Trump: Berlin stellt sich auf mögliche Präsidentschaft ein
Veröffentlicht 17. Juli 2024Zuletzt aktualisiert 18. Juli 2024Im Berliner Regierungsviertel macht man sich Sorgen. Die meisten Politiker setzen auf eine Wiederwahl des Demokraten Joe Biden als US-Präsident, dem sie politisch viel näherstehen. Aber bei seinen Auftritten häufen sich Versprecher und Aussetzer. Und seit dem Attentat auf Donald Trump scheint der Aufstieg des Republikaners unaufhaltsam. Der Parteitag in Milwaukee hat denn auch unter tosendem Applaus Trump offiziell zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner gekürt.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat aus seiner Präferenz keinen Hehl gemacht und beim G7-Gipfel im Juni in Italien deutlich erkennen lassen, dass ihm eine zweite Amtszeit von Joe Biden lieber wäre.
Ein Fehler, findet Jens Spahn von der größten Oppositionspartei CDU, die bei Trumps Präsidentschaft 2016 bis 2020 Regierungspartei in Berlin war. Spahn ist nach Milwaukee zum Parteitag der Republikaner gereist, weil er meint, dass die deutsche Politik anders mit Trump umgehen sollte: "Ich denke, Trump wird sehr wahrscheinlich der nächste Präsident der USA", sagt er der DW, "und wir sollten nicht den gleichen Fehler wie bei seiner letzten Präsidentschaft machen. Damals hatte niemand ein Netz von Kontakten zu Trumps Team. Niemand wusste wirklich, was er vorhatte. Diesmal sollten wir das vorher wissen und Kontakte zu ihm und seinem Team aufbauen. Deshalb ist es wichtig, hier zu sein."
J.D. Vance: "Mir ist egal, was mit der Ukraine passiert"
Besorgnis in Deutschland hat nicht nur die Aussicht auf eine Wiederwahl Trumps, sondern auch die Nominierung seines Vize J.D. Vance ausgelöst. Sorgen macht man sich zum Beispiel beim Thema Ukraine-Unterstützung. Vance habe auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) im Februar "sehr klar gemacht, wie schnell Trump und er die Ukraine Putin ausliefern würden", schrieb Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang auf X. Vance hatte 2022 in einem Podcast offen gesagt: "Mir ist eigentlich egal, was mit der Ukraine passiert."
MSC-Chef Christoph Heusgen sagte der Nachrichtenagentur Reuters, Vance habe seine Position in München klar benannt: "Die USA würden künftig andere Prioritäten setzen, Europa müsse sich selbst um seine Verteidigung kümmern und auch die Hauptlast bei der Unterstützung der Ukraine von den USA übernehmen."
Deutschlands Abhängigkeit von den USA noch gewachsen
Dass Deutschland und Europa mehr für ihre Verteidigung tun müssen, ist nicht neu. Trump hat das schon während seiner Präsidentschaft 2016 bis 2020 immer wieder gesagt.
"Das Problem ist", analysiert Dominik Tolksdorf von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, "dass Deutschland und Europa heute noch viel 'verletzlicher' als 2016 sind, weil Russland nicht nur die Ukraine, sondern ganz Europa bedroht und Europa sicherheitspolitisch weiter sehr abhängig von den USA ist." Die Europäer könnten heute Trump aber zumindest besser einschätzen als 2016, schreibt Tolksdorf der DW.
Der CDU-Politiker Jens Spahn sagt, Trump sei ein Weckruf für die Europäer, "erwachsen" zu werden: "Die USA sind unser wichtigster Verbündeter. Sie sind es, die die Sicherheit in Europa garantieren. Die Wahrheit ist, ohne die USA ist Europa nicht sicher. Das gilt heute und auf absehbare Zeit. Daher brauchen wir die USA als unseren Partner, egal, wer der Präsident ist."
Hinter den Kulissen bereitet sich die Berliner Politik längst auch auf eine mögliche zweite Amtszeit Trumps vor, schreibt Michael Link (FDP), Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, der DW. Link nimmt ebenfalls als Gast am Parteitag der US-Republikaner in Milwaukee teil. "Die größte Herausforderung in der Vorbereitung ist Trumps Unberechenbarkeit", meint Link. "Keiner kann abschließend sagen, welche Programmpunkte Trump in einer zweiten Amtszeit umsetzen würde. Daher müssen wir vor allem unsere eigene Handlungsfähigkeit und die der Europäischen Union stärken."
