Interview mit Nike Wagner
8. September 2016DW: Das Thema des diesjährigen Beethovenfests heißt "Revolutionen". Derzeit erleben wir überall in der Welt eher so etwas wie Konterrevolutionen. Wie gehen Sie mit diesem Thema um?
Nike Wagner: Der Begriff "Revolution" klingt derzeit in der Tat fragwürdig und ungenau, weil die Rechtsextremen ihn okkupiert haben. Traditionell kommen Revolutionen aber von "links", sind getragen von der Basis - bzw. vom Volk - und nicht von Putschisten, militärischen Eliten oder religiösen Steinzeit-Aktivisten.
Um diese gegenwärtige Ambivalenz zu unterlaufen, habe ich mich entschieden, die Farbe rot bei der Illustration des Mottos zu vermeiden und stattdessen ein Frühlingsgrün zu nehmen, ein Hoffnungs-Grün, zusammen mit dem historischen Bildnis der "Liberté" von Delacroix, genauer: "Die Freiheit führt das Volk", einem Gemälde aus dem Jahr 1830 mit Rückbezug auf die französische Revolution.
Gibt es etwas Revolutionäres dieses Jahr im Festivalprogramm?
Es gibt zwei Dinge: die gesellschaftlichen Revolutionen und die künstlerischen Revolutionen. Sehr oft hängen beide miteinander zusammen, aber nicht immer.
Wir bringen viele Werke, die Revolutionen im Innern der Musik bewirkt haben - Beethoven ist hier vorneweg, aber auch Debussy und Strawinsky bis hin zu Luigi Nono.
Aber es gibt auch die direkten Reflexe auf die sozialen Revolutionen der europäischen Geschichte. Da ist in erster Linie die französische - deren Ideale von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit Beethoven sein Leben lang geprägt haben; wir bringen wichtige Werke aus dieser Zeit, darunter die Krönungsmesse für Napoleon von Etienne-Nicolas Méhul und, in vielen Varianten, Beethovens extremistische "Eroica". Die russische Revolution hat ebenfalls eine Flut musikalischer Werke hervorgebracht. Es kommt das Ural Philharmonic Orchestra mit Prokofjews gewaltiger "Kantate zur Feier des 20 Jahrestags der Oktoberrevolution". Und es gibt Veranstaltungen zu den Revolutionen unserer Tage - dem "arabischen Frühling". Außerdem Tanzveranstaltungen, die von den revolutionären Umbrüchen im Amerika der späten 60-er Jahre erzählen - Lucinda Childs kommt mit ihrer berühmten Choreographie "Dance" - minimalistische, abstrakte Kunst!
Mir scheint es, dass Sie immer an Relevanz, an außermusikalische Bezüge, an Geschichte und Gesellschaft mitdenken, und zwar, bei jeder Veranstaltung. Ist das so?
Im Prinzip ist das so. Musik - Kunst überhaupt - existiert ja nicht im luftleeren Raum. Sie hat immer Bezug zur Gesellschaft, auch wenn sie das im Lauf der Geschichte immer mal ignoriert oder bestritten hat. Dass alle Kunst dennoch eine eigene Sphäre darstellt, mit eigener Wirkungsmächtigkeit, ist selbstverständlich.
Beethovens Dritte Sinfonie, die "Eroica", taucht stark in Ihrem diesjährigen Programm auf…
Die "Eroica" ist das große Werk des Umbruchs, sie hat mit den Ersten und Zweiten Sinfonien nichts mehr zu tun. Und die Bezüge zu den großen französischen Revolutionsmusiken der Zeit sind ganz offensichtlich. Trauermärsche für die Helden und Gefallenen der Revolution waren damals üblich, und der zweite Satz der "Eroica" ist ein Trauermarsch. Außerdem blieb Napoleon - dem die "Eroica" ursprünglich gewidmet war - eine Figur größten Interesses für Beethoven. Seine geheime Identifikation mit ihm ist immer wieder zu spüren. Napoleon, der große Mann in der Politik, und er, Beethoven, der große Mann in der Musik...
Der Bonner Stadtrat hat entschieden: Die Beethovenhalle wird ab Oktober 2016 saniert, die Maßnahmen sollen in zwei Jahren abgeschlossen sein, und bis dahin bleibt der Konzertsaal geschlossen. Andere haben Bedenken über den Zeitplan geäußert, ihn als extrem sportlich beschrieben. Wie gehen Sie mit der Planung jetzt bis zum Jubiläumsjahr 2020 um, in dem der 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens gefeiert wird, und mit den Gebäuden, die Sie bespielen können?
Ich praktiziere das Prinzip Hoffnung. Soweit ich weiß, werden große Anstrengungen in Bonn gemacht, um den knappen Zeitplan einzuhalten. Ein Fiasko ist undenkbar angesichts des Jubiläums, das wissen alle Beteiligten, da werden sie eben "sportlich" sein. Was die Interims-Spielstätten für das Beethovenfest betrifft: Für große Orchesterkonzerte gibt es nur das World Conference Center Bonn. Nun ja: ein Kongress-Saal ist ein Kongress-Saal; wir müssen schauen, was zu machen ist. Die ersten akustischen Eindrücke - das Beethovenorchester hat ein Probespiel gemacht - waren nicht so schlimm, wie wir gedacht haben, aber wir kämpfen noch um Verbesserungen.
Ist da jetzt bei Ihrer Programmplanung bis zum Jubiläumsjahr Sand im Getriebe?
Ich programmiere zunächst, als hätte ich alle Spielstätten dieser Welt. Dann werden wir sehen, was realisierbar ist. Aber in der Tat: Ich halte das Spielstätten-Problem für das größte Problem eines Festivals, das in Bonn beheimatet sein will. Keine pittoresken Industrie-Ruinen, kein Konzertsaal mittlerer Größe mit variabler Raum-Ordnung.... aber manches kann ja noch werden in der jungen Beethoven-Stadt!