Wankdorf im Wandel
11. Februar 2008Gerne erinnern sich die Deutschen an die Spielstätte des Triumphs im Nachbarland. Der 7. Juli 1954 wird zum inoffiziellen Feiertag der Bundesrepublik, das Wankdorf-Stadion ist bei vielen in der Bundesrepublik die Geburtsstätte von Helden, sogar das Thema Denkmalschutz steht zur Diskussion.
Die positiven Glücksgefühle wurden ihnen allerdings von den Schweizern genommen. Denn 2001 haben die Eidgenossen das alte Wankdorf-Stadion abgerissen. Nach 76 Jahren. Ende, Aus, vorbei.
Zu alt und zu klein soll es gewesen sein, in beiderlei Hinsicht den modernen Sicherheitsvorkehrungen nicht mehr entsprechend. An dessen Stelle wurde das neue "Stade de Suisse" aus dem Boden gestampft. Schon drei Jahre vor der Austragung der Europameisterschafts-Vorrundenpartien der "Hammer-Gruppe" mit Frankreich, Italien und den Niederlanden ist die Multifunktionsarena fertig geworden.
Verliebt in das Altbewährte
Die Berner sind eigentlich für ihre Langsamkeit und Nostalgie bekannt. In der Zwinglistadt, benannt nach dem schweizerischen Reformator Ulrich Zwingli, dreht sich das Zeitrad etwas anders. Tiefgreifende Veränderungen suchte man in der kleinen Bundesstadt mit knapp 130.000 Bewohnern lange Zeit vergeblich. Man ist verliebt in das Altbewährte. Die Berner Altstadt, die auf der Liste des UNESCO-Welterbes steht, bietet ein Beispiel für den schönsten mittelalterlichen Städtebau in Europa. Wer die Großstadthektik sucht, muss mit der Bahn ins eine Stunde entfernte Zürich (rund 370.000 Einwohner) fahren.
Ab sofort ist aber auch Betriebsamkeit rund um das etwa drei Kilometer von der Innenstadt entfernte Stade de Suisse Wankdorf angesagt, wie der moderne Fußballtempel offiziell heißt. Zig neue Arbeitsplätze sind rund um den Wankdor-Center entstanden, der heimische Club Young Boys Bern will wieder an glorreichere Zeiten anknüpfen. Das alte Wankdorf-Stadion hatte zuvor der Schweizer Stadienbauer Bruno Marazzi abreißen lassen. Marazzi erläutert, wieso die ruhmreiche Sportstätte nicht bleiben konnte: "Es wird in der Immobilienbranche zu oft derselbe Fehler gemacht: 60 Jahre alte Wohnungen werden renoviert, mit neuen Küchen und anderem ausgestattet. Alte Wohnungen bleiben alt. Das ist nur Flickerei, auch bei Stadien. Man sollte aufhören, alte Überbauungen zu renovieren."
Hohe Schulden gleich hoher Widerstand gegen das Neue
Dabei war es gar nicht so klar, dass die Berner ein neues Stadion erhalten. 1990, als Marazzi zum ersten Mal den Vorschlag machte, ein neues Stadion zu bauen, stieß er auf wenig Gegenliebe. Bern war mit fast vier Milliarden Schweizer Franken Schulden belastet, das sind umgerechnet rund 2,5 Milliarden Euro - der zweithöchste Wert eines Kantons in der Schweiz. Nur zu verständlich, dass Politiker und Bevölkerung recht verhalten auf das Stadionprojekt reagierten. Nach etlichen Um- und Anbauten am alten Stadion wollte man für "König Fußball" nicht noch tiefer in der Kreide stehen. In einer Umfrage lehnten damals 80 Prozent der Schweizer das Bauvorhaben rigoros ab.
Letztendlich retteten drei Unternehmen das Bauvorhaben, indem sie sich die Kosten von 45 Millionen Euro für das Stadion mit 32.000 Sitzplätzen teilten. Zum Vergleich: Die Allianz-Arena in München (66.000 Sitzplätze) war als reines Fußballstadion fast achtmal so teuer. Dabei darf man nicht außer Acht lassen, dass der Rasen von einem der größten Einkaufszentren der Schweiz umringt ist. Zudem spielen sich im Wankdorf Center auch Großanlässe wie Festivals im 36 Hektar großen Areal ab.
Wirtschaftliche Aufbruchstimmung nach Sieg in Bern
Rückblende: 7. Juli 1954. Neun Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, den die deutschen Nationalsozialisten angezettelt hatten, stand Nachkriegsdeutschland politisch immer noch isoliert da. Die deutsche Bevölkerung in den zerbombten Städten war nun am Existenzminimum angelangt. Die deutsche Nationalmannschaft hatte nun im Nachbarland zum ersten Mal die Chance, den Weltmeistertitel in das sich im Wiederaufbau befindliche Land zu holen und Selbstbewusstsein sowie verloren gegangene Sympathien zurück zu gewinnen. Die von der Welt eigentlich als zweitklassig eingestufte deutsche Mannschaft verlor nur in der Vorrunde eine Partie. Mit 3:8 war man den Ungarn deutlich unterlegen gewesen.
Im Endspiel im Berner Wankdorfstadion folgte die Revanche: Das Team von Trainer Sepp Herberger, den seine Spieler nur den "Chef" nannten und dessen Sprüche bis heute legendär sind, holten die Schwarz-Weißen gegen die zuvor viereinhalb Jahre unbesiegten Magyaren gar einen 0:2-Rückstand auf und gewannen durch das 3:2 von Helmut "Boss" Rahn. Das hatten sie auch ihrem Mannschaftsgeist, Fleiß, ihrer Disziplin und Siegeszuversicht zu verdanken.
Gerne denkt man noch heute an diese Zeit zurück: an den Rundfunkjournalisten Herbert Zimmermann, der mit seiner emotional geführten Radioreportage für Gänsehaut sorgte, und an das sich nun anschließende "Wirtschaftswunder" im Land des Champions. Hohe jährliche Wachstumsraten des realen Sozialprodukts besonders in den 50er-Jahren (zwischen sieben und zwölf Prozent), entsprechend wachsender materieller Wohlstand sowie der Abbau der Arbeitslosigkeit trotz Zustroms von Flüchtlingen bedeuteten eine riesige Aufbruchstimmung.
Vom alten Stadion gibt es nur noch wenige Restbestände
Umso trauriger stimmte es den 54er-Weltmeister, als der Ort ihres Triumphes so nicht mehr da war. Eine schöne Geste und anscheinend auch aus Gewissensbissen montierten die Eidgenossen die restaurierte Stadionuhr, die damals das 3:2 angezeigt hat, vor dem Stade de Suisse wieder an. Auch ein Stück Rasen als Entschädigung für den Abriss gaben die Schweizer 2002 Ex-Kanzler Gerhard Schröder mit auf den Weg. Wenn Schröder und seine bekanntlich fußballbegeisterte Nachfolgerin Merkel ihr Versprechen, den Rasen immer gut zu pflegen, nachgekommen sind, kann der Weltmeister-Rasen also auch noch heute in Berlin besichtigt werden.