Blogger fürchten den langen Arm von Hanoi
15. Januar 2018"Könnte ich bitte mal in Ihre Tasche schauen", sagt der Mann vom Sicherheitsdienst vor einem Berliner Café und leuchtet mit einer kleinen Taschenlampe auf den Rucksack. Drinnen sitzt der Journalist Trung Khoa Le. In ein paar Minuten wird der Vietnamese über seine derzeitige Situation in Deutschland sprechen. Organisiert haben die Veranstaltung die Berliner Tageszeitung taz und die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG).
"Nachdem wir zu der Veranstaltung eingeladen hatten, wurden wir direkt bedroht", erzählt Le. "Unbekannte haben im Internet gepostet, dass sie kommen und Stinkbomben werfen würden. Jemand schrieb sogar, er würde auf mich schießen." Die Kontrolle am Eingang soll den Vietnamesen schützen.
Genug von der Propaganda
Trung Khoa Le kam 1993 zum Studium nach Weimar. Nach seinem Abschluss blieb er in Deutschland. Seit rund zehn Jahren betreibt er von Berlin aus die Onlinezeitung "Thoibao.de" (dt.: "Die Zeit"). Mit der Webseite richtet er sich an seine Landsleute - in Deutschland wie in Vietnam. 1,5 Millionen Klicks erzielt die Publikation jeden Monat. Die Beiträge erscheinen vor allem auf Vietnamesisch, teilweise aber auch auf Deutsch.
Anfangs schrieb Le vor allem positiv über die Regierung in Hanoi, für Thoibao.de übernahm er sogar Artikel aus den staatlichen vietnamesischen Medien. Doch die einseitige, beschönigende Propaganda aus seiner Heimat störte ihn zuletzt immer mehr. Im August vergangenen Jahres wollte er dann nicht länger schweigen. Ihn erschreckte, was geschehen war.
Entführung am helllichten Tag
Am 23. Juli 2017 wurde der vietnamesische Geschäftsmann Trinh Xuan Thanh mutmaßlich aus Berlin entführt. Zeugen hatten beobachtet, wie der 51-Jährige am helllichten Tag in ein Auto gezerrt wurde. Rund zwei Wochen später wurde Trinh dann im vietnamesischen Staatsfernsehen vorgeführt. Er sei aus freien Stücken in seine Heimat zurückgekehrt, sagte er vor laufender Kamera.
Le glaubte dies nicht. Er vermutet, dass Trinh zu der Aussage gezwungen wurde. "Ich habe damals direkt Trinhs deutsche Rechtsanwältin kontaktiert", erzählt Le jetzt. "Sie hat mir Details der Entführung genannt und die habe ich noch am gleichen Tag in meiner Onlinezeitung veröffentlicht." Anfang Januar stand Trinh vor Gericht: Er soll in Diensten eines staatlichen Unternehmens Geld veruntreut und Schmiergelder angenommen haben. Ihm droht eine lebenslange Haftstrafe.
Sanktionen für den "Verräter"
Mit seinen auf Vietnamesisch veröffentlichten Informationen untergrub Le das staatliche Informationsmonopol von Vietnams kommunistischer Partei. Ein Schritt, der kurz darauf eine Reihe von Folgen nach sich zog: Seine Webseite wurde in Vietnam gesperrt. Die staatliche Fluggesellschaft Vietnam Airlines zog die Anzeigen zurück, die sie jahrelang bei Thoibao.de geschaltet hatte. Und im Internet wird Le seither als "Hund", "Verräter" und "Stinker" beschimpft.
Mehrmals drohte man ihm sogar, ihn zu erschießen. "Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Leute, die Trinh Xuan Thanh entführt haben, sich immer noch in Berlin aufhalten. Deswegen rechne ich weiter mit Gefahr", sagt Le.
Keine Meinungs- und Pressefreiheit
In Vietnam unterstehen Medien einer strengen Zensur. Wer offen über Arbeiterproteste, Landraub oder Korruption bei höherrangigen Politikern schreibt, muss mit Verfolgung und Gefängnis rechnen. Nach Angaben von ROG sitzen derzeit 15 Blogger in Vietnam hinter Gittern. Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit rangiert das Land auf Platz 175 von 180 gelisteten Ländern.
Die mutmaßliche Verschleppung des Geschäftsmanns Trinh legt nahe, dass Vietnamesen nicht nur in der Heimat von der Repression betroffen sind. Seither hat sich auch das Lebensgefühl von Bui Thanh Hieu in Berlin verändert. Der 46-Jährige zählt in Vietnam zu den bekanntesten Bloggern und schreibt vor allem über soziale Missstände in seiner Heimat. "Als 2005 mein Sohn geboren wurde, hatte meine Frau bei der Geburt einige Komplikationen", berichtet er in Berlin über die Anfänge seines Schreibens. "Doch im Krankenhaus wollte man sich nur um sie kümmern, wenn ich Schmiergeld zahlte. Das war der Moment, in dem ich anfing, über die ungerechte Behandlung der ganz normalen Leute zu schreiben."
Wegen seiner Veröffentlichungen wurde Bui in Vietnam immer wieder inhaftiert. 2013 konnte er mit einem Stipendium der Schriftstellervereinigung PEN schließlich nach Deutschland kommen.
Berlin wirkt unsicherer
Mittlerweile hat Bui politisches Asyl erhalten, mit seiner Familie lebt er in Berlin. Mithilfe von Informanten aus Vietnam schreibt er seinen Blog in Berlin weiter. Die Texte veröffentlicht er unter dem Pseudonym Nguoi Buon Gio, zu Deutsch: "Der Windhändler". Rund 160.000 Abonnenten folgen seinen Einträgen.
Während der vergangenen Jahre war ihm die deutsche Hauptstadt stets als sicherer Zufluchtsort erschienen. Doch mit der Verschleppung von Trinh Xuan Thanh ist ihm dieser Eindruck abhandengekommen: "Bis zu der Entführung im vergangenen Jahr hatte ich keine Angst. Doch mittlerweile habe ich das Gefühl, auf mich aufpassen zu müssen."