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20 Jahre nach dem Zerfall

15. Juli 2010

Auch heute sind die Wunden des Krieges in den ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken nicht verheilt. Das belastet die zwischenstaatlichen Beziehungen und verhindert eine echte Zusammenarbeit.

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Symbolbild. Eine Karte mit allen Staaten des ehemaligen Jugoslawiens, die auseinanderbrechen (Grafik: DW)
1990 - Ein Staat zerfälltBild: DW

Sieger oder Besiegte im herkömmlichen Sinne gab es nach den Jugoslawien-Kriegen der 90-er Jahre nicht. Dennoch gehen die Menschen in den Nachfolgestaaten mit den Kriegsfolgen unterschiedlich um. In den Ländern, die von den schrecklichsten Zerstörungen verschont wurden und in denen die Gesellschaft glaubt, an der Seite der Gerechten und der Sieger gestanden zu haben, ertragen die Menschen das Erbe des Krieges besser als dort, wo die Regierungen noch mit der Schuldfrage ringen.

"Das ist besonders sichtbar, wenn es um den Umgang mit Kriegsverbrechen geht", sagt Dennis Gratz, Politologe und Mitglied des Alumni Zentrums für interdisziplinäre Studien (ACIPS) in Sarajevo. Ein Gutes Beispiel dafür sei Kroatien: "Die Tatsache, dass Kroatien sich selbst befreit hat, erleichtert dieser Gesellschaft die Auseinandersetzung mit den Kriegsverbrechern in den eigenen Reihen", so Gratz.

Dort aber, wo die Machthaber bewußt Kriegsverbrechen verübt haben, ist es anders. Wie zum Beispiel in Bosnien, wo vor allem bosnische Serben durch Massenerschießungen, Brandschatzung, Vertreibung oder Massenvergewaltigungen bosnischer Muslima eine "ethnische Säuberung" betrieben.

Noch heute ist es schwer, in Bosnien und Herzegowina einen Konsens über die Vergangenheitsbewältigung zu finden - obwohl dort bosnische Muslime, Serben und Kroaten zusammen einen Staat bilden sollen, sagt Gratz.


Mann muss zusammenarbeiten, wenn man in die EU will

EU-Außenkommissarin Catherine Ashton, der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Hherzegowina, Sven Alkalaj, und der spanische Außenminister Miguel Angel Moratinos in Sarajevo aus Anlaß eines EU-Balkan Gipfels 2010 (Foto: dpa)
Hochrangige EU-Vertreter beteuern eine Beitrittsperspektive des WestbalkanBild: picture alliance/dpa

Zwar streben alle ehemaligen jugoslawischen Republiken eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union an, Bedingung dafür ist aber eine enge regionale Zusammenarbeit. Bisher war das eher schwierig: Die Menschen beäugtes sich oft skeptisch, trauten sich aber nicht über den Weg.

Doch es gibt Grund zur Hoffnung, zum Beispiel im kroatisch-serbischen Verhältnis. Die Neuwahl des kroatischen Präsidenten Ivo Josipovic markierte einen großen Schritt nach vorne bei der Zusammenarbeit zwischen Kroatien und Serbien. Das wirke sich zum Beispiel bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität aus, sagt Tanja Topic, Politologin aus der Stadt Banja Luka, im serbischen Teil von Bosnien und Herzegowina.

Zudem unterstütze Kroatien den Prozess der europäischen Integration seiner Nachbarn. So habe die Regierung in Zagreb die Übersetzungen zahlreicher Dokumente, die für die Kandidatur notwendig sind, sowohl Serbien als auch Bosnien und Herzegowina kostenfrei zur Verfügung gestellt. Das sei eine großzügige Geste, die auch die zukünftige Zusammenarbeit erleichtern könne.

Nationalistische Politik als Stolperstein

Die zerstörte Brücke in Mostar (Foto: AP)
Der Krieg hinterließ tiefe Wunden: Die zerstörte Brücke in MostarBild: AP

Trotzdem gibt es noch viele Altlasten, die eine echte Kooperation der Nachbarländer erheblich erschweren. Vor allem die mangelhafte Aufarbeitung des Krieges belastet die Beziehungen nach wie vor stark. Bosnische Muslime werfen der Regierung in Belgrad vor, sich der eigenen Verantwortung für Kriegsverbrechen während des Bosnienkrieges nicht zu stellen. Auch die Tatsache, dass der wegen Kriegsverbrechen gesuchte bosnische Serbengeneral Ratko Mladic noch auf freiem Fuß ist belastet die Beziehungen, denn er wird in Serbien vermutet. Gleichzeitig weigert sich Belgrad die Unabhängigkeit der früheren Provinz Kosovo zu akzeptieren und diplomatische Beziehungen aufzunehmen.

Und diese Animositäten treiben nationalistischen Parteien weitere Unterstützer zu. Besonders in Bosnien und Herzegowina sei das sichtbar, so Gratz: "Seit Jahren blockieren nationalistische politische Kräfte eine Überwindung der Krise und die Entwicklung der Gesellschaft", so der Wissenschaftler.

Dabei wäre eine engere Zusammenarbeit zwischen den Staaten nicht nur möglich, sondern geradezu logisch: "Wir waren nicht nur Bürger eines gemeinsamen Staates, sondern hatten auch eine gemeinsame Kultur, eine gemeinsame Sprache und sozusagen eine gemeinsame Weltanschauung. Unsere Gesellschaft, unsere Schicksale und unsere Bedürfnisse sind eng miteinander verwoben und wir haben eine gemeinsame Vergangenheit", sagt Gratz.

Objekt, nicht Subjekt der Politik

Vertreter aller Nachfolgestaaten nehman an einer Balkan Konferenz in Brdo - Slowenien teil.
Staats- und Regierungschefs sprechen wieder miteinanderBild: Daniel Novakovic

Trotzdem gibt es auch Unterschiede, sowohl in der politischen als auch in der wirtschaftlichen Entwicklung einiger Länder, betont Dr. Milos Solaja, Direktor des Zentrums für internationale Beziehungen in Banja Luka. Diese dürfe man nicht ignorieren.

Er warnt davor, dass viele regionale Initiativen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit "erheblich formalisiert sind, mit schlechter Infrastruktur und ohne finanzielle Unterstützung." Vielen Machthabern in der Region dienten sie nur als "Kulisse für Sonntagsreden vor dem versammelten internationalen Publikum."

Solaja glaubt, dass die Länder in der Region mehr Objekt als Subjekt der internationalen Politik sind. Das habe aber durchaus seine positive Seiten: "Alte politische Eliten wollen nationale Gefühle stärken, um an der Macht zu bleiben. Der Druck der internationalen Gemeinschaft für eine stärkere regionale Zusammenarbeit wird aber wachsen. Deshalb ist es durchaus realistisch, zu erwarten, dass es zu einer stärkeren Zusammenarbeit kommen wird."

Die erstarkende Zivilgesellschaft könne diesen Prozess unterstützen, betont Solaja - auch wenn das nicht einfach sei, weil die Länder bisher keine sonderlich ausgeprägten demokratischen Traditionen hätten.

Autor: Samir Huseinovic/Bahri Cani
Redaktion: Fabian Schmidt