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"Balance zwischen Freiheit und Sicherheit"

Das Gespräch führte Oliver Samson23. August 2006

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, zur Sicherheitsdebatte nach dem Fund der Kofferbomben.

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Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerBild: picutre-alliance/dpa

DW-WORLD.DE: Die Auseinandersetzung um mehr Kompetenzen für Sicherheitsbehörden hat nach dem Fund der Kofferbomben wieder Auftrieb bekommen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble forderte erneut eine Ausweitung der polizeilichen Ermittlungsmöglichkeiten, selbst die Kronzeugenregelung ist wieder in der Diskussion. Wie stehen Sie zu diesen Forderungen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Seit den Attentaten vom 11. September 2001 sind so umfassende und umfangreiche Sicherheitspakete verabschiedet worden, dass wir wirklich nicht davon sprechen können, dass es in Deutschland Sicherheitslücken gibt. Wenn es bei uns eine Verbesserung geben könnte, dann in der Zusammenarbeit in den Verfassungsschutzbehörden von Hamburg bis München, Bremen und Berlin. Das funktioniert ja nicht, wie man beim NPD-Verbotsverfahren gesehen hat. Den Menschen Sicherheitslücken zu suggerieren, ist jedenfalls falsch.

Ohne Videoüberwachung wäre der mutmaßliche Kofferbomber nie gefasst worden…

Aber da sieht man doch gerade, dass dies keine Lücke ist. Wir haben ja Kameras an den zentralen Bahnhöfen. Das hat sich jetzt positiv ausgewirkt. Es kann aber nicht darum gehen, die 5700 Regionalbahnhöfe mit Kameras auszustatten. In Ballungsräumen muss man machen, was notwendig ist - und das ist zum großen Teil schon da. Dafür braucht man aber keine Gesetzesänderungen, das ist Aufgabe der Länder und deren Polizeigesetze.

Hat sich für Sie nach dem Fund der Kofferbomben die Sicherheitslage in Deutschland grundlegend verändert?

Ich denke nicht. Es ist seit dem 11. September 2001 offenkundig, dass es für alle europäischen Länder eine verstärkte abstrakte Bedrohungslage gibt - und das ist durch die gefundenen Bomben noch mal für Deutschland verdeutlicht worden. In London, Madrid und Istanbul hat man ja gesehen, wozu diese Terroristen fähig sind.

Nach jedem Anschlag, auch nach jedem Anschlagsversuch, kommt umgehend die Forderung nach Verschärfung der Sicherheitsgesetze - ein Reflex?

Im Bereich der inneren Sicherheit sind das Rituale und Reflexe. Innenpolitiker, Staatssekretäre und Vertreter der Sicherheitsbehörden nutzen diese Gelegenheiten, um dem Bürger klar zu machen, was noch alles geschehen müsse. Sie sollten aber endlich mal sagen, was in Deutschland schon alles gemacht wurde, was schon alles geht. Aber gewisse Dinge gehen einfach nicht. Und da gehört für mich dazu, dass die Bundeswehr zukünftig in Bahnhöfen für Sicherheit sorgt.

Gibt es denn Alternativen zu einer Verschärfung der Sicherheitsgesetze?

Ich sehe die Notwendigkeit, dass unsere vorhandenen operativen Möglichkeiten und die Gesetze voll eingesetzt werden. Ich halte es aber auch für dringend notwendig, dass endlich eine Bewertung vorgelegt wird, was die Gesetzesverschärfungen in den letzten fünf Jahren seit den fürchterlichen Anschlägen von New York gebracht haben. Es muss fundiert gesagt werden, welche Maßnahme man nutzt, welche man gar nicht braucht und was das für Auswirkungen für Millionen unbescholtene Bürger hat: nämlich die Speicherung höchstpersönlicher Daten und sogar Bewegungen und Aufenthaltsorte. Bei der Sicherheitsdebatte gehört auch das auf den Tisch.

Die Freiheit muss eben beschnitten werden, um die Freiheit zu verteidigen, sagen Befürworter schärferer Sicherheitsgesetze immer wieder.

Diese These stimmt ja nicht. Wenn man die Freiheit völlig abschafft, gibt es trotzdem keine hundertprozentige Sicherheit. Das sieht man ja in totalitären Diktaturen, wo es immer auch Kriminalität, Anschläge und ähnliches gibt. Man muss die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit finden - und die haben wir in Deutschland. Wir haben ein großes Sicherheitsniveau. Es gibt ja Tätigkeiten von Sicherheitsbehörden, von denen die Bürger überhaupt nichts mitbekommen. Etwa, dass ihre Konten ausspioniert, dass die Buchungen in Reisbüros vom Bundesnachrichtendienst abgefragt werden können. Wir haben ein dichtes, dichtes Netz. Das müssen wir den Leuten sagen und sie nicht noch weiter verunsichern.

Seit Ihrem Kampf gegen den großen Lauschangriff gelten Sie als vehemente Verteidigerin der Privatsphäre des Bürgers gegenüber weitgehenden Zugriffen staatlicher Organe. Datenschutz, Schutz der Privatsphäre, Bürgerrechte – wie würden Sie die Entwicklung in diesen Bereichen seit den Anschlägen des 11. September zusammenfassen?

Diese Rechte haben leider nicht mehr allzu viele Verteidiger in unserer freiheitlichen Demokratie - obwohl sie doch für uns unverzichtbare konstitutive Grundlage sind. Man ist inzwischen immer in der Verteidigungsposition mit dem Rücken zur Wand. Umso wichtiger ist es, mit lauter Stimme für die Rechte des Einzelnen einzutreten, auch wenn einem der Wind dabei ins Gesicht weht.

Sehen Sie die Möglichkeit, dass der Staat bei veränderter Lage seine erweiterten Befugnisse wieder zurückgibt?

Aus jahrzehntelanger Politik-Erfahrung kann ich sagen: Was sich der Staat als Eingriffsbefugnis zur Einschränkung der Privatsphäre geschaffen hat, wird nicht zurückgenommen. Die ganzen Gesetze, die gegen den RAF-Terror erlassen wurden, der ja überhaupt nicht mit der momentanen Gefährdung zu vergleichen ist, sind nie wieder überprüft und zurückgenommen worden, obwohl man sie gar nicht braucht. Der Staat gibt nichts an Freiheit zurück, was er sich mal genommen hat.

Wo gegen Sie weiter kämpfen werden.

Selbstverständlich. Es muss ja jemand da sein, der dem Verfassungsgericht die Gelegenheit gibt deutlich zu machen, dass in Deutschland eben nicht alles gegen die Freiheit des Einzelnen gehen kann.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Ex-Bundesjustizministerin, profilierteste Kämpferin für Bürgerrechte in Deutschland. Am Dezember 1995 trat sie aus Protest gegen das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (so genannter Großer Lauschangriff) zurück. Im März 2004 entschied das Bundesverfassungsgericht nach Verfassungsbeschwerde unter anderem von Leutheusser-Schnarrenberger, dass große Teile des Großen Lauschangriffs gegen die Menschenwürde verstoßen und deshalb verfassungswidrig sind.