Berliner Ensemble: Bald ohne Claus Peymann
2. Dezember 2014Wenn jemand wie Claus Peymann mit 80 Jahren von der großen Theaterbühne abtritt, dann ist das mehr als ein wohlverdienter Ruhestand. Es wird ein Abschied auf Raten, noch ist Claus Peymann erst 77 Jahre alt. Bis 2017 wird er Intendant des renommierten Berliner Ensembles bleiben. Das ließ er am 1. Dezember die Öffentlichkeit wissen und läutete seinen Abschied fulminant mit den besten Zahlen aller Berliner Zeiten ein: 83.593 Zuschauer besuchten die 211 Vorstellungen des Berliner Ensembles in diesem Jahr. Dem einstigen Theater Bertolt Brechts am Schiffbauerdamm bescherte das eine Auslastung von über 90 Prozent.
"Das muss uns erst einmal jemand nachmachen!", triumphierte Peymann, einer der auch international bekanntesten Theaterregisseure Deutschlands. Das Berliner Ensemble leitet er schon seit 1999. Und sicherlich nicht ohne Hintergedanken gab er die Erfolgs-Zahlen genau an dem Tag heraus, an dem der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit Peymanns Nachfolger Oliver Reese vorstellte - zurzeit Intendant des Schauspielhauses in Frankfurt.
Die Ära Peymann geht zu Ende
"Peymann ist ein verdienter Theaterregisseur", sagt Eva Behrendt, Redakteurin der Zeitschrift "Theater heute“ im Interview mit der Deutschen Welle, "aber seine größte Zeit hatte er nicht am Berliner Theater. Hier hat er die Theaterkunst nicht groß voran gebracht". Mit dieser Meinung steht sie nicht alleine da. Zu salonfähig und zu lange im Amt sei er gewesen, sagen seine Kritiker. Vorbei seine großen Inszenierungen am Burgtheater in Wien, vorbei seine revolutionäre Haltung beim Antritt in Berlin, als er verkündete, er wolle "der Reißzahn am Arsch der Mächtigen" sein.
Herausgekommen ist am Ende ein publikumswirksames Regietheater, immerhin mit berühmten Regisseuren wie dem Amerikaner Bob Wilson oder dem Schweizer Luc Bondy, der bis zuletzt auch als Nachfolger von Claus Peymann gehandelt wurde. Gegründet wurde das Berliner Ensemble 1949 von Bertolt Brecht und Helene Weigel. Fünf Jahre später wurde das Theater am Schiffbauerdamm ihre Heimat. Brecht stand und steht bis heute für das epische Theater. Statt auf der Bühne eine Scheinwelt in aufwendigen Theaterkulissen zu zaubern, sollen die Zuschauer über die Texte für gesellschaftliche Konflikte wie Krieg und soziale Ungerechtigkeit sensibilisiert werden.
Zentrale Lage in einer aufregenden Stadt
Das unscheinbare graue Gebäude im Herzen Berlins mit seinem prunkvollen Theatersaal und den Sesseln in rotem Plüsch, hat den zukünftigen Intendanten Oliver Reese gleich fasziniert. "Ich habe in Frankfurt ein Theater mit einer Bühnenbreite von 24 Metern, da kann man nur die ganz großen Stoffe machen. Am Berliner Ensemble hat man dagegen in einem großen Haus mit 800 Plätzen noch ein intimes Kammer- und Sprechtheater und das ist wunderbar", sagte er der Deutschen Welle.
Klaus Peymann hat das Berliner Ensemble gleich nach seinem Amtsantritt reformiert. Bereits in den 70er Jahren entwickelte er mit Peter Zadek das Regietheater, bei dem das Schauspiel nur die Grundlage für Interpretationen der Regisseure ist. Peymann wollte auch politisches Theater machen: das Theater als "moralische Anstalt", in der die Mächtigen demaskiert und die Schwachen unterstützt werden. Oliver Reese ist mit seinen politischen Ambitionen vorsichtiger und spricht lieber von Gegenwartstheater: "Ich glaube, wir wünschen uns alle, dass wir ein politisch relevantes, widersprüchlich offenes Theater machen. Es ist aber nicht so einfach, Autoren und Regisseure zu finden, die das auch einlösen."
Theater ist kein Gemischtwarenladen
"Das Berliner Ensemble war zuletzt unter Peymann eigentlich das konservativste Theater in Berlin", meint Theaterkritikerin Eva Behrendt. Dass sich in der Theaterszene etwas bewegt, findet sie deshalb prinzipiell gut. Ganz im Brechtschen Sinne setzt Oliver Reese wieder auf das Autorentheater. "In Berlin gibt es fünf staatlich subventionierte Theater, die nicht alle ein Gemischtwarenladen sein können. Es gibt aber eine Lücke, was Autorentheater der Gegenwart anbelangt." Reese möchte, wie seinerzeit Bertolt Brecht, auf aktuelle Zeitströmungen reagieren. "Ich will nicht versuchen, alte Stücke dahin zu biegen, dass sie für die heutige Zeit passend sind."
Oliver Reese ist in Berlin kein Unbekannter. Am Maxim-Gorki-Theater, das gerne mit internationalem Ensemble arbeitet und am Deutschen Theater, das bekannt ist für deutsche Gegenwartsdramatik, war er bereits Chefdramaturg. Auch eigene Stücke wie "Emmy Göring an der Seite ihres Mannes" oder "Bartsch, Kindermörder“, haben ihn in der Theaterszene bekannt gemacht.
Für seine Zeit in Berlin ab September 2017 hat er schon konkrete Ideen. Auch bekannte Autoren möchte er für ambitioniertes Gegenwartstheater begeistern. "Oskar Roehler, der bislang Filmdrehbücher geschrieben hat, interessiert mich zum Beispiel sehr. Er ist politisch, indem er aus seiner Biografie heraus versucht deutsche Geschichte zu verstehen." Seine Romane "Herkunft" und "Quellen des Lebens" beschreiben die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg bis in die 70er Jahre hinein. "Roehler hat diese Zeit als die Wurzeln unserer Gegenwart analysiert. Das finde ich ganz aufregend und ich werde versuchen, diesen Autor zum Theater zu verführen", schwärmt Reese.
Bloß keine Langeweile
"Es bleibt abzuwarten, ob am Ende sämtliche Theater in Berlin die gleiche Richtung mit Gegenwartsstücken anstreben. Das wäre dann auch wieder langweilig", sagt Eva Behrendt. Für sie klingt das alles nicht ganz so neu. Die Presse sieht das im Vorfeld etwas anders. Die "taz" spricht von einer "Frischzellenkur am Berliner Ensemble". Für die "Die Welt" könnte Reese eine „ernst zu nehmende Konkurrenz" zu den anderen großen Theaterhäusern sein. Ihm sei zuzutrauen, "das Haus für neue Ästhetiken zu öffnen, ohne das Stammpublikum zu verschrecken." Immerhin kann auch Reese mit einer guten Publikumsauslastung in seinem Schauspielhaus in Frankfurt punkten. Die lag zumindest im November bei fast 95 Prozent. Claus Peymann kommentierte die Wahl seines Nachfolgers mit einem Hamlet-Zitat: "Der Rest ist Schweigen".