Berlin-Urlaub mitten im Kiez
12. März 2015Alles muss perfekt sein: Ein letztes Mal wirft Jeanette Böhm einen prüfenden Blick über ihre Ferienwohnung "Fichteperle" im angesagten Berlin-Kreuzberg. Liegt die Decke ordentlich gefaltet auf dem Sofa? Sind alle Vorhänge zurückgezogen und die Betten gemacht? Die gelernte Tischlerin nickt zufrieden, jetzt ist alles für den Check-In bereit. Sie erwartet drei Gäste aus der Schweiz.
Die Ferienwohnung im dritten Stock liegt in einem Hinterhof - typisch für Berlin. Sie umfasst ein Bad, ein Schlafzimmer und einen großen Aufenthaltsraum mit offener Küche. Neben dem Sofa steht ein Tisch mit Büchern und Broschüren über die Stadt. "Mir ist es sehr wichtig, dass die Gäste hier alles vorfinden, was sie brauchen. Ich möchte den unpersönlichen Hotelcharakter vermeiden", sagt die 33-Jährige. Die Bilder an der Wand hat sie selbst fotografiert, Gäste können sie als Erinnerung an Berlin kaufen und mitnehmen.
Von der Luftmatratze zur Ferienwohnung
Bis zum Jahr 2011 hat Jeanette hier selbst gewohnt, dann zog sie ein paar Straßen weiter. Seitdem vermietet sie ihre Eigentumswohnung. Zunächst per Inserat auf den Online-Plattformen Mowitania und Housetrip, doch so richtig gut lief das nicht. "Dann erzählte mir ein Bekannter von Airbnb. Den Anbieter kannte ich bis dahin noch gar nicht", erinnert sich Jeanette.
Airbnb begann 2008 als typisches Start-Up: Junge Designer aus San Francisco ließen Messegäste, die kein Hotelzimmer mehr gefunden hatten, auf Luftmatratzen in ihrer Wohnung schlafen - daher auch der Name Airbnb, für "AirBed & Breakfast".
Daraus wurde die Geschäftsidee einer weltweiten Online-Community, auf der Privatzimmer und Ferienwohnungen inseriert werden können - vom Baumhaus bis zur Villa. Die Plattform boomte: Nach Angaben von Airbnb waren im Jahr 2014 allein in Deutschland rund 38.000 Unterkünfte gelistet, davon 14.000 in Berlin. Und es werden mehr. Vom Prinzip Luftmatratze ist wenig geblieben, denn neben Privatleuten vermieten auch viele gewerbliche Anbieter ihre Ferienwohnungen - ein ernst zu nehmender Konkurrent für die Hotelbranche.
Das Persönliche zählt
Als Jeanette ihre Wohnung bei Airbnb inserierte, kamen schnell die ersten Buchungen. "Ich habe viele gute Bewertungen bekommen, sodass sich immer mehr Interessenten meldeten", erzählt sie. Inzwischen ist ihre Wohnung fast das ganze Jahr über ausgebucht. "Die Vermietung sehe ich als Job, den ich mit Leidenschaft mache."
Derzeit finanziert sie sich komplett aus den Einkünften ihrer Wohnung, drei Prozent davon werden allerdings als Vermittlungsgebühr von Airbnb abgezogen. Als Tischlerin arbeitet Jeanette nicht mehr, ein Vollzeitjob neben der Vermietung wäre schwierig, denn die Gäste checken zu ganz unterschiedlichen Zeiten ein - manchmal sogar nachts um drei Uhr. Trotzdem empfängt sie ihre Gäste immer persönlich, beantwortet Fragen und gibt Tipps zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Restaurants und anderen wichtigen Adressen in der Umgebung. Meist ist der Check-In Jeanettes einzige persönliche Begegnung mit den Gästen, beim Check-Out können diese die Schlüssel einfach auf dem Esstisch liegen lassen.
