Berlin und Corona: Nur raus aus der Stadt?
6. August 2020Corona hat seine Spuren in den großen Städten dieser Welt hinterlassen. In New York beispielsweise haben innerhalb weniger Wochen 400.000 Einwohner die Stadt auf der Flucht vor dem Coronavirus verlassen. Das berichten verschiedene Medien. Insgesamt leben etwas über acht Millionen Menschen in der US-amerikanischen Metropole. In Berlin sind es mit rund 3,8 Millionen Menschen nicht ganz so viele. Aber auch hier sind die Menschen von der Pandemie betroffen. Flüchten auch sie vor dem Virus?
Die Ausgangslage in der deutschen Hauptstadt sei eine andere als für Pariser, New Yorker oder Londoner, sagt Ariane Sept vom Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung. Denn einen klassischen Landsitz, auf den man schnell fliehen kann, hätten nur wenige. Stattdessen besitzen Berliner eher einen Garten weiter außerhalb, in dem man zwar gern auch länger verweile, offiziell aber nicht wohnen dürfe - weil es oftmals nur sogenannte Datschen oder Wochenendgrundstücke sind.
Das Institut, an dem Sept forscht, untersucht Wechselbeziehungen zwischen Städten und Regionen - wie etwa die zwischen der Hauptstadt Berlin und dem umliegenden Bundesland Brandenburg. Besonders interessieren die Forscher Transformationsphasen. Könnte die Corona-Pandemie eine solche Phase großer Veränderungen auslösen?
Berlin-Drain läuft schon länger
Die Pandemie werde wohl im Fall von Berlin weniger neue Trends setzen, sondern stattdessen bestehende verstärken, glaubt Regionalforscherin Sept. Denn eine Abwanderung ins nahe Brandenburger Umland gebe es schon seit zehn Jahren. Und 2014 habe ein weiterer Trend begonnen: Vor allem junge Familien suchten sogar im weiter entfernten, sogenannten Metropolen-Raum, eine neue Bleibe. Das heißt: Die Leute ziehen sogar weg aus Berlin in kleine und größere Städte und Dörfer in Brandenburg.
Das bestätigt auch der neue, Ende Juli von der Landesregierung veröffentlichte, Grundstücksmarktbericht für das Bundesland Brandenburg. Die Nachfrage erreiche demnach "aufgrund des niedrigeren Preisniveaus immer stärker die Städte in der zweiten Reihe und die dörflichen Lagen". Das könne sogar, heißt es weiter in dem Bericht, Auswirkungen auf die Zukunft haben und dazu führen, dass im Jahr 2030 genauso viele Einwohner wie heute in Brandenburg leben – eine erstaunliche Aussage, denn die bisherige Bevölkerung des Bundeslandes ist tendenziell älter und die Region hatte bislang eher eine demographische Negativ-Prognose.
Wird Home-Office zum Katalysator?
Auch wenn die Berliner nicht erst seit Corona ihre Stadt verlassen, könnten sich nun diejenigen, die schon länger mit dem Gedanken spielten, aufs Land zu ziehen, ermutigt fühlen, den Plan auch umzusetzen, sagt Sept vom Leibniz-Institut: "Manche testen bereits das Landleben, indem sie ein Haus oder eine Wohnung auf dem Land mieten - mit mehr Platz, Ruhe und vor allem einem geringerem Infektionsrisiko." Da viele im Home-Office arbeiteten, sei das wohl ganz gut gegangen.
Doch, dass aus Stadtflucht Landliebe wird, sei nicht immer der Fall, sagt Sept. Die romantische Vorstellung vom Leben auf dem Land sei so eine Sache. "Der Alltag ist an vielen Stellen zwar schön, aber auch anstrengend. Man muss sich zum Beispiel ins Auto setzen, um einzukaufen oder ins Büro zu fahren." Mal schnell wie gewohnt mit dem Fahrrad Dinge in fünf Minuten erledigen, sei auf Dörfern wegen der fehlenden Infrastruktur eher schwierig umzusetzen.
Die Zahlen zeigen keine Stadtflucht
Noch schlägt sich laut Berliner Senat eine Stadtflucht auf Grund von Corona auch in offiziellen Zahlen der zuständigen Einwohner-Meldeämter nicht nieder. Beim Jahresvergleich der "Wegzüge" sei der Trend sogar gegenläufig. Von März bis Juli 2020 zogen demnach viel weniger Menschen aus Berlin weg als im gleichen Zeitraum 2019. Einen Grund dafür nannte der Senat nicht. Interessanterweise aber liegen auch die "Zuzüge" unter den Werten des Vorjahres. Was darauf hindeutet, dass Lockdown und Reisebeschränkungen anscheinend auch diese Mobilität eingeschränkt haben.
Eine "Fluchtwelle" wie in New York kann der Senat für Berlin jedenfalls also nicht vermelden - oder zumindest noch nicht. "Zu beobachten bleibt", steht im Brandenburger Grundstücksbericht, "ob veränderte Arbeitsformen, wie das Homeoffice, das in den letzten Monaten für viele Menschen zur Normalität wurde, ebenfalls zu einer Verlagerung der Nachfrage führen wird."
Für Berlin stelle sich aktuell eher eine andere Frage, so Sept. "Die Frage jetzt ist weniger, wer Berlin verlässt, sondern wer nicht mehr kommt, weil die Stadt in Folge der Pandemie unattraktiver geworden ist". Ein Beispiel: internationale Studenten, von denen es viele bislang auch wegen der Party-Szene in die deutsche Hauptstadt zog. Doch ohne Aussicht auf Party, weil die Clubs zu oder pleite sind, falle die Entscheidung vielleicht eher auf eine Kleinstadt. "Da kostet die Miete nicht so viel und der Ruf der Uni ist mitunter auch besser", sagt Sept.
Was das für Berlin bedeuten könnte, zeigen andere Zahlen. Trotz der vielen Wegzüge hat Berlin in den letzten Jahren netto Einwohner dazu gewonnen. Das lag aber nicht an denen, die aus der deutschen Provinz nach Berlin zogen. Sondern an denen, die aus dem Ausland kamen - wie Studenten oder Kulturschaffende. Ohne sie wäre Berlin bereits geschrumpft.