Unterwasserhotels für Seepferdchen
15. Juli 2020Es wird stattliche 16 Zentimeter groß, wechselt seine Farbe je nach Stimmung und Umgebung, und den Nachwuchs bringt 'er' auf die Welt - das ist üblich bei Seepferdchen und somit auch beim White's-Seepferdchen. Heimisch ist Hippocampus whitei, auch Sydney-Seepferdchen genannt, im Pazifik vor der Ostküste Australiens.
Lesen Sie mehr: So putzig, so bizarr: Seepferdchen
Hier wüteten zwischen 2010 und 2013 schwere Stürme. Sie bewegten riesige Mengen Sand, die Weichkorallen, Schwämme und Seegrass unter sich begruben - den natürlichen Lebensraum der White's-Seepferdchen.
Lesen Sie mehr: Wie man ohne Flugzeug von Europa nach Australien reist
Da sich die Fische nur langsam fortbewegen und nicht gut schwimmen können, ist ein solch massiver Lebensraumverlust für Seepferdchen besonders dramatisch. 90 Prozent der Population wurden ausgelöscht. Mittlerweile steht Hippocampus whitei auf der Roten Liste der bedrohten Arten - sein Überleben gilt als gefährdet.
Um das Aussterben der White's-Seepferdchen zu verhindern, haben Wissenschaftler in Sydney ein Rettungsprojekt gestartet. "Wir verfolgen zwei Methoden", erläutert Robbie McCracken vom Sydney Sea Life Aquarium, der gemeinsam mit Forschern der Technischen Universität Sydney und der New South Wales DPI Fisheries an dem Seepferdchenprojekt arbeitet. "Zum einen wollen wir die Tiere in einem Aquarium züchten und sie dann in die freie Wildbahn entlassen. Zum anderen versuchen wir, ihnen mit speziellen Seepferdchen-Hotels einen geeigneten Lebensraum zu bieten."
Bedrohter Lebensraum Korallenriff
An ihren natürlichen Lebensraum, Riff und Meeresboden, sind Seepferdchen perfekt angepasst. Sie tarnen sich im Seegras vor Räubern, etwa Krabben, ernähren sich von Plankton und kleinen Krustentieren und bringen ihren Nachwuchs zur Welt. Um zu verhindern, dass sie von Strömungen mitgerissen werden, wickeln Seepferdchen ihre Schwänze um Seegras und Korallen. Gibt es die nicht, scheinen die Fische auch an andere Materialien "festzumachen". So fanden Wissenschaftler Tiere, die sich statt in Korallen in Fischernetzen und alten Krabbenfallen am Meeresboden niedergelassen hatten.
Diese Entdeckung brachte das Team aus Sydney auf die Idee, den Lebensraum der Seepferdchen künstlich durch Käfige aus Netz und Stahl zu vergrößern. Mit der Zeit besiedelten Algen, Schwämme und Korallen die Käfige und schafften so eine sichere Umgebung für die Tiere.
Lesen Sie mehr: Australien: Aborigines demonstrieren gegen die Abholzung des Urwaldes
2018 installierten die Wissenschaftler ihre Seepferdchen-Hotels im Hafen von Sydney. Innerhalb von zwei Monaten zogen die ersten Tiere ein und schon bald wurden einige Männchen trächtig. Im Jahr 2019 fing das Team acht Paare des White's-Seepferdchens. Die Tiere sind, wie alle Seepferdchen, monogam und paaren sich ein Leben lang mit einem Partner. "Wir konnten beobachten, wie sie umeinander buhlten und sich paarten, und dann konnten wir den Vätern bei der Geburt zusehen", erzählt McCracken.
Hoffen auf Eheschließungen in der Wildnis
Im September und Oktober vergangenen Jahres wurden die ersten Babys geboren. Weil Seepferdchenbabys in der freien Wildbahn eine leicht zu fangenden Beute abgeben, warteten die Forscher bis Anfang Mai. Dann waren die Jungtiere aus der Aquariumszucht bereit für die große weite Welt. Das Team entließ 90 von ihnen in den Hafen von Sydney. "Es war sehr aufregend, die Tiere in die Wildnis zu bringen und dann einen Monat später zu sehen, dass sie überlebten und weiter wuchsen", berichet McCracken.
