Berlin, ewige Hauptstadt der Spione
13. August 2021David S. heißt der Mann, den Beamte des Bundeskriminalamtes,BKA, am 10. August in Potsdam festgenommen haben. Ganze vier Sätze umfasst die Begründung der Bundesanwaltschaft für den Haftbefehl:
"David S. war bis zu seiner Verhaftung als Ortskraft bei der britischen Botschaft in Berlin beschäftigt. Bei mindestens einer Gelegenheit übermittelte er Dokumente, die er im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit erlangt hatte, an einen Vertreter eines russischen Nachrichtendienstes. Der Beschuldigte erhielt als Gegenleistung für seine Informationsübermittlung Bargeld in bislang unbekannter Höhe. Die Festnahme ist das Ergebnis gemeinsamer Ermittlungen deutscher und britischer Behörden."
Die Hauptstadt-Presse hat viele Fragen
Ein spektakulärer Fall? Eher nicht. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im britischen Parlament, Tom Tugendhat, schätzt den Verdächtigen als eher kleines Licht ein, heißt es in einer Meldung der Deutschen Presse-Agentur, dpa. Sie zitiert aus einem Interview des Politikers mit dem britischen Sender BBC: "Wir reden über jemanden ziemlich weit unten in der Hierarchie, der eindeutig einige unkluge Entscheidungen getroffen hat und womöglich sein Land verraten hat."
Briten und Deutsche hätten durch die monatelange Observierung des Mannes nun womöglich nützliche Informationen über die Arbeit der Russen in Berlin erhalten, mutmaßt Tugendhat. Entsprechend neugierig sind die Hauptstadt-Journalisten in der Regierungspressekonferenz in Berlin am Tag nach der Festnahme – und stellen Fragen:
- Wird eventuell der russische Botschafter einbestellt?
- Wird über neue Sanktionen nachgedacht?
- Haben deutsche Behörden den Vertreter russischer Nachrichtendienste identifiziert? Und falls ja: Ist er Mitarbeiter der russischen Botschaft in Berlin?
Dürftige Antworten der Bundesregierung
Die Antworten sind bislang dürftig. "Sehr ernst" nehme man die Hinweise, dass die geheimdienstliche Tätigkeit des Festgenommenen im Auftrag eines russischen Nachrichtendienstes erfolgt sei, sagt ein Sprecher des deutschen Außenministeriums. "Geheimdienstliches Ausspähen eines engen Bündnispartners auf deutschem Boden ist nichts, was wir akzeptieren können." Deswegen werde man die weiteren Ermittlungen des Generalbundesanwalts sehr genau verfolgen.
Dieser Bewertung schließt sich ein Sprecher des Justizministeriums an und fügt hinzu: "Informationen über die Pressemitteilung der Bundesanwaltschaft hinaus kann ich natürlich nicht geben. Ich würde Sie bitten, sich dafür direkt an die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zu wenden." Gesagt, getan. Die Antwort: "Ich bitte um Verständnis, dass wir über den Inhalt unserer beiden Pressemitteilungen vom 11. August 2021 hinaus keine weiteren Angaben zu dem Ermittlungsverfahren machen können."
Bekannt ist immerhin, dass David S. kein aus London nach Berlin delegierter klassischer Diplomat ist. Er wurde als "Ortskraft" von der Botschaft in Berlin eingestellt.
Dass gerade russische Schlapphüte in Berlin sehr aktiv sind und mit finanziellen Anreizen zum Geheimnisverrat zu verführen versuchen, davon ist der deutsche Verfassungsschutz schon lange überzeugt. Im aktuellen Bericht des Inlandsgeheimdienstes, der auch für Spionage-Abwehr zuständig ist, werden die vier "Hauptakteure der gegen Deutschland gerichteten Spionage und Einflussnahme" genannt, in dieser Reihenfolge: Russische Föderation, Volksrepublik China, Islamische Republik Iran, Türkei.
Russland im Visier des Verfassungschutzes
Russland steht also besonders im Fokus des Verfassungsschutzes. Der Bericht listet drei Fälle auf, die die "politischen Beziehungen zur westlichen Staatengemeinschaft" beeinträchtigten - von denen sich allerdings nur einer sich auf dem Gebiet der Bundesrepublik ereignet hat:
- Giftanschlag auf den zum britischen Geheimdienst übergelaufenen früheren Offizier des russischen Militärgeheimdienstes GRU, Sergej Skripal, und seiner Tochter in der englischen Grafschaft Salisbury im März 2018.
- Mord an einem Georgier in einer belebten Berliner Parkanlage im August 2019.
- Giftanschlag auf den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny im August 2020 in Russland.
