Bedrohen Schwellenländer das Weltklima?
18. November 2011Während zahlreiche Regierungen von Industrie- und Schwellenländern nach einer gemeinsamen Definition von "grüner Wirtschaft" suchen, kann Fritz Holzwarth, Leiter der Abteilung für Wasserwirtschaft im Bundesumweltministerium, zumindest benennen, was der Begriff nicht beschreibt: "Grüne Wirtschaft ist kein Begriff der vorschreibt, was die reichen Länder tun sollen und was die Entwicklungsländer tun sollen."
Doch eben dieses Klima der Spaltung beherrscht zurzeit alle Verhandlungen über Klimapolitik und Klimaschutz. Der Ton gegenüber den Ländern, die in Zeiten der aktuellen Klimakrise einen Wirtschaftsboom erleben, wird schärfer. Dabei sind eigentlich alle, Politiker wie Wissenschaftler, darum bemüht, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Zu erleben war das auf der Nexus-Konferenz über Wasser, Energie und Lebensmittelsicherheit, die bis zum 18. November in Bonn als Vorbereitung auf Rio + 20 stattfand.
"Dass die Welt jetzt in einem schlechten Zustand ist, liegt nicht daran, dass wir, die Schwellenländer, die 'bad guys' waren. Alle wissen um die historische Verantwortung der reichen Länder, sie sind die großen Umweltverschmutzer. Die Anschuldigungen kommen von denjenigen, die ihre Vormachtstellung behalten wollen, ohne große Veränderungen vorzunehmen", argumentiert der Forscher Crispino Lobo von der indischen NGO Watershed Organization Trust.
Böse Buben oder nicht?
"Jedes Land hat das Recht, sich weiterzuentwickeln. Die ‚grüne Wirtschaft' sollte kein Hindernis für das Wachstum sein. Ob das bei den Schwellenländern der Fall ist? Vielleicht nicht. Aber vielleicht müssen sich auch die reichen Länder drastisch verändern, zum Beispiel, was ihr Konsumverhalten betrifft", so Alexander Muller von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO).
Das veränderte Konsumverhalten in Ländern wir Brasilien, China und Indien, in denen dank des wachsenden Wohlstands die Nachfrage nach Fleisch und Milchprodukten stark zunimmt, gilt als eines der größten Hindernisse für die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen. Forscher vermögen nicht genau zu sagen, was passieren würde, wenn die gesamte chinesische Bevölkerung, die auf 1,3 Milliarden Menschen geschätzt wird, einen Lebenswandel wie den der US-Amerikaner annehmen würde. Schon in diesem Jahr wären in diesem Fall rein rechnerisch eineinhalb Planeten nötig, um die Nachfrage der Menschheit zu befriedigen, so die Schätzung des Global Footprint Network.
Fritz Holzwarth vom Bundesumweltministerium ist ebenfalls der Meinung, dass die Schwellenländer ein Recht auf Wachstum haben. Er empfiehlt jedoch, die Politik der einzelnen Sektoren nicht isoliert zu betrachten. "Zum Beispiel der Biotreibstoff in Brasilien. Dabei wird nur auf die Reduzierung von Kohlenstoffdioxid geachtet, aber nicht auf die Auswirkung auf das Wasser, auf die Umwelt, auf die Ureinwohner, auf den Wald. Brasilien sollte sich auch darum kümmern", kritisiert Holzwarth.
Andererseits gibt er selbst zu Bedenken, dass es "Zeit braucht", bis die Gesellschaft Umweltbewusstsein entwickelt. "In Europa waren dafür ungefähr 20 Jahre nötig", so Holzwarth. "Über die reichen Länder kann ich sagen, dass wir nicht selbstkritisch genug sind. Und wir wissen: Solange es keine Veränderungen in den entwickelten Ländern gibt – man denke hier an die USA – wird es auch keine Veränderungen in den Entwicklungsländern geben."
"Alles Heuchelei"
Der US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler David Zetland, der derzeit an der Universität Wageningen in den Niederlanden forscht, findet, dass die Erwartungshaltung gegenüber den Schwellenländern eine hässliche Seite der Politik versteckt. "Das ist alles eine große Heuchelei. Es ist schon wahr, dass die entwickelten Länder nicht wollen, dass die Entwicklungsländer die gleichen Fehler begehen, die bereits zu vielen Umweltschäden geführt haben. Aber es ist auch so, dass die traditionellen Wirtschaftsmächte einfach nicht möchten, dass bestimmte Sektoren in diesen Schwellenländern noch mehr wachsen."
In der Diskussion um grüne Wirtschaft könnte Indien laut Crispino Lobo eine Schuld auf sich nehmen: "Wir streben nicht im nötigen Tempo und im angemessenen Maße nach einer nachhaltigen Wirtschaft mit niedrigem Kohlenstoffausstoß." Dem Forscher zufolge ist das derzeitige Zukunftsszenario nicht vielversprechend: "Unsere größte Herausforderung ist, im Rhythmus des Wachstums unseres Landes Energie zu produzieren ist. Ich denke, dass wir noch lange vom Öl abhängig sein werden."
Autorin: Nádia Pontes
Redaktion: Mirjam Gehrke