Beck: "Boykott von Sotschi würde nur die Sportler treffen"
9. August 2013DW: Der Kreml reagiert mit Befremden auf westliche Kritik, die sich gegen das vor Kurzem eingeführte Verbot der "Homosexuellen- Propaganda" richtet und behauptet, man habe doch eine "ziemlich liberale" Gesetzgebung. Wie sehen Sie das?
Volker Beck: Was richtig ist, Russland gehört zu den Ländern, in denen homosexuelle Handlungen per se nicht bestraft werden. Das ist seit Anfang der 90-er Jahre Rechtslage und war Voraussetzung für den Beitritt Russlands zum Europarat und zur Unterzeichnung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Aber durch das Propaganda-Gesetz sind gegenwärtig alle bürgerlichen und politischen Rechte der Homosexuellen außer Kraft gesetzt worden, wie auch aller Bürgerinnen und Bürger, die sich akzeptierend über Homosexualität artikulieren wollen. Und das kann man nun wirklich nicht als liberale Rechtslage bezeichnen. Wenn man sich mit Ländern wie Iran oder Sudan vergleicht, ist Russland in der Tat noch liberaler. Aber ansonsten ist es doch ein Land, wo Freiheiten für alle Bürgerinnen und Bürger und auch für Lesben und Schwule in den letzten Jahren drastisch eingeschränkt wurden.
Das Internationale olympische Komitee (IOC) hat vor Kurzem mitgeteilt, dass die höchste Stelle in Moskau dem Komitee versichert habe, dass das neue Verbot der Homosexuellen-Propaganda während der Spiele außer Kraft gesetzt werde, - was der russische Sportminister anschließend dementierte. Was erwarten Sie nun: wird das Gesetz gelten oder wird es nicht gelten?
In einem normalen Staat kann es selbstverständlich nicht sein, dass Gesetze teilweise ausgesetzt werden aufgrund von internationalen Ereignissen. Aber Russland ist kein normaler Staat. Letztendlich machen die Strafverfolgungsorgane und die Gerichte das, was der Kreml will, was Putin anordnet. Es ist meines Erachtens völlig klar, dass das IOC darauf bestehen muss, dass keine Zuschauer und Sportler verfolgt werden, weil sie eine Regenbogenfahne tragen, weil sie sich für die Freiheit von Lesben und Schwulen aussprechen. Sonst werden es keine sicheren Spiele, und dann ist es keine Frage des Boykotts, sondern eine Frage des Schutzes der Veranstaltung. Und wenn Russland nicht bereit ist, das zu sichern, dann erwarte ich vom IOC, dass es die Spiele an einen Ort verlegt, wo es den Teilnehmern der Olympiade auch Sicherheit garantieren kann.
Im Zusammenhang mit den Spielen in Sotschi bringen Sie das Wort "Boykott" ins Gespräch, wie zuvor bereits manch andere deutsche Politiker - beispielsweise die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Ist ein Boykott heutzutage noch ein adäquates Mittel? Würde er nicht mehr Schaden, als Nutzen bringen?
Ich denke, man wusste, als man Sotschi ausgewählt hat, wie die demokratischen Verhältnisse in Russland sind. Neu ist dabei allein das Propaganda-Gesetz, aber dass es keine Demokratie gibt, dass es keinen Rechtsstaat gibt, dass die Opposition unterdrückt wird, dass Menschenrechtsverteidiger, Anwälte und Journalisten, wenn sie Kritik am Kreml üben, ins Gefängnis wandern, das war vorher schon bekannt. Deshalb war von Anfang an die Entscheidung des IOC für Sotschi ein Fehler, und man kann jetzt nicht überrascht tun. Putins Russland ist so, wie Putins Russland ist. Ein Boykott ist deshalb schwierig, weil man am Ende die Sportler bestraft, die jahrelang auf so ein Ereignis hin trainiert haben. Deshalb ist meines Erachtens die richtige Forderung, wenn die Sicherheit nicht gewährleistet werden kann, dann muss man die Spiele verlegen. Und für die Zukunft sollte sich das Internationale Olympische Komitee merken, dass es keinen Sinn hat, in Diktaturen solche Veranstaltungen durchzuführen, weil die Diktaturen versuchen, es als PR-Veranstaltungen für sich zu nutzen und gleichzeitig die Opposition noch stärker unter Druck zu setzen. Das haben wir in China gesehen und das erleben wir jetzt in Russland. Langsam könnte man das zur Kenntnis nehmen.
Nach mehreren Schwulenbars in den USA und Kanada boykottieren nun auch einige europäische Bars den russischen Wodka als Protest gegen die Kreml-Politik. Was halten Sie davon?
Boykottkampagnen können immer ein Instrument sein, um politische Inhalte zu transportieren. Aber man sollte bedenken, dass gerade Lesben- und Schwulenorganisationen in Russland solche Maßnahmen gegenwärtig ablehnen. Ich fordere nicht zu solchen Maßnahmen auf. Ich glaube nicht, dass die russische Wirtschaft allein durch einen Wodka-Boykott in die Knie zu zwingen ist. Und man muss aufpassen, dass man nicht die falsche Wodka-Marke erwischt. Und am Ende baltischen oder skandinavischen Wodka boykottiert.
Volker Beck ist ein deutscher Politiker (Bündnis 90/Die Grünen), seit 1994 Mitglied des deutschen Bundestags, erster Parlamentarischer Geschäftsführer und menschenrechtspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. Beck setzt sich für die Bürgerrechte von Schwulen und Lesben ein.