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"Bühne frei" für Gregor Gysi

Bernd Gräßler22. Oktober 2013

Vieles spricht dafür, dass Gregor Gysi die Oppositionsführerschaft im Bundestag antreten wird. Die Rededuelle mit der Kanzlerin könnten spannend werden. Doch Gysi will mehr als der Animateur des Parlaments sein.

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Der Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke, Gregor Gysi, spricht am 03.09.2013 in Berlin während der Sitzung des Bundestages. Weniger als drei Wochen vor der Wahl ist der Bundestag zu seiner voraussichtlich letzten Sitzung zusammengekommen. Foto: Soeren Stache/dpa
Bild: picture-alliance/dpa

"Ein bisschen beginnt heute ein neues Verhältnis zu uns in der Gesellschaft", sagt Gregor Gysi in die Kameras und wirkt fast gerührt. Es ist Anfang Oktober und gerade hat der frisch gewählte Fraktionschef der Linken im Bundestag erfahren, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Überwachung des Linken-Landtagsabgeordneten Bodo Ramelow durch den Verfassungsschutz verboten hat. Es ist eine gute Nachricht. Die Sehnsucht der Linken, als normale Partei akzeptiert zu werden, scheint sich immer mehr zu erfüllen. Auch persönlich läuft es derzeit gut für den "letzten Star der Linkspartei", wie ihn das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" nennt.

Denn im Herbst seiner wechselhaften politischen Karriere scheint Gregor Gysi die Rolle zu finden, die er am besten spielen kann: Oppositionsführer im Parlament. Zwar gibt es im Deutschen Bundestag im Unterschied zum britischen Unterhaus dafür keinen offiziellen Titel. Aber der Chef der größten Nichtregierungs-Fraktion wird auch in Berlin üblicherweise als Oppositionsführer betrachtet. Gysis Partei hat 64 Abgeordnete, die Grünen 63. Beide bilden zusammen die Opposition, falls sich die Sozialdemokraten auf eine große Koalition mit Merkels Christenunion einlassen, wovon in Berlin die meisten ausgehen.

Merkels wortgewaltiger Gegenspieler

Er sei bereit, Verantwortung zu übernehmen und freue sich schon auf seine neue Rolle, ließ Gysi wissen. Die Linkssozialisten dürften im Parlament eine beträchtliche Aufwertung erfahren, ihnen stünde - nach Bildung einer großen Koalition - auch der Vorsitz im wichtigen Haushaltsausschuss zu. Für Gysi wäre es auch eine persönliche Genugtuung gegenüber Angela Merkel.

Der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, spricht am Mittwoch (12.09.2012) im Bundestag in Berlin zu den Abgeordneten. Im Hintergrund sitzt die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Das Parlament berät über den Haushalt für das kommende Jahr. Foto: Rainer Jensen dpa/lbn +++(c) dpa - Bildfunk+++
Für Gysi ist seine neue Rolle auch eine persönliche Genugtuung gegenüber Angela MerkelBild: picture-alliance/dpa

Beide stammen aus der ehemaligen DDR und sind seit der friedlichen Revolution 1989 politische Konkurrenten. Bei "You Tube" gibt es ein oft angeklicktes Video, in dem sich Gysi wütend darüber beschwert, dass Kanzlerin Merkel im Parlamentssaal einen Schwatz hält, während er eine Rede hält. Künftig kann er wohl mit mehr Aufmerksamkeit rechnen, denn immer wenn Kanzlerin Angela Merkel eine Regierungserklärung für "Schwarz-Rot" abgibt, dürfte Oppositionsführer Gysi als Erster darauf antworten. Mit Eloquenz und Witz wird er zumindest rhetorisch die Kanzlerin wohl blass aussehen lassen.

Zudem besitzt er die für Politiker seltene Gabe der Selbstironie. Nicht umsonst hat der Verband der Redenschreiber deutscher Sprache den 65-jährigen Politiker zum besten Redner des Bundestagswahlkampfes 2013 gekürt. Gysi hat in diesem Wahlkampf noch einmal alles gegeben, auch körperlich. Er wirkt fit und beinahe so schlank wie auf den Bildern von 1989, als unter seiner Führung aus der vor dem Zusammenbruch stehenden SED die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) wurde. Auf einem Foto von damals ist er mit einem großen Besen zu sehen: Symbol für Großreinemachen statt Auflösung der alten Staatspartei.

