und -instandhaltung - abzuschließen. "Das ist die fatale Wirkung des Tarifeinheitsgesetzes." Dieses sieht vor, dass die Bahn als Arbeitgeber dies nur mit der jeweils größten Arbeitnehmervertretung tut. Dies ist in den meisten DB-Töchtern die größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG).
Kompromiss bei der Arbeitszeit: Mehr Arbeit - mehr Geld
Knackpunkt des Konflikts war die von der GDL geforderte Reduzierung der Wochenarbeitszeit für den Schichtdienst auf 35 Stunden bei gleichem Lohn. Hier gelang ein Kompromiss. "Kernelement ist ein innovatives Optionsmodell, mit dem Mitarbeitende im Schichtdienst künftig selbst über ihre Wochenarbeitszeit entscheiden", sagte DB-Vorstand Seiler. Der Korridor gehe bis 2029 von 35 bis 40 Stunden. "Dabei gilt das Leistungsprinzip: Wer mehr arbeitet, verdient entsprechend mehr", erklärte Seiler. Damit würden Bahnberufe attraktiver. "Wir haben von Anfang an betont, dass eine stumpfe Arbeitszeitverkürzung, die allen zwangsweise übergestülpt wird, absolut nicht zeitgemäß ist."
Für Mitarbeitende im Schichtdienst im GDL-Geltungsbereich sinkt die Referenzarbeitszeit 2026 demnach von 38 auf 37 Stunden und bis 2029 in drei weiteren Schritten auf 35 Stunden. Das Gehalt wird anteilig jeweils nicht verringert. Die tatsächliche Arbeitszeit wählen die Beschäftigten selbst: Alles zwischen 35 und 40 Stunden in der Woche ist dann möglich. "Wer sich für mehr Arbeit entscheidet, erhält pro Stunde 2,7 Prozent mehr Lohn", erläuterte die Bahn. So würden etwa Lokführer oder Zugbegleiterinnen in einer 40-Stunden-Woche rund 14 Prozent mehr verdienen als in einer 35-Stunden-Woche.
Lob von Ökonomen: "Der richtige Weg"
Ökonomen lobten den Kompromiss. "Das wichtigste Ergebnis an dieser Einigung ist, dass die Arbeitszeit flexibel ist: die Beschäftigten können zwischen 35 und 40 Stunden arbeiten", sagte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, der Nachrichtenagentur Reuters. "Das ist für den Umgang mit der Fachkräfteknappheit besser als eine zwangsweise Senkung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden für alle", sagte Fuest.
Ähnlich schätzt das der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber ein. "Der richtige Weg: Beschäftigte können weniger arbeiten, ohne dass die berufliche Entwicklung leidet", sagte der Leiter des Forschungsbereichs "Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen" am Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB). Sie könnten aber auch mehr arbeiten, je nach eigenem Wunsch in der aktuellen Lebensphase. Die individuellen Modelle würden im Betrieb unter einen Hut gebracht. "Selbstbestimmung bei Länge und Planung der Arbeitszeit, und gemeinschaftlich abstimmen - das ist die Zukunft", betonte Weber. Er halte das Ergebnis für einen guten Kompromiss.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing begrüßte die Tarifeinigung. Wer über Ostern reisen wolle, könnte nun endlich unbeschwert planen. "Klar ist aber auch, dass die Art und Weise, wie hier vorgegangen wurde, keine Schule machen darf." Zwar sei die Tarifautonomie ein hohes Gut. "Nach den vergangenen Monaten ist es kein Wunder, dass die Frage laut wurde, ob das Streikrecht womöglich an die Gegebenheiten unserer Zeit angepasst werden muss." Der Vorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn, Detlef Neuß, bezeichnete die Tarifeinigung in der "Rheinischen Post" als "eine ausgesprochene Erleichterung für die Fahrgäste".
hb/nm (rtr)