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Berlin: Grüne Woche zwischen Stress und Zukunftsangst

20. Januar 2023

2023: Ukraine-Krieg, Klimakrise, Inflation - noch nie waren die Herausforderungen für die Ernährungsbranche größer. Das ist auch auf der Grünen Woche in Berlin spürbar, der weltgrößten Agrarmesse.

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Lebensmittel und Einkaufszettel
Lebensmittel sind teurer gewordenBild: Matthias Stolt/CHROMORANGE/picture alliance

Streusel aus Algen, Trüffelmarmelade, Elch-Burger, ein Drink aus Eicheln, aber auch Bier, Schweinshaxen und Currywurst: Auf den ersten Blick ist auf der Grünen Woche alles beim Alten: Hier könne man "Lebensmittel riechen, sehen, fühlen, schmecken, genießen", beschreibt der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, die Messe in Berlin.

1400 Aussteller aus 60 Ländern präsentieren sich nach zwei Jahren pandemiebedingter Pause auf der Leistungsschau der Agrar- und Ernährungsindustrie. Darunter sind rund 975 Aussteller aus Deutschland und 425 internationale Aussteller. Mit einem breiten Angebot kulinarischer Angebote, mit Erlebnisbauernhof, Kühen, Schafen und Pferden sollen in zehn Messetagen wieder hunderttausende Besucher auf das Ausstellungsgelände unter dem Berliner Funkturm gelockt werden.

Unternehmen ächzen

Hinter der Hochglanzfassade steckt die Ernährungsbranche allerdings in großen Schwierigkeiten. "Es geht, auch ausgelöst durch den unsäglichen Krieg durch die russische Aggression in der Ukraine, um die Frage: Wie können wir unsere Ernährung sichern?", sagt Bauernpräsident Rukwied. "Die Herausforderung war noch nie nach dem Zweiten Weltkrieg so groß", ergänzt Christian von Boetticher, Vorsitzender der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie.

Deutschland Berlin Internationale Grüne Woche 2023. Christian von Boetticher (l-r), Vorsitzender der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, und Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes stehen zusammen bei einer Pressekonferenz auf der Grünen Woche vor einer grünen Wan
Christian von Boetticher (li.), Vorsitzender der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, und Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen BauernverbandesBild: Fabian Sommer/dpa/picture-alliance

Es sind vor allem die steigenden Preise für Energie, Rohstoffe und Düngemittel, die den Produzenten und am Ende auch den Kunden das Leben schwer macht. Schon 2021 seien die Preise Getreide und andere Rohstoffe wegen Missernten in Nordamerika und mäßigen Ernten in Europa nach oben gegangen, erklärt Boetticher. "Dazu kamen die Störungen in den Lieferketten durch die Corona- Pandemie und dann Krieg in der Ukraine."

Angespannte Lage

Um durchschnittlich mehr als 150 Prozent seien die Energiepreise gestiegen, um mehr als 40 Prozent die Preise für Rohstoffe. "Vor allem die Energiepreise zwingen die Betriebe langsam in die Knie", so Boetticher. Zumal es nicht möglich sei, die Kosten "am Ende eins zu eins auf den Verbraucher umzuwälzen". Das führe dazu, "dass jetzt nicht der Produzent mit gefüllten Taschen glücklich herumläuft", sondern die Lage in den Betrieben "im höchsten Maße angespannt" sei.

Für die Bauern haben die Preissteigerungen auch positive Effekte. Zwar sind ihre Kosten ebenfalls höher, nicht nur für Energie, auch für Dünger, Maschinen und Ersatzteile. Doch die finanzielle Lage ist besser als noch vor ein paar Jahren, als die Erlöse für Milch und Fleisch zum Teil weit hinter den Kosten für die Erzeugung zurückblieben. "Wir brauchen ein deutlich höheres Preisniveau, um überhaupt weiter erzeugen zu können", betont Bauernpräsident Rukwied.

Symbolbild: Getreidefelder in der Ukraine
Die Ukraine ist ein weltweit bedeutender WeizenproduzentBild: Genya Savilov/AFP/Getty Images

Bio-Lebensmittel bleiben liegen

Für 2023 erwartet er keine sinkenden Preise. "Bei Getreide haben wir bis auf Weiteres eine knappe Versorgungssituation, so dass wir da auch von stabilen Preisen - die wir auch brauchen - ausgehen können. Insofern sehe ich hier keine Entspannung, sondern gehe davon aus, dass die Verbraucherpreise mindestens auf diesem Niveau bleiben."

Allerdings haben die Kunden ihr Einkaufsverhalten in den vergangenen Monaten spürbar geändert. Von einem "gezielten Griff zum preislichen Einstiegssegment" spricht Rukwied. Nach Jahren des Booms habe Bio-Ware nur noch Zuwächse im Discounter, während der Absatz im übrigen Handel zurückgehe. Eine Entwicklung, die das Ziel der Bundesregierung konterkariert, bis 2030 den Anteil von Bio-Lebensmitteln auf 30 Prozent zu steigern. Die auch politisch gewollte Weiterentwicklung der Landwirtschaft könne nur funktionieren, wenn höherwertige heimische Produkte auch eingekauft würden, betont Rukwied.

Bessere Haltungsbedingungen für Tiere kosten

Probleme sieht der Bauernverband auch beim Umbau von Ställen und anderen Investitionen in mehr Tierwohl. "Es brodelt ein Stück weit in der Branche", warnt Rukwied. Eine Milliarde Euro will die Bundesregierung für die kommenden vier Jahre bereitstellen, um die Tierhalter finanziell zu unterstützen. "Unabhängige Wissenschaft hat errechnet, dass man rund vier Milliarden Euro pro Jahr benötigt, um diesen Umbau auf den Weg zu bringen."

In einem Stall stehen Schweine dicht gedrängt.
Billiges Fleisch aus Massentierhaltung war Jahrzehnte lang üblich Bild: Sina Schuldt/dpa/picture alliance

Die Tierhaltung sei in Deutschland ohnehin rückläufig. Massive Einbrüche gibt es bei den Schweinehaltern. Aktuell sind es 16.900, das sind 1900 weniger als ein Jahr zuvor. Rukwied spricht von einer Verlagerung der Mast in andere Länder. In den letzten zehn Jahren seien die Schweinebestände in Deutschland um 5,8 Millionen Tiere reduziert worden. "In der gleichen Zeit hat Spanien die Bestandszahlen um 7,4 Millionen erhöht. Das ist aus meiner Sicht nicht zielführend."

Mehrwertsteuer für Vegetarisches senken?

Einbrüche gibt es auch bei Obst und Gemüse. Das Statistische Bundesamt meldet, dass im vergangenen Jahr gut sieben Prozent weniger Obst und gut fünf Prozent weniger Gemüse in Deutschland verkauft wurden. Dabei will die Bundesregierung eine mehr pflanzenbasierte und nachhaltigere Ernährungsweise ausdrücklich fördern.

Deutschland Berlin Internationale Grüne Woche 2023. In Holzkisten liegen Äpfel, Wirsing, Lauch und Pastinaken
Werden Gemüse und Obst bald preiswerter?Bild: Fabian Sommer/dpa/picture-alliance

Derzeit wird diskutiert, ob eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse, aber auch auf Hülsenfrüchte das Kaufverhalten ändern könnte. Die Chefin der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), Ramona Pop ist davon überzeugt. Zum Start der Grünen Woche forderte sie die Bundesregierung zu entschiedenen Schritten auf. Dazu gehöre nicht nur die steuerliche Förderung einer nachhaltigen Ernährung, sondern beispielsweise auch, an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung strenger zu regulieren.