Berlin unterstützt die Holocaust-Gedenkstätte in Sobibor
20. Dezember 2018Füllfederhalter, Bücher, Spielkarten, Ohrringe, Kämme, Haarnadeln, Uhren. Es gibt tausende von Gegenständen, die den zum Tode verurteilten Juden kurz vor dem Betreten der Gaskammern in Sobibor entnommen wurden. Heute gibt es auf dem ehemaligen Lagergelände nur Steine, die an die Holocaust-Opfer erinnern. Die im Laufe jahrelanger archäologischer Arbeiten ausgegrabenen Gegenstände werden in einer Lagerhalle in einer anderen Gedenkstätte, in Majdanek bei Lublin aufbewahrt.
Immer weniger Zeitzeugen
Dank der Unterstützung aus Deutschland sollen sie schon in knapp zwei Jahren in einer Dauerausstellung in Sobibor präsentiert werden und dem Besucher das Ausmaß der Nazi-Verbrechen vor Augen führen. Die Finanzhilfe geht zunächst an die Stiftung Auschwitz-Birkenau, die sie dann an Sobibor überweisen wird.
"Der Erinnerungsort Sobibor kann jetzt neu gestaltet werden. Derzeit entsteht dort ein Gebäude für die künftige Dauerausstellung. Das Andenken an Sobibor ist wichtig, auch weil es hier zum Aufstand der Internierten gegen die Lagerbesatzung kam. Das war nur noch an zwei anderen Orten der Fall, in Treblinka und in Auschwitz-Birkenau, sagt der Stiftungschef, der seit zwölf Jahren auch die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau leitet.
Dem deutschen Botschafter in Warschau Rolf Nikel, der zusammen mit Piotr Mateusz AndrzejCywinski vom Internationalen Auschwitz-Rat das Finanzierungsabkommen unterzeichnet hat, ist es ein "wichtiges persönliches Anliegen." Er hofft, dass dafür "das Andenken an die Verbrechen, die von deutscher Hand, im deutschen Namen begangen wurden, aufrechterhalten werden kann." Das sei notwendig, weil es immer weniger Zeitzeugen gebe, sagte Nikel gegenüber der DW.
Der systematische Mord an den Juden
Sobibor gehört neben Bełżec und Treblinka zu einem von insgesamt drei Vernichtungslagern der sogenannten "Aktion Reinhardt". Zwischen Juli 1942 und Oktober 1943 wurden im Zuge dieser Aktion über zwei Millionen mehrheitlich polnische Juden und schätzungsweise 50.000 Roma ermordet. Allein in Sobibor wurden mit den Abgasen von Dieselmotoren mehr als 34.000 Kinder umgebracht. Auch Juden und Roma aus den Niederlanden, der Slowakei und Frankreich wurden hier vergast. Unter den Opfern befanden sich auch mindestens 20.000 deutsche Juden.
Die Zahl der Sobibor-Opfer wird je nach Historiker und Quelle unterschiedlich geschätzt und liegt zwischen 170.000 und 250.000. Am 14. Oktober 1943 kam es zu einem Aufstand der Gefangenen. Etwa 300 von ihnen gelang die Flucht aus dem Lager, geschätzte 50 bis 60 haben überlebt. Sie wurden entweder von der SS oder von ukrainischen Wachmannschaften ermordet.
Die Spuren verwischen
Auch wenn die Gesamtzahl der Opfer der Aktion Reinhardt die der Auschwitz-Opfer fast um das Doppelte übersteigt, gilt heute Auschwitz als Symbol des Holocaust. Die ehemaligen deutschen Vernichtungslager, die heute im Osten von Polen liegen, bleiben für viele unbekannt. Es mag daran liegen, dass die deutschen Täter nach den Aufständen der Häftlinge in Treblinka und in Sobibor die Lager auflösten und alle Spuren zu vernichten versuchten. Da, wo vorher Baracken standen, pflanzten sie Bäume.
Die archäologischen Entdeckungen
2007 begannen auf dem ehemaligen Lagergelände Grabungen polnischer und israelischer Archäologen. 2014 wurden die Überreste der Gaskammern freigelegt. Tausende persönliche Gegenstände wurden gefunden, darunter ein Schmuck-Anhänger eines jüdischen Mädchens namens Karoline Cohn, das möglicherweise mit Anne Frank verwandt war. Das aus Frankfurt am Main stammende jüdische Mädchen, berühmt durch ihr Tagebuch, war 1945 im norddeutschen Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet worden. Der Schmuck-Anhänger aus Sobibor führte Wissenschaftler auf die Spuren von Frankfurter Juden, die zunächst ins Ghetto in Minsk und von dort nach Sobibor transportiert wurden.
Polen macht auf Sobibor aufmerksam
Die polnische Regierung hat seit Jahren versucht, die internationale Öffentlichkeit auf die Geschichte von Sobibor aufmerksam zu machen und Geld für die Gedenkstätte zu sammeln. Interesse zeigten neben Israel auch europäische Länder, aus denen die Juden in den Tod hierher transportiert wurden wie etwa die Slowakei und Holland. Dass sich Deutschland an der Unterstützung der Gedenkstätte nicht beteiligte, sorgte für Kritik in den Medien in Polen und in Deutschland.
Seit 2015 hat die Fraktion Die Linke vier Millionen Euro für Sobibor beim Haushaltsausschuss des Bundestages gefordert. Die Abgeordnete der Linken Brigitte Freihold hält es für notwendig, "dass Deutschland seinen Verpflichtungen nachgeht, die sich aus der Erklärung von Terezin von 2009 ergeben." Die Erklärung (Terezin Declaration on Holocaust Era Assets and Related Issues) wurde von 46 Staaten unterzeichnet, die sich unter anderem zur Pflege der Holocaust-Gedenkstätten verpflichteten.
Wenig Wissen über den Holocaust
Die Politikerin klagt über einen "erschreckenden" Wissensmangel bei der deutschen Jugend, was den Holocaust betrifft. Laut neuester Umfrage von CNN wüssten 40 Prozent der 18 bis 34-Jährigen in Deutschland nichts oder ganz wenig über die Judenvernichtung. Die Überweisung von einer Million Euro für das Sobibor-Museum hält Freihold für "einen guten, aber nicht ausreichenden Schritt" in der Erinnerungsarbeit, die Deutschland noch nachzuholen habe.