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Zschäpe misstraut ihren Verteidigern

Marcel Fürstenau, z. Z. München16. Juli 2014

Die Hauptangeklagte im Strafverfahren gegen den Nationalsozialistischen Untergrund sorgt für einen Paukenschlag. Wie es nun weitergeht, ist völlig offen. Schon wird spekuliert, ob Zschäpe ihr Schweigen brechen will.

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Beate Zschäpe im Gerichtssaal 15.07.2014
Bild: picture-alliance/dpa

Zweimal wurde die Mittagspause im NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht (OLG) am Mittwoch unterbrochen. Als der Vorsitzende Richter Manfred Götzl den Sitzungssaal A 101 endlich betrat, erfuhren die Verfahrensbeteiligten und die voll besetzte Zuschauertribüne den Grund: Beate Zschäpe habe gegenüber einem Polizisten erklärt, dass sie kein Vertrauen mehr zu ihren Pflichtverteidigern habe. Die Hauptangeklagte bestätigte Götzls Einlassung durch ein stummes Kopfnicken. Anschließend wurde die Verhandlung unterbrochen. Die für Donnerstag geplante weitere Vernehmung des Neonazis Tino Brandt fällt aus.

Zschäpe hat nun einen knappen Tag Zeit zu begründen, warum sie 14 Monate nach dem Beginn des Prozesses das Vertrauen in die Anwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm verloren hat. Die Begründung muss sie bis Donnerstag, 14 Uhr, abliefern. Ob das Gericht dem Antrag folgt, ist offen. Das gilt auch für den Prozess insgesamt. Denkbar wäre die Fortsetzung mit anderen Verteidigern, aber auch dass er platzt und neu aufgerollt werden müsste.

Kein Kommentar von Zschäpes Pflichtverteidigern

Die Entscheidung des Gerichts wird wesentlich von Zschäpes Begründung abhängen. Die müsse "stichhaltig" sein, sagte eine Sprecherin. Auch die vom Gericht bestellten Pflichtverteidiger sind aufgefordert, eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Weil Zschäpe ihre Anwälte nicht selbst ausgesucht hat, können sie auch nicht einfach so von ihr entlassen werden. Das total überraschte Verteidiger-Trio wollte den unerwarteten Entschluss seiner Mandantin zunächst nicht kommentieren.

Die drei Anwälte von Beate Zschäpe im Gerichtssaal: Anja Sturm, Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer (v.l.n.r.) Archiv 13.06.2013
Ihre Mandantin hat kein Vertrauen mehr zu ihnen: Anja Sturm, Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer (v.l.n.r.)Bild: picture-alliance/dpa

Auch Bundesanwalt Herbert Diemer wurde von der neuen Entwicklung kalt erwischt. "Wir haben das vorher nicht gewusst." Dass Angeklagte ihren Pflichtverteidigern das Vertrauen entziehen, sei häufiger der Fall. Allerdings kämen sie damit selten durch, betonte Diemer. Zu den möglichen Motiven Zschäpes für ihre überraschende Wende wollte Diemer nichts sagen. "An Spekulationen beteilige ich mich nicht." Zunächst will die Bundesanwaltschaft Zschäpes Erklärung abwarten und anschließend dazu Stellung nehmen.

"Vielleicht haben die Fragen nicht gefallen"

Eher zurückhaltend äußerten sich auch die Anwälte der zahlreichen Nebenkläger über das Verhalten Zschäpes. Bernd Behnke, der den Bruder des mutmaßlichen NSU-Opfers Mehmet Turgut vertritt, will einen Zusammenhang mit dem Zeugen-Auftritt des Thüringer Neonazis Tino Brandt zumindest nicht ausschließen. Der 39-Jährige war ein führender Kopf in der rechtsextremen Szene in Thüringen und gleichzeitig V-Mann des Verfassungsschutzes. Als einziger in dieser Woche geladener Zeuge berichtete er bis zum abrupten Ende des inzwischen 128. Verhandlungstages mehr oder weniger ausführlich über Zschäpes Rolle bis zu ihrem Untertauchen 1998. Damals verschwand sie gemeinsam mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos von der Bildfläche, nachdem bei einer polizeilichen Durchsuchung Bomben entdeckt worden waren.

"Vielleicht haben ihr bei der Vernehmung Brandts die Fragen der Verteidiger nicht gefallen", mutmaßte Anwalt Behnke vor dem Gerichtsgebäude über Zschäpes Motiv. Bei seinem Antworten habe Brandt in Nebensätzen seine "Unterstützung für das Trio" zum Ausdruck gebracht, meinte Behnke. Zahlreiche Anwälte von Nebenklägern gehen seit jeher davon aus, dass die NSU-Terrorgruppe tatsächlich viel größer gewesen ist. Die Bundesanwaltschaft hingegen hält Zschäpe und die beiden durch Freitod aus dem Leben geschiedenen Böhnhardt und Mundlos für eine in sich geschlossene Terrorzelle.

Zschäpe ist im NSU-Prozess als einzige wegen zehnfachen Mordes angeklagt. Die vier ebenfalls auf der Anklagebank sitzenden Männer, darunter der frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben, müssen sich wegen Beihilfe verantworten. Wohllebens Verteidiger Olaf Klemke, der als sogenannter Szene-Anwalt gilt, wartet wie alle anderen nun auf die weitere Entwicklung. Ob Zschäpes nun doch ihr Schweigen brechen will? "Ich vermute, dass es der Hintergrund ist", sagte Klemke.