"Fund dient dem Gedenken"
19. September 2014Deutsche Welle: Herr Benz, was für ein Ort war Sobibor und was hat man dort jetzt gefunden?
Wolfgang Benz: Sobibor war ein Vernichtungslager, das heißt es war kein Aufenthaltslager. Man kam an, um unmittelbar, ohne weiteres Verweilen, ermordet zu werden. Nur eine kleine Zahl, maximal ein paar hundert Juden, blieben länger dort, weil man sie als Arbeitssklaven für die Vernichtung brauchte. Man hat dort Fundamente der Gaskammern gefunden, die lange Zeit nicht sichtbar waren.
Warum hat man sie erst jetzt gefunden?
In Sobibor fand am 14. Oktober 1943 ein Aufstand der Häftlinge statt. Ungefähr 300 sind entflohen, die meisten aber haben nicht überlebt. Nach diesem Aufstand befahl Heinrich Himmler, der Chef über alle Lager, alle Spuren zu beseitigen und Sobibor dem Erdboden gleich zu machen. Das wurde mit großer Gründlichkeit erfüllt und im Dezember zogen die letzten SS-Männer ab, nachdem sie die noch übrig gebliebenen jüdischen Arbeitssklaven ermordet hatten. Das Spuren Verwischen war außerordentlich gründlich geschehen.
Das hinderte nach 1945 Grabschänder und Räuber aber nicht daran, systematisch die Vernichtungslager Sobibor, Treblinka und Belzec nach Schätzen, nach Habseligkeiten der Ermordeten zu durchsuchen. Danach hat sich die Natur des Terrains bemächtigt. Sobibor ist ungeheuer abgelegen an der polnisch-weißrussischen Grenze, es hat sich dann lange Jahrzehnte niemand mehr für die Überreste dieses Lagers interessiert.
Welche Bedeutung hat die Entdeckung der Fundamente?
Sobibor gehört zu den am besten erforschten Vernichtungslagern der Nationalsozialistischen Zeit. Über das, was dort geschehen ist, wissen wir dank langer historischer Forschung und dank überlebender Zeitzeugen sehr gut Bescheid. Das heißt, dass die Freilegung der Fundamente der Gaskammern, in aller erster Linie eine emotionale Bedeutung hat. Es dient der Erinnerung und dem Gedenken, dass es jetzt dort sichtbare Zeichen gibt. Nun kann man Sobibor in den Rang einer Gedenkstätte erheben, wo der Besucher auch etwas sieht. Bislang sieht er nicht sehr viel mehr als ein Waldstück, auf dem eine Baracke steht und in einiger Entfernung einen Bahnhof, an dem die Todeskandidaten angekommen sind.
Die Freilegung war eine Aktion, die das Gedenken und die Erinnerung mit haptischen Zeichen ausstattet, aber keine Aktion die jetzt am Befund, was in Sobibor geschah und zu welchem Zweck es errichtet wurde, etwas Neues bringen könnte.
Wie soll es jetzt mit dieser Entdeckung weitergehen?
Da müssen Sie nicht den Historiker fragen, sondern diejenigen, die das Geld geben müssen, um eine angemessene Gedenkstätte an diesem Ort, an dem 250.000 Menschen ermordet wurden, zu schaffen, wie sie in Belzec und Treblinka schon existiert.
Der Historiker Wolfgang Benz leitete bis 2011 das Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Zu seinen Fachgebieten gehört die Antisemitismusforschung und die NS-Forschung.
Das Interview führte Carla Bleiker.