Barcelona: Urlauber kommen nur langsam zurück
15. Juli 2020
Jordi Herreruela strahlt. Der Kulturschaffende hat dem ehemaligen Militärkrankenhaus "Hospital de Sant Pau", das vom Jugendstil-Architekten Lluís Domènech i Montaner entworfen wurde, an diesem Abend neuen Glanz verliehen. Das Kultur-Festival Cruïlla ist das erste seiner Art nach dem "Lockdown" und mit dem "Festival Grec" eines der wenigen, die es dieses Jahr geben wird in der Stadt. Marina Rossell singt für die Einheimischen "Lili Marlen" auf Katalanisch und erinnert mit ihren Liedern an Widerstand und Rettung und damit an die gerade zurückliegenden Monate des Eingeschlossenseins in Barcelona.
Sommer 2020 – die Pandemie übernimmt das Kommando
Niemand durfte wegen der Ansteckungsgefahr von März bis Mai auf die Straße. Die Angst vor dem Virus sitzt allen noch in den Knochen. Fast 13.000 Menschen starben bis jetzt nachweislich in Katalonien an COVID-19. Das erklärt, warum dieses Jahr nicht nur die Touristen fern bleiben, sondern auch die Fensterläden im gotischen Viertel der Stadt, wo sich normalerweise Menschenmengen durch die kleinen Gassen schieben, zum größten Teil geschlossen sind. Auch der Strand am Olympischen Hafen ist nur zu einem Drittel belegt. Wie dieser Sommer noch wird, weiß keiner so genau. In Barcelona und Umgebung steigen die Fallzahlen derzeit gerade wieder an. Über 800 Neuinfektionen waren es am vergangenen Wochenende.
Seit Montag gilt in Katalonien und auf den Balearen eine strenge Maskenpflicht - auch im öffentlichen Raum. Mit weiteren Maßnahmen, die helfen sollen das Infektionsgeschehen einzudämmen, ist zu rechnen.
Wie anders dieser Sommer ist, zeigen allein die Besucherzahlen des "Museu Nacional d'Art de Catalunya", im Parc de Montjuïc, das bis jetzt gerade mal auf 130.000 Besucher kommt. Im Vorjahr um diese Zeit waren es bereits 840.000. Für viele Kultureinrichtungen lohnt es sich nicht, aufzumachen, dazu gehört auch das Opernhaus Liceu, das erst Ende September den Spielplan aufnimmt. Der Chef des Gaudi-Hauses Casa Batlló, Garry Gautier, legt deswegen groβen Wert darauf, dass sich die wenigen Besucher des sonst am meisten besuchten Museums der Stadt, sicher fühlen: "Wir haben uns überall auf der Welt nach den besten Methoden umgeschaut, um sie zu schützen". Desinfiziert wird mit einem Infrarotsystem. Die Luft wird wie im Flugzeug konstant ausgetauscht. Ein Wahnsinnsaufwand, der manche beruhigt, andere jedoch eher abschreckt.
Barcelona ringt um Normalität
Der holländische Tourguide Robbert Reurings kennt dieses Dilemma gut. Dem zweifachen Familienvater kommen fast die Tränen, als er mit seinem E-Bike vor der Sagrada Familia steht: "Noch kann hier kein Urlauber rein, erst Ende Juli wieder". Der 38-Jährige fragt sicherheitshalber bei der Polizei nach, wann er die Maske absetzen darf. Der Beamte bestätigt ihm: "Nur beim Sport und am Strand sowie beim Essen darf sie fallen". Wer sich nicht dran hält, dem droht ein Bußgeld von 100 Euro. Das vergrault nicht wenige. Auch die Einheimischen meiden den Kontakt mit der Masse. Selbst die Jugend.
Um den Kulturbetrieb in Gang zu halten, dürfen die Barcelonesen im Juli und August umsonst in viele Einrichtungen. Wer nachweisen kann, dass er aus dem spanischen Gesundheitssektor kommt, darf sowieso gratis in die Museen. "Das heilt einige Wunden", sagt Festival-Direktor Herreruela. Trotzdem: Die Stadtbusse sind so gut wie leer. Allerdings sieht man deutlich mehr Fahrräder. Die Bürgermeisterin Ada Colau hat den Lockdown genutzt, um noch mehr Radwege zu bauen, die Stadt für ihre Bewohner lebenswerter zu machen. Für viele Barcelonesen ist es eine neue Erfahrung, die Straßen und Plätze weitgehend für sich allein zu haben. Ein Freiraum, der genutzt wird.