Der neugewählte Vorsitzende der SED, Dr. Gregor Gysi (M), wird nach seiner Wahl beim außerordentlichen Parteitag am 10. Dezember 1989 in Ostberlin unter dem Beifall der Delegierten mit einem symbolischen Geschenk zum großen "Saubermacher" gekürt. Mit einem Händedruck bedankt er sich für den großen Besen.
Bei seiner Wahl zum SED-Vorsitzenden erhielt Gregor Gysi (Mitte) einen Besen zum SaubermachenBild: picture-alliance/dpa

Drei Herzinfarkte und der ewige Schatten der Stasi

Gysi sei für ihn kein fremdbestimmter Funktionär, sondern "ein interessanter Zeitgenosse, der in einer schicksalhaften Zeit eine wichtige Funktion übernommen hat", sagte kürzlich der bayerische CSU-Politiker Peter Gauweiler dem Magazin "Playboy", das mit beiden, Gauweiler und Gysi, ein Doppelinterview führte. Solche Anerkennung aus den Reihen der Konservativen ist allerdings eher selten. Noch immer lastet auf Gysi der Schatten einer möglichen Stasi-Zusammenarbeit. Der Bundestag befand 1998 mehrheitlich, eine inoffizielle Tätigkeit des Linken-Politikers für die Staatssicherheit - dem Geheimdienst der DDR - sei erwiesen, obwohl sich Gysi dagegen wehrte und den Kritikern vorwarf, sie hätten "keine Ahnung vom Leben eines Anwalts in der DDR".

Zu Gysis Bilanz des jahrelangen Ringens um gesellschaftliche Akzeptanz der Partei und der eigenen Person gehören drei Herzinfarkte und eine zerbrochene Ehe, aber auch Erfolgserlebnisse wie die Vereinigung der ost- und westdeutschen Linken jenseits der SPD im Jahr 2007 zur Partei "Die Linke". Nun plant er den ganz großen Auftritt im Parlament.

Magenverstimmung bei den Radikalen

Man müsse als stärkste Oppositionsfraktion künftig sehr viel schneller auf Regierungsentscheidungen reagieren, fordert Gysi von seinen neuen Abgeordneten: "Wir können nicht zwei Tage diskutieren. Wenn die Entscheidung morgens verkündet wird, müssen wir spätestens eine Stunde später in der Lage sein, dazu etwas zu erklären."

Die Fraktion schnell hinter sich zu scharen, wenn es darauf ankommt, dürfte für den Chef allerdings zum Kraftakt werden. Denn Gysis Strategie lautet, einerseits die Regierung hart zu attackieren, andererseits aber auch die regierungsbeteiligten Sozialdemokraten nicht völlig zu verprellen. Für 2017 will er eine rot-rot-grüne Regierung aus SPD, Linken und Grünen vorbereiten. Das dürfte beim radikalen Teil der Fraktion auf Widerstand stoßen.

picture-alliance/dpa
Innerparteiliche Rivalen: Sahra Wagenknecht und Gregor GysiBild: picture-alliance/dpa

Bereits die Wiederwahl zum Fraktionschef verlief für das selbst ernannte "Alphatier" Gysi nicht allzu vielversprechend. Seine Weigerung, den Fraktionsvorsitz mit der 20 Jahre jüngeren Sahra Wagenknecht zu teilen, liegt deren Anhängern schwer im Magen. Wagenknecht ist Lebensgefährtin von Ex-Parteichef Oscar Lafontaine.

Zwar verkündete Gysi nach der ersten Klausur seiner neuen Fraktion, diese sei in einer "ziemlich sachlichen und angenehmen Atmosphäre" verlaufen: "Das baut mich auf, das motiviert mich, und ich glaube, euch auch." Zustimmung heischend blickte er dabei in Richtung seiner innerparteilichen Rivalin Wagenknecht. Doch die verzog keine Miene.