Von langer Hand geplant?
13. September 2012Eine Nation ist ratlos. US-Außenministerin Hillary Clinton fasste den Gemütszustand der Amerikaner am Mittwoch in Worte: "Wie konnte das passieren in einem Land, bei dessen Befreiung wir geholfen haben, in einer Stadt, die wir vor der Zerstörung gerettet haben?" Doch im Laufe des Tages mehrten sich die Hinweise, dass es sich bei dem Angriff auf das Konsulat in Bengasi um einen länger geplanten Angriff gehandelt hatte und nicht eine spontane Reaktion auf das Internet-Video eines US-Amerikaners, in dem der Prophet Mohammed verunglimpft wird.
Viele Fragen sind noch offen, aber Beamte des Außenministeriums skizzierten am Nachmittag zumindest einen groben Ablauf der Geschehnisse vom Dienstag. Danach nahmen "unbekannte libysche Extremisten" das Konsulat gegen zehn Uhr abends Ortszeit unter Beschuss und konnten sich eine Viertelstunde später Zutritt auf das Gelände verschaffen. Sie feuerten auf das Hauptgebäude und setzten es in Brand. Drei Amerikaner befanden sich zu dieser Zeit in dem Haus, darunter Botschafter Christopher Stevens.
Stundenlanger Beschuss
Was dann genau geschah, muss eine Untersuchung zeigen, aber fest steht wohl: Die drei Amerikaner wurden getrennt - nur einer, der Sicherheitsbeamte, schaffte es ins Freie. Sean Smith, ein Beamter des Außenministeriums, wurde kurz danach tot im Gebäude aufgefunden, nach dem Botschafter suchten die zu Hilfe geeilten Sicherheitskräfte vergeblich. Während der ganzen Zeit ging der Beschuss des Konsulats, unter anderem mit Granatwerfern, weiter. Zwei weitere Amerikaner kamen dabei ums Leben, drei wurden verletzt. Erst um zwei Uhr morgens, vier Stunden nach Beginn des Angriffs, konnten die US-Kräfte die Botschaft wieder unter ihre Kontrolle bringen.
Botschafter Stevens war da schon nicht mehr im Gebäude. Die Details und die Uhrzeit sind nicht klar, aber offenbar wurde er von libyschen Zivilisten in ein Krankenhaus gebracht. Die Amerikaner erhielten schließlich einen Anruf mit der Information, der Botschafter sei nicht mehr am Leben. Sie konnten seine Leiche im Morgengrauen am Flughafen von Bengasi entgegennehmen. Es ist das erste Mal seit 1979, dass ein amerikanischer Botschafter gewaltsam ums Leben kommt. Damals starb der US-Botschafter in Afghanistan bei einem Feuergefecht nach einem Entführungsversuch.
Obama verurteilt "sinnlose Gewalt"
Außenministerin Hillary Clinton rief zu Besonnenheit auf: "Dies war ein Angriff einer kleinen und brutalen Gruppe, nicht die Bevölkerung oder die Regierung von Libyen." Präsident Barack Obama, der ebenfalls vor die Presse trat, erklärte, dieser Angriff werde das Bündnis zwischen Libyen und den USA nicht zerstören. Er betonte, dass libysche Sicherheitskräfte bei der Verteidigung der Botschaft geholfen und den Botschafter ins Krankenhaus gebracht hatten. Er machte allerdings klar: "Wir werden gemeinsam mit der libyschen Regierung dafür sorgen, dass die Attentäter ihrer gerechten Strafe zugeführt werden."
Obama betonte, dass die USA jeden Versuch verurteilten, die religiöse Überzeugung anderer zu verunglimpfen, dass es aber gleichzeitig "keine Rechtfertigung für diese Art von sinnloser Gewalt" gebe. Er bezog sich dabei auf die Empörung, die ein islamfeindliches Video eines US-Amerikaners am Dienstag in Bengasi, aber auch in Ägypten ausgelöst hatte. Die US-Botschaft in Kairo war am gleichen Tag das Ziel von Demonstranten gewesen, die unter anderem die amerikanische Fahne heruntergerissen und versucht hatten, das Gebäude zu stürmen.
