Laurent Hilaire: Neuer Ballettdirektor in München
6. Mai 2022Für Moskau dürfte es ein Verlust gewesen sein, für München könnte es ein Gewinn werden: Das Bayerische Staatsballett bekommt mit Laurent Hilaire einen neuen Direktor. Der 59-jährige Franzose gilt in Ballettkreisen als Vertreter einer wertschätzenden Führungskultur. Als er im Februar 2022, nur wenige Tage nach Beginn des russischen Krieges auf die Ukraine, seine Entscheidung fällte, Russland zu verlassen, wusste Hilaire noch nicht, dass er im Mai mit dieser neuen Aufgabe in der bayerischen Landeshauptstadt betraut werden würde.
Gegenüber der Nachrichtenagentur DPA sagte Hilaire, dass er seine Tätigkeit bei der Moskauer Kompanie niedergelegt habe, "ohne einen Plan für die Zukunft zu haben". In der russischen Hauptstadt hatte er seit 2017 die Funktion des künstlerischen Direktors beim Stanislawski-Ballett inne gehabt. Unter seiner Leitung wurde dem Ensemble zwei Mal die Ehrung mit der "Goldenen Maske", einem russischen Theaterpreis, zuteil: 2018 für das beste klassische und 2019 für das beste zeitgenössische Ballett.
Laurent Hilaires Ballettkarriere
Bevor Hilaire nach Moskau wechselte, war er als Ballettmeister an der Pariser Oper tätig gewesen. Dort hatte er 1979 seine Ausbildung abgeschlossen. In der Folge war er Mitglied im Ballettensemble der Pariser Oper und wurde 1985 nach einer "Schwanensee"-Aufführung ernannt zum "danseur étoile", dem Primo Ballerino des Pariser Balletts (auf Dt. in etwa: "Startänzer"). Es ist der höchste Rang eines Tänzers, den das "Ballet de l'Opéra de Paris" kennt. Er tanzte nun Hauptrollen in Balletten von Rudolf Nurejew, Michail Fokin, William Forsythe und anderen. Schließlich gastierte Hilaire auch als Solist bei anderen Kompanien, beispielsweise dem Royal Ballet von London oder dem Staatsballett Berlin.
Beim Bayerischen Staatsballett, angesiedelt an der Bayerischen Staatsoper von München, beginnt Laurent Hilaire nun am 9. Mai als Ballettdirektor. Er folgt auf den Russen Igor Zelensky, der seinen Posten Anfang April niedergelegt hatte. Warum Zelensky das Staatsballett verlassen hat, wurde nicht eindeutig übermittelt. Angegeben hatte Zelensky familiäre Gründe. Doch laut Staatsballett soll sich der ehemalige russische Direktor nur intern gegen Krieg generell, nicht aber gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgesprochen und sich auch nicht öffentlich vom russischen Präsidenten Wladimir Putin distanziert haben.
Hilaire distanzierte sich von Russland
Für Laurent Hilaire, den gebürtigen Franzosen, war es hingegen unmöglich gewesen, nach den ersten Angriffen Russlands auf die Ukraine weiter in Moskau zu bleiben. Gegenüber der Nachrichtenagentur DPA begründete er seine Entscheidung damit, dass "(d)as Wort 'Krieg' (...) nicht erlaubt" gewesen sei. Die politische Situation hätte sich nicht mit seinen Vorstellungen von Demokratie und Freiheit vertragen.
Dem Bayerischen Staatsballett kommt es gelegen, dass Hilaire für beides stehe, für das traditionelle, klassische, aber auch für das zeitgenössische Ballett, wie der Bayerische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Markus Blume, angesichts des baldigen Starts in München verlauten ließ. Hilaire war außer mit den Auszeichnungen für das Stanislawski-Ensemble bereits mit weiteren Preisen für sein Schaffen in Frankreich dekoriert worden. Auch deshalb dürfte sich die Staatsoper unter dem Intendanten Serge Dorny erhoffen, mit Hilaire ihr "internationales Ansehen" zu steigern. Dorny schrieb auf Twitter:
Mit dem Programm der neuen Spielzeit (2022/23) hatte Hilaire noch nichts zu tun. Das Staatsballett bringt in München Ende des Jahres beispielsweise die "Tschaikowski-Ouvertüren" zur Uraufführung, die von Alexei Ratmansky choreografiert wurden. In München kommen jährlich mehr als 20 unterschiedliche Ballette vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart auf die Bühne.
Die Auswirkungen des Krieges auf russische Kulturschaffende
Weiterhin im Programm der Staatsoper bleiben, wie sich am Tschaikowski-Stück zeigt, auch Werke russischer Komponisten. Daniel Barenboim, der Chefdirigent der Berliner Staatskapelle, hatte bei einem von ihm dirigierten Solidaritätskonzert Anfang März 2022 in Berlin vor einer "Hexenjagd" auf russische Menschen und Kultur gewarnt. Barenboim, der selbst ukrainische Wurzeln hat und mit einer Russin verheiratet ist, betonte, dass die anfänglich diskutierten Verbote und Boykotte beispielsweise von russischer Musik oder Kultur in ihm schlimmste Assoziationen weckten.
In der Tat machte in München neben der Personalie Zelensky auch der Fall Valery Gergiev Schlagzeilen. Gergiev hatte sich trotz der Aufforderung des Oberbürgermeisters der Stadt, Dieter Reiter, sich eindeutig und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg zu distanzieren, nicht dazu geäußert. Darum wurde er Anfang März von seinem Posten als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker enthoben.
Tänzerinnen und Tänzer wegen des Krieges im Exil
Vom Angriffskrieg auf die Ukraine sind auch Ballettkompanien betroffen. Im März erhielt etwa das Berliner Staatsballett hunderte Ersuche von geflüchteten Tänzerinnen und Tänzern aus der Ukraine oder solchen, die sich erst noch auf die Flucht begeben würden. Dabei blieb es nicht bei ukrainischen Anfragen, auch russische Balletttänzer suchten nach neuen Engagements außerhalb ihres Heimatlandes.
Das prominenteste Beispiel dürfte jenes von Olga Smirnova sein. Aus Protest am Krieg verließ sie das renommierte Bolschoi-Ballett in Moskau, dessen Prima Ballerina sie war. Smirnova tanzt nun in den Niederlanden. Gemeinsam mit weltberühmten Tänzerinnen und Tänzern aus der Ukraine hatte sie Anfang April im italienischen Neapel bei einer Tanzaufführung Spendengelder für das Rote Kreuz gesammelt. Der Galaabend war nicht ohne kritische Stimmen ausgekommen, die die künstlerische Einheit von Künstlerinnen und Künstlern beider Länder verurteilten. Das erklärte Ziel der Beteiligten war gewesen, gemeinsam etwas für die Ukraine zu tun.