Der Countdown läuft
12. Oktober 2010Hoffen, Nägel kauen, beten. Zwei Monate und eine Woche nachdem die 33 chilenischen Bergleute in der Mine San José verschüttet wurden, soll nun die letzte Phase ihrer Bergung beginnen.
Der erste Sanitäter werde schon am Dienstagabend (12.10.2010, Ortszeit) zu den Eingeschlossenen heruntergelassen, kündigte ein Regierungssprecher an. Am Montag war der Rettungsschacht mit Metallröhren verstärkt worden, die Rettungskapsel absolvierte inzwischen mehrere fehlerfreie Testläufe, wie Bergbauminister Laurence Golborne mitteilte. "Heute schlafen die Bergleute die letzte Nacht zusammen", twitterte daraufhin der Koordinator des Rettungsteams, Andre Sougarret.
Etwa zwei Tage, so schätzen Experten, werde die Bergung der "33", der "Treinta y tres" wie die Kumpel in Chile nur noch genannt werden, dauern. In der Nacht zu Mittwoch sollen zunächst zwei Helfer, ein Sanitäter und ein "Rettungsspezialist" in die Tiefe abgelassen werden, um im Schutzraum unter Tage alles für die Rettung vorzubereiten und den Kumpeln die Kapsel zu erklären. Zuerst sollen die "physisch und psychisch Fittesten" nach oben geholt werden, so der Gesundheitsminister.
Alles perfekt geplant
Die 33 Bergleute werden seit Tagen von Psychologen auf die Auffahrt vorbereitet, zudem bekommen sie eine spezielle Diät, die sie stärken soll. Für die Rückkehr durch den 622 Meter langen Rettungsschacht an die Erdoberfläche ist pro Person eine Stunde angesetzt. Während der Fahrt werden die Bergleute medizinisch überwacht, falls es Probleme gibt, lässt sich ein Teil der Kapsel abkoppeln und separat wieder abseilen. Zurück an der Oberfläche bekommen die Männer Schutzbrillen gegen das Sonnenlicht, werden nochmals medizinisch gecheckt und dürfen erst dann ihre Familien wiedersehen. Dann geht es per Hubschrauber in das Krankenhaus von Copiapó.
Das "Wunder von San José"
Das Drama unter Tage hatte am 5. August begonnen. Mehr als zwei Wochen dauerte es, bis die Verschütteten nach dem Einsturz entdeckt und über Schächte versorgt wurden. Noch nie waren Menschen so lange Zeit in so großer Tiefe gefangen. 33 Tage lang hat sich ein Spezialbohrer in die eingestürzte Mine gegraben, nachdem am 22. August erste Lebenszeichen der verschütteten Kumpel aufgetaucht waren. Bei einer Suchbohrung förderte eine Sonde den Zettel mit herauf: "33 Überlebende im Schutzraum. Es geht uns gut!"
Seitdem wurden die Kumpel erst mit Essen, dann mit Medikamenten, Telefonleitungen, Videokameras, Bibeln versorgt, bekamen psychologische Betreuung, Licht, einen geregelten Tagesplan und Fitnesstraining. Am 17. September stieß der Bohrer erstmals zu den Kumpel durch, nachdem es während der Bohrung mehrere Rückschläge gegeben hatte. Am 9.Oktober war der Rettungskanal fertig.
Heraufbefördert werden sollen die Kumpel in der Kapsel mit dem symbolischen Namen "Phönix 1". Sie ist eine Weiterentwicklung der sogenannten "Dahlbusch-Bombe". Die Metallröhre wurde von Ingenieuren der Zeche Dahlbusch in Gelsenkirchen 1955 entwickelt, auch die Kumpel im Minenunglück von Lengede in Niedersachsen wurden mit der Dahlbusch Bombe gerettet.
Mit Phönix aus der Tiefe
Unterdessen hat sich das "Camp Hoffnung" um die Mine in eine Art Manege für Journalisten, Künstler, Politiker und Neugierige verwandelt. Es gibt inzwischen Luxuszelte mit Liege und eigenem Ofen für umgerechnet 260 Euro (alle ausgebucht), das Krankenhaus hat Extra-Pyjamas für die Kumpel bereitgestellt (in Chile-Nationalfarben mit einer goldenen 33 darauf gestickt) und Zauberer wollen einen magischen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Kumpel (die "33"), den Zeichen ihrer ersten Botschaft (33 mit Leerzeichen) und der Bohrungstage (33) erkennen. Regisseur Rodrigo Ortúzar hat sich bereits die Filmrechte zum Drama in der Atacama-Wüste gesichert: "Die 33", ein Filmplakat gibt es auch schon.
Und die nationale "Wer wird Millionär-Show" lud in den letzten Wochen Angehörige ein, die darum spielten, dass ihre Liebsten nicht mehr zurück in die Mine müssen. Politiker sind Dauergäste in der Atacama-Wüste und es wird gemunkelt, dass Präsident Sebastian Piñera besonders Druck machte, damit die Kumpel vor seiner geplanten Auslandsreise am 17.Oktober an die Oberfläche zurückkehren – seine Umfragewerte sind in den letzten zwei Monaten stetig angestiegen.
Rund 1000 Journalisten sollen vor Ort sein, für sie ist eine Tribüne hundert Meter vom Schacht entfernt reserviert. Einige der Bergleute sollen bereits von professionellen Interviewtrainern geschult worden sein, allerdings baten alle in einer gemeinsamen Erklärung darum, sie in den ersten Wochen mit Interviewanfragen zu verschonen.
Autorin: Anne Herrberg (dpa, rtr, ap, afp)
Redaktion: Thomas Latschan