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Guarneri-Geige: NS-Raubkunst?

Thomas Senne20. Februar 2014

Eine wertvolle Violine soll jungen Musikern zur Verfügung gestellt werden: als "Geige der Versöhnung". Doch ihre Herkunft ist ungeklärt. Wurde das Instrument unter den Nazis zwangsverkauft?

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Die Guarneri-Geige aus Nürnberg (Foto: Thomas Senne)
Bild: Thomas Senne

"Man spürt das eigentlich mit dem ersten Bogenstrich, dass da eine Qualität und Süße im Klang ist", schwärmt Daniel Gaede. Noch etwas verzückt hält der Nürnberger Musikprofessor, der lange bei den Wiener Philharmonikern als Konzertmeister tätig war, eine Geige in seinen Händen, die er gerade gespielt hat. Das auf den ersten Blick eher unscheinbare Instrument weist deutliche Gebrauchsspuren auf, die zeigen, dass es häufig benutzt wurde.

Was nicht weiter verwundert, denn die Violine stammt von einer berühmten italienischen Geigenbauerfamilie aus Cremona. In einem Atemzug wird sie mit Instrumenten von Amati, ja sogar Stradivari genannt und bürgt für höchste handwerkliche Qualität.

Daniel Gaede spielt das wertvolle Instrument (Foto: Thomas Senne)
Daniel Gaede spielt das wertvolle InstrumentBild: Thomas Senne

"Geige der Versöhnung"

Wie ein Produktionszettel verrät, soll Giuseppe Guarneri, ein Schüler Amatis, die Violine 1706 gefertigt haben. Heute wird sie in einem Tresor aufbewahrt, könnte allerdings noch viel besser klingen. Aber dazu müsste sie für etwa 40.000 bis 60.000 Euro restauriert werden. Denn mit den Jahren hat sich die Decke gewölbt und besitzt einige Risse.

Nach einer fachkundigen Behandlung, so schätzen Experten, wäre das Instrument sicher gut eine halbe Million Euro wert. Künftig soll es - wenn es nach dem Willen der "Franz Hofmann und Sophie Hagemann Stiftung" geht - herausragenden jungen Musikern aus Nürnberg leihweise zur Verfügung gestellt werden: als "Geige der Versöhnung".

Doch momentan sorgt sie in der Stadt der NS-Rassengesetze und ehemaligen Reichsparteitage von Hitlers NSDAP erst einmal für jede Menge Diskussionsstoff. Der Grund: Der Verbleib des wertvollen Stücks während des Nationalsozialismus ist größtenteils noch ungeklärt.

Unklare Herkunft des Instruments

1974 hatte Sophie Hagemann, die lange am Nürnberger Meistersinger-Konservatorium Violine unterrichtete, die Geige bei einem Kölner Händler erworben. Die "Franz Hofmann und Sophie Hagemann Stiftung", die 2005 mit dem Ziel gegründet worden war, die musikalische Weiterbildung von begabten jungen Menschen zu fördern und das Vermächtnis des Komponisten Franz Hofmann zu pflegen, erbte das Instrument nach dem Tod der Musikerin. Daraufhin konsultierte der Stiftungsvorstand ein Fachgremium, um Details der Schenkung zu erörtern. Fazit der Beratungen: Vor einer kostenintensiven Restaurierung sollte die Herkunft des Instrumentes genau überprüft werden.

Die Guarneri-Geige im Ausschnitt (Foto: Thomas Senne)
Eine Geige mit GeschichteBild: Thomas Senne

Warum dieses ungewöhnliche Vorgehen? Fabian Kern, Vorstandsvorsitzender der "Franz Hofmann und Sophie Hagemann Stiftung", sagt: "Weil eine Expertise dieser Geige geschwärzt war." Und zwar während der NS-Zeit. Ein Aufsehen wie jetzt im Fall Cornelius Gurlitt mit der womöglich unklaren Herkunft zahlreicher Kunstwerke, wollte man um jeden Preis vermeiden und moralisch absolut integer handeln.

Zwangsverkauf während der Nazi-Zeit?

Bei einem weiteren Gutachten der Geige war der eingetragene Name des Besitzers wegretuschiert worden, liess sich aber mit modernen Untersuchungsmethoden schließlich als "F. Hildesheimer" entziffern. Die Nachforschungen ergaben, dass ein gewisser Felix Hildesheimer das Instrument 1938 erworben hatte: Ein angesehener jüdischer Musikalienhändler aus Speyer, der allerdings schon ein Jahr vorher sein Geschäft unter den Nazis zwangsverkaufen musste. Seine Frau wurde 1940 nach Frankreich deportiert. Bald darauf gelang ihr aber die Flucht nach Nordamerika.

Monatelange Recherchen, wem das Instrument vor und während der Hitler-Diktatur genau gehört hat, ob es während der Nazizeit enteignet worden war, und wer es nach dem Zweiten Weltkrieg besessen hat, blieben weitgehend erfolglos. Die Suche nach möglichen Hinterbliebenen des jüdischen Musikalienhändlers Felix Hildesheimer, der sich 1939 voller Verzweiflung vor einen Zug geworfen hatte, führten lange ebenso wenig zu einem Ergebnis wie die Einschaltung des Zentralrats der Juden oder die Aufnahme in das internationale "Lost Art"-Verzeichnis für Kunstgegenstände, die ihren meist jüdischen Besitzern von den Nazis entwendet wurden. Zwar hatte die Stiftung die Adresse einer nach Amerika emigrierten Tochter Hildesheimers ausfindig machen können, aber entsprechende Briefe blieben unbeantwortet.

Antwort aus den USA

Jetzt scheint allerdings Bewegung in die Angelegenheit gekommen zu sein. Denn Anfang Februar 2014 meldete sich bei den Nürnbergern ein in den USA lebender Enkel des jüdischen Musikalienhändlers - per Mail. Ob dadurch nun die genaue Herkunft der Violine umfassend geklärt und das Instrument in Zukunft wirklich eine "Geige der Versöhnung" werden kann, ist derzeit allerdings weiter ungewiss. Denn die in die USA führende Spur könnte nur Licht in einen Teil der ominösen Geschichte dieses kostbaren Streichinstrumentes bringen. Das Rätselraten geht weiter.