Erfahren Sie mehr: Dominikanische Republik: Mit Korallenzucht gegen den ökologischen Kollaps
Ein Teil der Seepferdchen wurde direkt in den eigens für sie gebauten "Hotels" untergebracht. Andere wurden auf Netze im Meer ausgesetzt, auf denen sich bereits wild lebende Seepferdchen niedergelassen hatten. Vor der Freilassung versahen die Forscher jedes Seepferdchen aus dem Aquarium mit einer neonfarbenen Markierung unter der Haut. Auf diese Weise wollen die Wissenschaftler verfolgen, wie die Tiere in der jeweiligen Umgebung zurechtkommen - etwa, ob sich die Seepferdchen in den Unterwasserhotels besser zurechtfinden als auf den Netzen.
Die Forscher rechnen damit, dass die ausgesetzten Seepferdchen zwischen Oktober und November geschlechtsreif werden und sich fortpflanzen. Ihre große Hoffnung liegt darauf, dass sich die ausgesetzten Tiere mit der Wildpopulation paaren.
Bedrohung nicht nur in Australien
Seepferdchen sind weltweit in tropischen und gemäßigten Küstengewässern zu finden. Mittlerweile ist der Handel mit den kleinen Lebewesen streng reguliert. Dennoch sind viele Arten bedroht, denn Seepferdchen erfreuen sich großer Beliebtheit in Aquarien, sie werden teuer als getrocknete Kuriosität gehandelt und in der traditionellen chinesischen Medizin verwendet.
Lesen Sie mehr: Chinas Appetit auf getrocknetes Seepferdchen - das Ende für das Meerestier?
Da ihre Lebensräume überall weiter schwinden, haben sich auch Länder wie Griechenland und Südafrika, der Heimat des am stärksten gefährdeten Seepferdchens der Welt, dem Knysna-Seepferdchen, ähnlichen Projekten wie dem in Sydney verpflichtet.
"Das bedrohte südafrikanische Seepferdchen profitiert von etwas ganz Ähnlichem, auch wenn dies einem Zufall geschuldet war", berichtet Peter Teske, Professor am Institut für Zoologie der Universität Johannesburg. So wurden beim Bau eines neuen Yachthafens mit Steinen gefüllte Drahtkäfige verwendet. In diesen siedelten sich Seepferdchen an, wie die Umweltschutzorganisation Knysna Basin Project entdeckte.
Diese zufällig entstandenen Seepferdchen-Hotels seien "postive Nachrichten" und eine gute Möglichkeit, das öffentliche Bewusstsein für den Naturschutz zu schärfen, meint Teske. Allerdings könne die Schaffung künstlicher Lebensräume lediglich das Aussterben lokaler Seepferdchen-Populationen verhindern. "Für einen echten Schutz wäre es notwendig, dem natürlichen Lebensraum der Seepferdchen eine Chance zur Regeneration zu geben", sagt der Seepferdchen-Experte.
Beliebtes Unterwasser-Maskottchen
In Australien hoffen die Forscher, dass das Projekt das Bewusstsein nicht nur für die Notlage der Seepferdchen von Sydney schärft, sondern auch für andere Tiere, mit denen sie ihren Lebensraum im Ozean teilen.
Die Gewässer um Sydney und an der Ostküste sind sehr artenreich, hier finden sich viele bedrohte Meeresbewohner, wie etwa der Seedrache - ein Verwandter des Seepferdchens - oder der Graue Ammenhai. Wie das Seepferdchen leiden auch sie unter Umweltverschmutzung, Seeverkehr und Lebensraumverlust durch Stürme und Bauten an Küsten.
"Es ist gut, das Interesse der Menschen zu gewinnen. Jeder liebt Seepferdchen und deswegen sind sie ein nützliches Vehikel, um zu zeigen, dass die Küsten in Schwierigkeiten sind", meint David Booth, Professor für Meeresökologie an der Technischen Universität Sydney, der ebenfalls am Projekt zur Rettung der Seepferdchen beteiligt ist. Die Strategie könnte aufgehen - die Unterwasser-Hotels jedenfalls sind bereits zu einer Attraktion für Taucher geworden, die hoffen, dort einen Blick auf die kleinen, fast mythischen Kreaturen zu erhaschen.