Berlin und Leipzig: Die Ost-Renaissance in der Bundesliga
3. September 2023Es war im Sommer 1990, Deutschland hatte gerade den Weltmeistertitel in Italien gewonnen, da übergab Teamchef Franz Beckenbauer an seinen Nachfolger Berti Vogts. "Auf Jahre hinaus wird unsere Nationalmannschaft unschlagbar sein", prophezeite der "Kaiser" damals im Überschwang. Da waren zum einen die Stars wie Lothar Matthäus, Rudi Völler oder Jürgen Klinsmann, da war zum anderen aber auch der Blick auf die Neuen aus dem Osten der Republik. Denn wenige Monate zuvor war die Mauer gefallen, der Weg war frei für Matthias Sammer, Andreas Thom und Ulf Kirsten, schon bald würden sie das gesamtdeutsche Team verstärken.
Tatsächlich etablierten sich vor allem Sammer und Kirsten bald in der Nationalelf, weitere Stars sollen hinzukommen. Vor allem aber begann mit der Wiedervereinigung der Ausverkauf des Ostens. Dabei hatte der DFB zur Saison 1991/92 die Bundesliga extra um zwei Plätze aufgestockt, um Dynamo Dresden und Hansa Rostock, die beiden stärksten Klubs der letzten DDR-Meisterschaft, aufnehmen zu können. Aber richtig konkurrenzfähig waren die Ost-Vereine nur selten. "Wenn man schaut, wie die Bundesliga-Klubs agiert haben, nämlich den neuen Spielermarkt abzugrasen, alles aufzukaufen, was die Bundesliga-Klubs weiterbringt, kann man keine andere Meinung haben als die, dass der DDR-Fußball oder der ostdeutsche Fußball, nennt es wie ihr wollt, dass der da vernichtet wurde", sagte Buchautor Frank Willmann kürzlich dem Deutschlandradio.
Keine Chance gegen die Macht der West-Klubs
Dresden schaffte es immerhin in der Premierensaison auf Platz 14 von 20, Rostock stieg als 18. direkt ab. Und so blieb der sechste Platz von Hansa Rostock nach dem Wiederaufstieg in der Spielzeit 1995/96 für Jahrzehnte der größte Erfolg der Mannschaften aus den jetzt so genannten "jungen Bundesländern". 2005/06 und von 2010 bis 2016 waren sie gar nicht in Deutschlands höchster Spielklasse vertreten. Die Talente hatten schnell den Weg in den Westen oder ins Ausland gesucht, die Erfolge blieben aus, das Renommee fehlte, die Sponsoren auch - ein Teufelskreis. Bis 1993 wechselten 64 ehemalige DDR-Oberligaspieler in Vereine der alten Bundesrepublik.
Das änderte sich erst im Jahr 2016, als mit RB Leipzig ein völlig neuer Verein und ein neues Konzept den Aufstieg schaffte. Ein sport-affiner Getränkesponsor hatte das Konstrukt RB Leipzig zusammengeschraubt, wobei RB auf dem Papier Rasenballsport heißt, tatsächlich aber beim Marketing des Energiegetränks Red Bull helfen soll. Die Rechtsform Verein musste gemäß den DFB-Statuten sein, ansonsten war und ist alles aufgebaut wie in einer Firma - eine Firma mit einem Ziel: Erfolg, Image-Transfer und dadurch Werbung für den Sponsor. Sportswashing für ein Getränk, das mit Sport eigentlich gar nicht viel zu tun hat.
RB Leipzig bringt die Wende
Das Konzept trug sofort Früchte. Da war nicht nur der Durchmarsch aus der Amateuerwelt hinauf in das Profilager, da war auch sofort Platz 2 beim Debüt in der Bundesliga hinter Meister Bayern München in der Saison 2016/17. Die Leipziger freute es, bei den Fans der Konkurrenz kam dieser offensichtlich wirtschaftliche Ansatz aber überhaupt nicht gut an. RB wurde zum Hassobjekt in den Stadien der Liga. Gemeinsame Schals wurden verweigert, verhöhnende Sprechchöre hallten durch die Arenen, Gewalt schien vielen Anhängern auf beiden Seiten das probate Mittel, den Konflikt zu lösen.