US-Langstreckenwaffen in Deutschland im Sinne Trumps
Bei den Verteidigungsausgaben hat Deutschland bereits eine Wende eingeleitet und das Militärbudget deutlich erhöht, wenn auch vor allem bedingt durch die russische Bedrohung. Einen weiteren Schritt hat Bundeskanzler Scholz erst vor wenigen Tagen beim NATO-Gipfel in Washington unternommen. Mit Präsident Biden vereinbarte er eine Stationierung amerikanischer Langstreckenwaffen in Deutschland.
"Viele der Waffensysteme, um die es jetzt geht, wurden gerade unter Trump angestoßen", sagte Tim Thies vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg der DW, als der Deal bekannt wurde. "Zudem soll Deutschland für deren Stationierung laut Verteidigungsminister Boris Pistorius selbst zahlen. Die Bundesregierung scheint etwaige Forderungen von einem möglichen künftigen Präsidenten Trump nahezu vorbeugend zu antizipieren."
Wie kann sich die Bundesregierung auf eine mögliche weitere Trump-Präsidentschaft vorbereiten? Michael Link antwortet: "Die Bedingungen an unserem eigenen Standort verbessern, die EU stärker und wettbewerbsfähiger machen und den europäischen Pfeiler der NATO stärken. Deutschland muss eine Führungsrolle für eine selbstbewusste und geeinte EU im transatlantischen Bündnis übernehmen."
Erinnerungen an Trumps erste Amtszeit
Viele deutsche Politiker erinnern sich mit Schrecken an die erste Präsidentschaft Trumps. Sein Wahlsieg damals hatte die meisten kalt erwischt, weil sie fest mit einer US-Präsidentin Hillary Clinton von den Demokraten gerechnet hatten.
Wie tief der Graben zwischen Trump und der deutschen Politik damals war - und immer noch ist -, zeigte auch die äußerst undiplomatische Äußerung des damaligen deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier. Der hatte Trump während des US-Wahlkampfs 2016 als "Hassprediger" bezeichnet. Zum Glück für den späteren Bundespräsidenten blieb ihm ein Staatsbesuch Trumps in Deutschland bisher erspart.
Was sich für Deutschland ändern würde
An der Zusammenarbeit mit dem amtierenden US-Präsidenten Joe Biden schätzt Transatlantik-Koordinator Michael Link, dass er "Deutschland als Partner, aber auch die EU als Institution, sehr ernstnimmt. Er investiert in multilaterale Partnerschaften wie die G7 und auch in internationalen Organisationen wie die UN."
Link befürchtet: "In einer zweiten Trump-Administration wäre mit dem Gegenteil zu rechnen: Trump setzt auf bilaterale Beziehungen und neue transaktionale 'Deals' statt auf bestehende Allianzen und Bündnisse. Er respektiert die EU nicht als ebenbürtige Partnerin und würde versuchen, die europäischen Staaten gegeneinander auszuspielen."
Der Politikwissenschaftler Dominik Tolksdorf vermutet für den Fall eines Wahlsiegs von Donald Trump: "Die Beziehungen würden sehr abkühlen, man sollte aber trotzdem nach Wegen suchen, halbwegs konstruktive Beziehungen aufrechterhalten."
Nach wie vor hoffen die Mitglieder der Bundesregierung, dass ein Demokrat - nach Lage der Dinge Joe Biden - die Wahl gewinnt. Doch die Zweifel angesichts von Bidens Schwäche nehmen zu, und man beginnt in Berlin, sich auf den Fall des Falles einzustellen.
Michael Link ist sich aber sicher: "Donald Trump wird im Falle seiner Wiederwahl trotz aller America-First-Rhetorik feststellen, dass die USA auch unter ihm auf Verbündete angewiesen sein werden, z.B. in der Chinapolitik, wo die USA und die EU sehr viel mehr Wirkung entfalten können, wenn sie zusammenarbeiten statt sich aneinander abzuarbeiten."
Dieser Artikel erschien am 17.07.2024 und wurde am 18.07.2024 aktualisiert.