Spontanes Abendessen mit den finnischen Gästen
Bei Viktoria Kevin ist das anders. Sie vermietet zwei Zimmer in ihrer Privatwohnung, ebenfalls in Kreuzberg, an Airbnb-Gäste. Zu ihrem Privatbereich hat sie eine Trennwand eingezogen, Küche und Esszimmer werden aber gemeinschaftlich genutzt. Für die 45-Jährige ist das kein Problem. Im Gegenteil: Sie liebt es, Menschen kennen zu lernen und ihnen von Berlin zu erzählen. Ihre Gäste kommen meist von weit her, etwa aus Asien oder Südamerika. "Fast alle sprechen Englisch", sagt Viktoria Kevin.
So auch die Geschwister Saana (21) und Juuso Vuoti (19) aus Finnland. Sie machen fünf Tage Berlin-Urlaub. "Mit Airbnb können wir günstig reisen und kommen mit Einheimischen in Kontakt", sagt Saana. Viktorias Gäste sind meist jung. Das sei generell beim Airbnb-Publikum so, sagt die Berlinerin. Wenn sie abends kocht, lädt sie auch gern mal ihre Gäste dazu. Und die danken es ihr: "Meine Wohnung ist voller Geschenke. Ich habe hier zum Beispiel indischen Tee und Gläser aus Marokko", schwärmt Viktoria. Ab und zu entstehen Freundschaften über den Aufenthalt hinaus. "Es gibt einige, die mir später noch Karten schicken."
Airbnb & Co. stoßen in Berlin auf Gegenwind
Schlechte Erfahrungen mit Gästen hat Viktoria bisher kaum gemacht. "Ich vermiete generell keine großen Ferienwohnungen für Gruppen. Denn dann kann es schnell mal passieren, dass Nachbarn sich wegen Lärm beschweren." Gerade im angesagten Wrangelkiez in Kreuzberg, nicht weit von Viktorias Wohnung entfernt, beschweren sich Anwohner häufig über feierlustige, junge Touristen. Doch nicht nur der Lärm ist ein Problem. Weil Ferienwohnungen mehr Geld bringen als eine normale Vermietung, steigt das Angebot. Die Folge: Weniger Mietraum steht zur Verfügung.
Die Berliner Grafikerin Alice Bodnar hat eine Karte vom Wrangelkiez entworfen, die in einer Momentaufnahme zeigt, dass auf der Mietplattform Immoscout über 100 Airbnb-Inserate auf eine Mietwohnung kommen. Die Karte werte nicht, stelle aber einen Vergleich zwischen freien Ferien- und Mietwohnungen auf, so Bodnar: "Das Verhältnis kann sich zwar ändern, aber ich stelle definitiv ein Gefälle fest." Sie findet die Grundidee von Airbnb - privaten Wohnraum zu teilen - legitim. "Der kommerziellen Nutzung sollte aber ein Riegel vorgeschoben werden."
Tatsächlich hat die Stadt Berlin inzwischen ein Gesetz verabschiedet, das die Anzahl an Ferienwohnungen beschränkt. Aktuelle Angebote dürfen auf Antrag noch zwei Jahre weiter betrieben werden, bevor die Stadt sie erneut prüft. Wer sich nicht ans Gesetz hält, muss mit hohen Geldbußen rechnen.
Jeanette Böhm hat ihre Wohnung gemeldet und hofft, dass sie die "Fichteperle“ auch nach der Frist weitervermieten darf. Sie träumt davon, irgendwann einmal mehrere Ferienwohnungen aufzukaufen und selbst einzurichten. Viktoria Kevin hat das schon erreicht. Sie vermietet nicht nur einen Teil ihres Eigenheims an Airbnb-Gäste, sondern besitzt mehrere Appartmenthäuser in Berlin. Ihr großes Ziel: "In fünf Jahren will ich eine große Weltreise machen. Bis dahin möchte ich überall Adressen und Kontakte meiner Airbnb-Gäste gesammelt haben, um sie besuchen zu können."