Berlin sucht den Dialog mit Warschau
18. Mai 2017Frank-Walter Steinmeiers Vorgänger als deutscher Bundespräsident, Joachim Gauck, hatte Polen im Jahr 2012 als erstes Land in seiner Amtszeit besucht. Für Steinmeier ist Polen fünf Jahre später nicht einmal unter den ersten sieben Besuchszielen. Erst zwei Monate nach Amtsantritt reist der Bundespräsident an diesem Freitag nach Warschau, wo die rechts-populistische Kaczyński-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) den Staatspräsidenten und die Regierung stellt. Bei Gaucks Antrittsbesuch vor fünf Jahren regierten noch die Liberalen (Bürgerplattform) des jetzigen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, und auch Präsident Bronisław Komorowski war ein erklärter Europafreund.
Abgekühlte Nachbarschaft
Inzwischen haben sich die politischen Machtverhältnisse in Polen gewaltig verschoben. Liberale Kräfte sind im Parlament marginalisiert. Deutschlands östlicher Nachbar wird de facto von PiS-Parteichef Kaczyński regiert, der keinen Hehl aus seiner Skepsis gegenüber Brüssel und Berlin macht. Staatspräsident Andrzej Duda und Regierungschefin Beata Szydło tanzen nach Kaczyńskis Pfeife. Auch setzt die PiS -Innenpolitik klar vor Außenpolitik.
Seit dem Machtwechsel kühlte sich Polens Verhältnis zu seinen Nachbarländern ab, vor allem zu Deutschland. Der rechtsnationale Kaczyński zieht immer wieder die anti-deutsche Karte, um innenpolitisch zu punkten. Berlin hat deshalb seit dem Machtantritt der PiS im Herbst 2015 viel in eine vorauseilende Deeskalation investiert. Deutsche Regierungspolitiker halten sich in der Öffentlichkeit mit Kritik an Polens Verhältnis zu Rechtsstaatlichkeit, Medien- und Versammlungsfreiheit, aber auch an der äußerst restriktiven Flüchtlingspolitik zurück. Dies hielt auch Steinmeier bei seinen Polenreisen als Außenminister so. Hinter verschlossenen Türen werde jedoch durchaus Klartext gesprochen, sagen Diplomaten.
Klare Signale
Auch der späte Termin für den Antrittsbesuch Steinmeiers darf als klares Signal an Polen interpretiert werden: Unter Kaczyński hat das Land massiv an Einfluss in der EU eingebüßt. Für Steinmeier kommt Polen nach Griechenland und Palästina. Links liegen lassen will Berlin den Nachbarn dennoch nicht. Zu wichtig ist es für Berlin, bald möglichst viele EU-Partner für die schwierigen Brexit-Verhandlungen in ein gemeinsames Boot zu bekommen. Ebenso kann Polen als ein Land mit fast 40 Millionen Einwohnern eine wichtige Rolle bei den von Emanuel Macron und Angela Merkel angestoßenen Diskussionen über die Zukunft des Lissaboner Vertrags und damit der EU spielen.
Berlin sucht deshalb händeringend neue Dialogfenster mit Warschau und versucht, allen Unstimmigkeiten zum Trotz, Gespräche und Besuche nicht abreißen lassen. Auch deshalb wurde die Warschauer Buchmesse, bei der Deutschland dieses Jahr Gastland ist, als idealer Anlass für einen so späten Antrittsbesuch des neuen Bundespräsidenten ausgemacht. Man hofft, gemeinsame Wertvorstellungen zumindest über die Kultur zu pflegen. Tagespolitische Probleme sollen bei dem Treffen zwischen den Präsidenten Steinmeier und Duda nicht zur Sprache kommen.
Fragen an die Nachbarn
Für positive Impulse könnte die polnische Präsidentengattin sorgen. Agata Duda-Kornhäuser engagierte sich jahrelang als Deutschlehrerin im bilateralen Schüleraustausch. Das wünscht man sich auch deshalb, weil die politische Abkühlung auch die Stimmung in der Gesellschaft beeinflusst - das zeigt eine gerade veröffentlichte Studie des Polnischen Instituts für Öffentliche Angelegenheiten in Warschau.
Zwar schätzen demnach immer noch 64 Prozent der Befragten in Polen das nachbarschaftliche Verhältnis als gut oder sehr gut ein (2000 waren es noch 77 Prozent), doch zugleich steigen die Sorgen um die gemeinsame Zukunft. Nur 31 Prozent glauben, ein starkes Deutschland sei gut für Polen. Und nur jeder zweite Pole denkt, dass Berlin einen positiven Einfluss auf die europäische Integration und die Eurokrise habe. Immer mehr Menschen zeigen sich verunsichert und antworten neuerdings mit "Ich weiß nicht" - eine Folge der wachsenden antideutschen Stimmung, folgern die Autoren der Studie. "Sollte die antideutsche Rhetorik weiter steigen, können die Unentschiedenen bald zu negativen Antworten tendieren", sagt Agnieszka Łada, Autorin der Studie.
Zwischen Ratlosigkeit und Charme-Offensive
Die beunruhigenden Trends könnten also am Rande des Treffens ein Gesprächsthema werden. Doch wenn es nach Plan geht, wollen sich Steinmeier und Duda während des einstündigen Treffens im Warschauer Präsidentenpalast in erster Linie der neuen Ausgangslage in der EU nach dem Sieg der pro-europäischen Zentrumskräfte in den Niederlanden und in Frankreich und sicherheitspolitischen Themen wie Syrien, der Ukraine und den Sanktionen gegen Russland widmen.
Bei Letzterem gibt es durchaus Übereinstimmungen. Duda hat - zumindest laut Verfassung - in der Sicherheits- und Außenpolitik ein Wort mitzureden. In der politischen Realität hat er sich jedoch bisher eher als williger Vollstrecker Kaczyńskis erwiesen. Und der zieht klar innenpolitische Interessen vor.
Zuletzt brachte Duda aber auch eine Eigeninitiative ins Spiel: ein Referendum über eine Verfassungsänderung. Noch ist allerdings unklar, ob daraus am Ende ein erfolgreicher Emanzipationsversuch des jungen Präsidenten wird, oder ob es nur Kaczyńskis innenpolitischen Zielen nutzt.