Gezielte Angriffe auf Kliniken in Syrien
9. März 2021Das "Kafr Zita Cave Hospital" sollte Leben retten. Deswegen wurde es 2015 im Norden der Stadt Hama in erheblicher Entfernung zu militärischen Einrichtungen und Wohngebieten gebaut. Um die kontinuierliche medizinische Versorgung der Zivilbevölkerung nach der Zerstörung des Hauptkrankenhauses zu sichern, wurde es in fast 20 Meter Tiefe in den Abhang eines Berges gegraben. Damit, so die Hoffnung, sollte es vor Luftangriffen geschützt sein.
Daten des "Syrian Archive"
Doch in den folgenden Jahren wurde die unterirdische medizinische Einrichtung immer wieder gezielt angegriffen, wie aus Unterlagen des "Syrian Archive" hervorgeht, die der DW vorliegen. Die Attacken trugen dazu bei, die Rebellen aus dem Gebiet zu vertreiben. Anfang dieses Monats wurde das Krankenhaus von russischen Streitkräften schließlich vollständig zerstört. Russischen Medien zufolge sollte so verhindert werden, dass es von "Terroristen" genutzt würde. Diesen Begriff beziehen das Assad-Regime und seine Verbündete häufig auf Aufständische und Gegner aller Art, ungeachtet ihrer ideologischen Ausrichtung.
Humanitäre Gruppen wie das "Syrische Netzwerk für Menschenrechte" sehen in der Zerstörung einen Versuch, Beweise für frühere Angriffe zu zerstören. "Die russische Regierung will die schrecklichen Konsequenzen und Beweise für die Gräueltaten und Verbrechen der russischen Streitkräfte bei ihren barbarischen Bombenangriffen auf dieses Krankenhaus beseitigen", heißt es in einer Mitteilung des Netzwerks.
Über 400 Angriffe insgesamt
Das "Kafr Zita Cave Hospital" ist nicht die einzige medizinische Einrichtung, die während des jahrzehntelangen Konflikts in Syrien angegriffen wurde. Insgesamt wurden die Krankenhäuser in den Rebellengebieten des Landes während der vergangenen zehn Jahren mehr als 400 Mal attackiert. Davon geht das "Syrian Archive" aus - eine Organisation mit Sitz in Berlin, die Menschenrechtsverletzungen in dem Konflikt dokumentiert.
Als "wesentliche Akteure" Identifiziert
In mehr als 90 Prozent der Fälle wurden die Angriffe auf Krankenhäuser gezielt geflogen, so die nun veröffentlichte Studie. Im Bericht des "Syrian Archive" werden syrische und russische Streitkräfte als die "wesentliche Akteure" solcher Attacken identifiziert. Diese wurden als Luftangriffe, durch den Abwurf von Fassbomben und durch Beschuss ausgeführt.
"Diese Datenbank ist wichtig, um zeigen zu können, dass die Angriffe auf medizinische Einrichtungen einer bewussten Strategie entsprechen", sagt Hadi al-Khatib, Direktor des "Syrian Archive", der DW. "Die meisten Angriffe wurden von den syrischen und russischen Streitkräften ausgeführt."
Eine Bitte der DW an das russische Verteidigungsministerium und die syrische Botschaft in Berlin um Stellungsnahme blieb unbeantwortet. Allerdings haben die russischen und syrischen Behörden eine Beteiligung an solchen gezielten Angriffen auf humanitäre Einrichtungen in der Vergangenheit stets bestritten.
Beweismaterial für Gerichtsprozesse
Man habe darauf geachtet, die Datenbank mit Blick auf Erfordernisse des Völkerrechts zu erstellen, sagt die Juristin Libby McAvoy, Mitautorin der Studie.
Auch finden sich in der Datenbank Informationen über die Methode der Angriffe. So dokumentiert sie etwa, wann ein Krankenhaus von einer Präzisionsrakete getroffen wurde oder einem Doppelschlag ausgesetzt war. In diesem Fall folgte der zweite Angriff in zeitlich unterschiedlichen Abständen. Diese reichten von einer Minute bis zu mehreren Stunden.
Über die Hälfte der dokumentierten Angriffe auf medizinische Einrichtungen - mindestens 216 - bestanden aus wiederholten Schlägen. Dieser Umstand kann als Indikator dafür dienen, dass die Einrichtungen bewusst attackiert wurden. Dies gilt nach internationalem Recht als Kriegsverbrechen.
Sie hoffe, das zusammengetragene Material könne eines Tages als Materialgrundlage für die Arbeit von Juristen und Ermittlern dienen, sagt McAvoy. So könnten die Verantwortlichen dann womöglich zur Rechenschaft gezogen werden.
Doch der Versuch, Täter zur Verantwortung zu ziehen, erfordert grundsätzlich mehr als nur eine visuelle Dokumentation. "Ein Video kann immer nur ein Teil des Puzzles sein. Weil aber die Vorgänge in Syrien so gut dokumentiert sind, ist es ein wichtiger Teil des Puzzles", sagt Libby McAvoy.
Beobachter nehmen an, dass das syrische Regime, unterstützt von russischen Streitkräften, versuchen wird, die Provinz Idlib im Norden Syriens zurückzuerobern. Sie gilt als letzte Bastion der Rebellenkräfte.
Hadi al-Khatib, Leiter des "Syrian Archive", ist besorgt, dass syrische und russische Kräfte dabei weiterhin Krankenhäuser ins Visier nehmen werden. Auf diese Weise wollten sie verhindern, dass verwundete Kämpfer der Gegenseite medizinischen Zugang erhielten.
Abschreckende Beweise
"Was auch immer mit Idlib passieren wird, medizinische Einrichtungen werden zu den ersten Zielen gehören", so al-Khatib im DW-Gespräch. "Das möchten wir dokumentieren - in der Hoffnung, dass entsprechende Beweise in Zukunft abschreckend wirken werden."
Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.