Inzwischen hat sich RB Leipzig in der Belle Etage des deutschen Fußballs eingerichtet, das eigene Stadion ist meist voll, die Champions-League-Teilnahme, auch dank des Abschöpfens von Talenten vom Schwesterverein Red Bull Salzburg, fast schon abonniert. Etliche dieser Zugänge entwickelten sich in Leipzig zu gefragten Stars wie Joshua Kimmich, Ibrahima Konate, Lukas Klostermann, Marcel Halstenberg, Timo Werner, Josko Gvardiol, Dominik Szoboszlai, Dayot Upamecano, Christopher Nkunku, Konrad Laimer, Marcel Sabitzer oder Dani Olmo. Betrachtet man die letzten Jahre, so haben sich die ungeliebten Leipziger als dritte Kraft im deutschen Fußball hinter Bayern München und Borussia Dortmund etabliert.
Union Berlin als erfolgreicher Gegenpol
Dass auch andere Wege zum Ziel führen können, beweist seit vier Jahren Union Berlin aus dem Südosten der Hauptstadt. 2019 aufgestiegen, wurden die Köpenicker von vielen als direkter Abstiegskandidat gehandelt. Tatsächlich gelang der Klassenerhalt gleich relativ souverän als Elfter, und seither geht es nur noch bergauf. Höhepunkt bisher ist die Qualifikation für die Champions League, an der die Berliner in diesem Jahr erstmals teilnehmen. Dabei spielt man, wie seit dem Jahr 1920, auch in der Bundesliga weiter in der kleinen "Alten Försterei", einem Stadion, das gerade mal 22.000 Zuschauer fasst. Den Umbau stemmten zum Teil Fans in Eigenleistung, inzwischen zählt "Eisern Union" über 56.000 Mitglieder, womit man der größte reine Fußballverein in Deutschland ist.
Finanzielle Nachteile gegenüber der Konkurrenz - die Einnahmen in der Saison 2021/22 lagen bei 122 Millionen Euro, verglichen mit 344 Millionen bei RB Leipzig - macht man mit Kampfgeist, einer klugen Kaderstrategie und Zusammenhalt wett. Trainer Urs Fischer schafft es immer wieder, seine Mannschaft gut auf die kommenden Aufgaben einzustellen. Union hat die gerade abgestiegene Hertha als Nummer Eins in Berlin abgelöst. Und jetzt, mit der Champions-League-Qualifikation in der Tasche, ist Union auch attraktiv für Stars geworden.
Ein Europameister soll Glamour, Erfahrung und Sicherheit bringen
Die Nationalspieler Kevin Volland und Robin Gosens schlossen sich Union an, dazu in letzter Minute der italienische Europameister-Verteidiger Leonardo Bonucci. Bei Union habe er nun "die Möglichkeit, weiter auf höchstem Niveau zu spielen und die Mannschaft auf ihrem Weg in drei anspruchsvollen Wettbewerben mit meiner Erfahrung zu unterstützen", betonte der prominente Neuzugang, der bei Juventus Turin aussortiert worden war.
Aus dem Underdog ist ein ernstzunehmender Player im deutschen Fußball geworden - und neben RB Leipzig offenbar wieder ein Erfolgsmodell für den Osten. Dass an diesem Wochenende auch noch in der 2. Bundesliga der 1. FC Magdeburg Hertha BSC mit 6:4 besiegte, ist in diesem Zusammenhang vielleicht mehr als nur eine Randnotiz.
In einer früheren Version wurde Leonardo Bonucci als Weltmeister statt Europameister bezeichnet. Dies wurde korrigiert, Die Redaktion bittet, den Fehler zu entschuldigen.