Behindertenrechte: Noch viel zu tun
26. März 2019Das Ziel ist ohne Frage edel: "Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern", heißt es unter der Überschrift "Zweck" gleich in Artikel 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Nach über fünf Jahren Arbeit wurde die sogenannte UN-Behindertenrechtskonvention 2006 von der UNO-Generalversammlung in New York verabschiedet. Insgesamt haben seitdem weltweit 177 Staaten das Abkommen, das rund 650 Millionen Menschen betrifft, ratifiziert. Am 26. März 2009 ist es auch in Deutschland in Kraft getreten.
Ein Grund zum Feiern also? Martin Danner ist skeptisch was das Kernziel der Konvention, die Inklusion, betrifft. Er ist der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen, kurz BAG Selbsthilfe. Der Dachverband ist ein eingetragener Verein und vertritt inzwischen über eine Million Menschen. Im Gespräch mit der Deutschen Welle zieht Danner ein gemischtes Fazit: "Die Liste der Lebensbereiche, in denen noch Handlungsbedarf besteht, ist lang. Zu nennen sind die Felder Bildung und Ausbildung, Teilhabe am Arbeitsleben und auch die Barrierefreiheit, zu der auch private Unternehmen verpflichtet werden müssen." Hinzu komme noch "Nachholbedarf etwa beim Gewaltschutz, der Rehabilitation, beim Diskriminierungsschutz und auf dem Feld der Selbstbestimmung." In der Geschäftsstelle der BAG Selbsthilfe in Düsseldorf komme daher am Jahrestag "nur eingeschränkte Feierlaune auf", so Danner.
Pakt für Inklusion gefordert
Rund 530 Kilometer weiter östlich, im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in Berlin, ist man an diesem Jubiläum bemüht, das Positive hervorzuheben. Bundessozialminister Hubertus Heil wirft stolz einen Blick zurück: "Das Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland vor zehn Jahren war ein Meilenstein für die Rechte der Menschen mit Behinderungen", so der SPD-Politiker. Flankiert wird die Meinung des Hausherren durch das Presseamt seines Ministeriums. So seien seit Inkrafttreten der Konvention unter anderem der Behinderungsbegriff angepasst und das Behindertengleichstellungsgesetz weiterentwickelt worden. Zudem habe sich die Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung geändert. Sie würden nicht mehr als Objekte der Fürsorge, sondern als eigenständige Menschen angesehen.
Valentin Aichele möchte sich dieser Bewertung nicht so ganz anschließen. Der Leiter der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte kritisiert insbesondere, dass der gemeinsame Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderungen in Deutschland immer noch nicht die Regel sei. "Die Politik muss endlich die Rahmenbedingungen für eine qualitativ hochwertige inklusive Bildung schaffen." Aichele hat auch schon eine Idee wie das gelingen könne: Mit einem "Pakt für Inklusion" könnte der Bund die Länder langfristig beim Aufbau der inklusiven Schule unterstützen. Es sei deren Aufgabe, so Aichele, Gesamtkonzepte zum Aufbau eines inklusiven Schulsystems auszuarbeiten, die konkrete Maßnahmen und zeitliche Vorgaben enthalten. Das bedeute auch, "personelle wie finanzielle Ressourcen umzuschichten."
Niedersachsen schreitet voran
Aichele rennt mit seinen Forderungen nach konkreten Maßnahmen auch bei Martin Danner und seinen Kollegen der BAG Selbsthilfe offene Türen ein. Zwar seien in den vergangenen Jahren, so Danner, schon "viele Einzelregelungen" beschlossen worden, positiv zu erwähnen sei "auch die regelmäßige Förderung von Programmen, Projekten und Institutionen zur besseren Beratung von Menschen mit einer Behinderung. Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass die Inhalte regelmäßig unzulänglich und zuweilen nur bedingt verbindlich sind."
Dass im Bereich der Inklusion gesellschaftliche Wandlungsprozesse vonstatten gehen, zeigt in diesen Tagen ein Beispiel aus Niedersachsen. In dem norddeutschen Bundesland stehen am 26. Mai Kommunalwahlen an. Zum ersten Mal in der Geschichte dürfen im Land auch Menschen ihre Stimme abgeben, die wegen einer Behinderung in Vollbetreuung sind. Das betrifft immerhin fast zehntausend Personen. Der Hintergedanke, so ist aus dem Büro der zuständigen Landesbeauftragten zu hören, ist simpel: Grundsätzlich solle niemand mehr von Wahlen ausgeschlossen werden.