Im Lichte dieser wirklich Aufsehen erregenden Fälle erscheint der jetzt festgenommene mutmaßliche Spion David S. vergleichsweise harmlos. Welche Dokumente er den Russen geliefert haben soll, darüber schweigt sich die Bundesanwaltschaft aus. Und weil auch der gut vernetzten "Bild"-Zeitung niemand Details über den Tatvorwurf verraten hat, garniert das Boulevard-Blatt seinen Artikel mit Anleihen aus der fiktiven Welt des wohl berühmtesten Kino-Spions: James Bond alias 007. Der Festgenommene sei im Vergleich mit ihm ein "00Niemand".
Die "Bild"-Zeitung und "00Niemand"
Wenn stimmt, was die Journalisten der "Bild" sonst herausgefunden haben, hat David S. eine Glatze, ist untersetzt und etwa 1,75 Meter groß. "Ist er der russische James Bond von Berlin - Putins Spion?", fragt die Gazette? Und schmückt ihren Text geradezu filmreif aus:
"Polizei, BKA und Verfassungsschutz kamen am späten Abend, um ihn zu holen. 23 Uhr, Potsdam, ein 4-stöckiger, anonymer, moderner Neubau. Davor parkt kein Aston Martin, sondern der Ford Fiesta des Spions. Die Polizei durchsucht die helle 2-Zimmer-Wohnung mit Balkon und zugezogenen Rollos bis 4 Uhr früh. Die Vögel zwitschern. Es dämmert über dem mondänen Potsdam, wo Millionäre und Milliardäre wohnen, aber auch alte Stasi-Generäle."
Dass David S. in Potsdam wohnt, passt auf fast schon kitschige Art zu dieser Geschichte und dem Klischee von Berlin als Hauptstadt der Spione. Denn die beiden Städte sind mit der legendären Glienicker Brücke verbunden. Zu Zeiten der deutschen Teilung verlief die Grenze genau in der Mitte. An diesem historischen Ort tauschten die damaligen Supermächte Sowjetunion und USA ihre festgenommenen Spione aus. Steven Spielbergs "Bridge of Spies" handelt davon und in John Le Carrés Thriller "Der Spion, der aus der Kälte kam" spielen sich dramatische Szenen in Potsdam ab.
Wo sich der mutmaßlich echte Spion David S. mit seinen Auftraggebern getroffen hat, wissen die Ermittler wahrscheinlich schon. Schließlich haben sie die beiden lange observiert. Infrage kämen Cafés im Berliner Regierungsviertel. Die britische Botschaft, wo der 57-Jährige bislang gearbeitet hat, ist nur einen Steinwurf von der russischen entfernt. Oder haben sie sich im weitläufigen Tiergarten zu einem Spaziergang getroffen, um brisante Informationen auszutauschen? Der Möglichkeiten gibt es in dieser Gegend viele – und der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Vielleicht entpuppt sich der vermeintliche Agenten-Thriller am Ende als eher banale Alltagskost. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft ist der Fall David S. nur einer unter vielen. Haftbefehle oder Anklagen wegen des Vorwurfs der Spionage sind Routine. David S. ist 2021 nicht der erste Agent, der in Berlin aufgeflogen ist. In einer Stadt, in der es aufgrund ihrer vielen Botschaften aus aller Welt, wegen des Sitzes von Parlament und Regierung Tausende Spione geben soll. Enttarnt werden aber nur wenige.
Ein Fall unter vielen
Jens F. zum Beispiel. Gegen ihn hat die Bundesanwaltschaft schon im Februar 2021 vor dem Staatsschutzsenat des Kammergerichts in Berlin Anklage erhoben. Er arbeitete für ein Unternehmen, das für den Deutschen Bundestag tätig war: Mit der Überprüfung der Betriebssicherheit von elektronischen Geräten. Um die entsprechenden Anlagen zu finden, hatte der Mittfünfziger Zugang zu Plänen und Grundrissen der Bundestagsgebäude. In der etwas verklausulierten Sprache der Bundesanwaltschaft liest sich das so: "Gegenstand der jeweiligen Aufträge war die Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen von ortsveränderlichen elektrischen Geräten in den durch den Bundestag genutzten Liegenschaften".
Spätestens in der Zeit von Ende Juli 2017 bis Anfang September 2017 soll sich Jens F. - nach ZDF-Informationen ehemaliger Offizier der Nationalen Volksarmee der DDR und Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi - "aus eigenem Antrieb" dazu entschieden haben, Informationen an russische Nachrichtendienste weiterzugeben. "Hierfür fertigte er einen Datenträger mit den entsprechenden PDF-Dateien und übersandte ihn an einen Mitarbeiter in der russischen Botschaft in Berlin, der hauptamtlich für den russischen Militärgeheimdienst GRU tätig ist."
So konkret wie bei Jens F. hat sich die Bundesanwaltschaft im Fall David S. noch nicht geäußert. Man darf gespannt sein, was da noch kommt. Am Ende vielleicht: Nichts! Schließlich geht es hier um Geheimdienste…