Video-Proteste nur willkommene Ablenkung?
In den USA hatte das Video, das bereits im Juli entstanden sein soll, zunächst keinerlei Beachtung gefunden. Vergangene Woche war allerdings Terry Jones, der Pastor aus Florida, dessen Koranverbrennung im letzten Jahr zu gewalttätigen Protesten in Afghanistan geführt hatte, in Verbindung mit dem Video genannt worden. Die US-Behörden waren daraufhin offensichtlich so besorgt, dass General Martin Dempsey, der Stabschefsvorsitzende zum Telefonhörer griff und Jones bat, das Video nicht offiziell zu unterstützen. "Jones hat sich die Bedenken Dempseys angehört, aber unverbindlich reagiert", sagte ein Regierungsbeamter, der nicht genannt werden wollte.
Isobel Coleman, außenpolitische Expertin des Council on Foreign Relations, glaubt jedoch nicht, das die Ereignisse in Bengasi, anders als die Proteste in Kairo, mit dem Video zusammenhängen. "Dies war ein Angriff mit großer Feuerkraft, der seit Wochen geplant worden sein muss", sagte sie in einer Telefonkonferenz mit Journalisten. Vermutlich sei der Jahrestag des 11. September absichtlich gewählt gewesen und die Proteste gegen den Film hätten beim Beginn des Angriffs lediglich für hilfreiche Deckung gesorgt. Wer hinter dem Angriff in Bengasi steckt, ist derzeit noch nicht klar. Es wird aber darüber spekuliert, ob Angehörige der Terrorgruppe Al-Kaida oder ihre Sympathisanten dafür verantwortlich sind.
Wahlkampfthema
Auch Mitt Romney, der republikanische Präsidentschaftsbewerber, verurteilte die Angriffe in Bengasi und Kairo, griff aber gleichzeitig Präsident Obama an. "Ich halte es für falsch, dass die Obama-Regierung eine Stellungnahme unterstützt, in der Sympathie für diejenigen gezeigt wird, die unsere Botschaft in Ägypten gestürmt haben, anstatt diese Taten zu verurteilen." Romney bezog sich auf ein Statement der US-Botschaft in Kairo, in der es hieß, man verurteile "die andauernden Versuche von fehlgeleiteten Individuen, die religiösen Gefühle von Muslimen zu verletzen."
Das Statement war jedoch nicht mit Washington abgesprochen, es wurde zurückgezogen - und es war bereits am Montag veröffentlicht worden, also vor den Angriffen auf die US-Vertretungen in Kairo und Bengasi. Das Obama-Wahlkampfteam ließ mit der Reaktion nicht lange auf sich warten und zeigte sich "schockiert", dass Romney den Präsidenten angriff "in einer Zeit, in der die USA mit dem tragischen Tod eines Botschaftsangehörigen in Libyen konfrontiert werden". In Fragen der nationalen Sicherheit gilt Präsident Obama bei den Wählern als kompetent, nicht zuletzt, weil er den Befehl zur Aktion gab, während der Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden getötet wurde. Im Wahlkampf würde sie nichts überraschen, sagte Isobel Coleman. Das Romney-Team würde "jede Gelegenheit nutzen, die nach einem Vorteil aussieht." Nicht nur die Demokraten, auch einige von Romneys Anhängern warfen allerdings die Frage auf, ob der ehemalige Gouverneur von Massachusetts sich mit seiner Kritik einen Gefallen getan hat.
Das meiste Konsulatspersonal aus Bengasi wurde inzwischen abgezogen, die US-Vertretungen weltweit in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Weiterhin hat die US-Regierung als Schutzmaßnahme Marinesoldaten und zwei Kriegsschiffe an die Küste Libyens entsandt. Die getöteten und verwundeten US-Bürger werden zunächst auf die Militärbasis Ramstein und das Militärkrankenhaus Landstuhl in Deutschland gebracht.