Bahnt sich das Ende des Overtourism an?
Für Barcelona stellt sich die große Frage: Wie will die Stadt Tourismus zukünftig gestalten? Die erzwungene Pandemie-Pause birgt die Chance, den Umgang mit Touristen neu zu definieren. "Die Pandemie hat dafür gesorgt, dass der Massentourismus aus dem Jahr 2019 mit 30 Millionen Besuchern nicht wieder zurückkommen wird", glaubt Xavier Marcé, Tourismus-Beauftragter der Stadt. Aber auch er weiβ, dass die Stadt noch keinen alternativen Plan hat. Woher sollen die Einnahmen kommen, die 12 Prozent des Stadt-BIP ausmachen. "Es ist ein Experiment, was wir gerade machen. Ohne die Kreuzfahrt-Touristen und die vielen oft lästigen Busse von der Costa Brava zu überleben", erklärt Marcé, der mit Sorge sieht, dass Touristen scheinbar das Flugzeug meiden.
2019 wickelte der Flughafen von Barcelona noch fast 53 Millionen Passagiere ab. In diesem Juli wirkt der Flughafen El Prat wie verlassen. Die Kofferbänder stehen fast alle still. Die obligatorische Angabe von persönlichen Daten bei der Einreise gefällt nicht allen. Die Körpertemperatur wird durch eine Wärmekamera aus der Ferne gemessen. Die wenigen Urlauber, die in diesen Tagen durch die Stadt streunen, sind meistens mit dem eigenen Auto aus Italien oder Frankreich angereist.
Hoffen auf einen Neubeginn
Herreruelas Augen blicken melancholisch über seiner schwarzen Maske: "Weniger Touristen, das ist für manche gut, für viele ist es jedoch ein Drama." Nur mit den Einheimischen kommen die Hotels, Kultureinrichtungen, Restaurants und Bars nicht über die Runden.
Barcelona hat Erfahrung damit, Krisen zu überwinden. Unvergessen ist der Sommer 2017, als ein Attentäter auf der Haupt-Einkaufsstraße in Barcelona, auf den "Las Ramblas" mit einem kleinen Laster in eine Menschenmenge raste und 14 Personen tötete. Der Schock legte die Stadt für Wochen lahm. Den Strom der Urlauber konnte das tragische Ereignis nicht stoppen. Das macht Félix Navas, Geschäftsführer von Catalonia Hotels, in gewisser Weise optimistisch, dass auch die Pandemie in den Griff zu bekommen ist. Seit Mitte Juni sind 16 der 26 Hotels der Kette in der Stadt wieder auf. Das 4-Sterne Hotel am Plaza España, war vor wenigen Wochen noch ein COVID-19-Notlager für das Hospital Clinic.
Alles wurde danach klinisch desinfiziert für den Beginn einer ganz besonderen Saison, die bisher mit einer 25%igen Belegung der Betten begonnen habe, wie Navas berichtet. Im Schwimmbad auf dem achten Stock ist am Samstagnachmittag noch niemand. Menschenleer ist es auch auf der gegenüberliegenden "Fira de Barcelona", dem Messegelände: "Die Absage des "Mobile World Congress" im Februar, welche jährlich Hunderttausende Menschen nach Barcelona bringt, machte allen klar, dass hier was Dramatisches seinen Lauf nahm", erklärt Xavi Bufi, stellvertretender Direktor des Hotels. Ob die größte Telekommesse der Welt 2021 stattfinden wird, hängt von dem weiteren Verlauf der Pandemie ab. Die blonde Barkeeperin Amaia mit dem sevillanischen Akzent ist derweil froh, dass sie wieder unter Leuten ist, auch wenn es noch wenig sind: “Ich habe es zuhause nicht mehr ausgehalten”.
Tourguide Reurings ist zwiegespalten: "Wenn mich Leute fragen, ob es sicher ist, nach Barcelona zu kommen, weiß ich auch nicht, was ich sagen soll. Ich glaube jedoch, dass 2020 die Möglichkeit bietet, Schätze wie den sonst völlig überlaufenen Parc Güell auf besondere Weise zu genießen". Hier kamen sonst bis zu 400 Besucher in einer halben Stunde. Jetzt kommen nicht mal so viele an einem Tag. Für einen Städtetrip nach Barcelona, bei dem man sich in Ruhe Sehenswürdigkeiten anschauen will, gibt es keinen besseren Sommer als diesen.