Berliner Hip-Hop, ungefiltert
3. November 2004Hip-Hopper sind Menschen mit seltsamen Wollmützen, die mit den Armen rudern, einem den Zeige- und den kleinen Finger entgegenrecken und gerne "Yo!" rufen – dachte man. Hip-Hop ist eine Altersfrage und "Status Yo!" deshalb grundsätzlich nichts für über Dreißigjährige – dachte man auch.
Doch wer "Status Yo!" sieht, wird deutlich eines Besseren belehrt. Der Film von Regisseur Till Hastreiter ist, wenn der Begriff überhaupt passt, ein Musical mit deutschem Hip-Hop. Der erste Spielfilm, der das Lebensgefühl von Hip-Hoppern in Deutschland authentisch schildert. Und als er auf der Berlinale 2004 lief, war die Hölle los.
Die Darsteller spielen sich selbst
Mit talentierten Darstellern, die meisten Migranten, schaut Hastreiter 24 Stunden lang ins Leben von sechs jungen Menschen in Berlin. Unter den insgesamt 120 Darstellern sind fast keine Profis – sie spielen einfach sich selbst.
Einer von ihnen ist der Rapper Yaneq: Er hat eine Affäre mit der Schwester seines besten Freundes, und um die zu vertuschen, greift er in die vollen. Er verkündet, er werde ohne Geld innerhalb von 24 Stunden die größte Party (also: "den fettesten Jam") anzetteln, die Berlin je gesehen hat. Dafür muss er es mit gerissenen Kreuzberger Hinterhof-Mafiosi aufnehmen.
Zwangsheirat und ein rappender Altenpfleger
Ebenfalls Rapper aus Berufung ist der Bosnier Saession, der wegen seiner Schulden ständig vor Geldeintreibern auf der Flucht ist. Gleichzeitig will er verhindern, dass seine türkischstämmige Freundin Yesmin von ihren Verwandten in der Türkei zwangsverheiratet wird.
Dann ist da noch der Rap-Poet Sera, der reimt anstatt zu reden, seinen Job als Altenpfleger hinschmeißt und fortan in der U-Bahn auftritt. Dagegen träumt Sprayer Tarek davon, den legendären weißen U-Bahn-Zug ganz alleine zu besprühen.
Mit Breakdance gegen Skinheads
"Dokumentierte Fiktion" nennt das der 34-jährige Regisseur Hastreiter, ein Absolvent der Budapester Filmakademie. Er setzt fiktive Episoden so in Film-Realität um, dass sich die Ereignisse nicht immer kontrollieren und kaum wiederholen lassen. An 45 Tagen drehte das Team an mehr als 80 Schauplätzen in Berlin.
Das Ergebnis hat wenig zu tun mit der üblichen Hip-Hop-Präsentation nach MTV-Art, mit spärlich bekleideten und Goldkettchen-behängten coolen Menschen an Swimmingpools. "Status Yo!" spielt vornehmlich auf den kalten Berliner Straßen. Da werden Rechtsradikale, die "Kanake!" brüllen, von Breakdancern in die Flucht geschlagen.
Dynamik ohne feste Strukturen
Die beiden simultan eingesetzten Kameras sind immer nah an den Akteuren dran, was zusammen mit dem minimalen Kunstlicht für eine raue Atmosphäre sorgt. Tempo erreicht der Film durch häufige Split Screens, abrupte Montagen und rasante Schnitte. Der Film wirkt zwar manchmal ungelenk und hat seine Längen – ist aber ein authentischer Ausflug ins Lebensgefühl der 1980er Jahre.
Werbung in der Disco
Auch bei der Vermarktung (50 Kinokopien sind unterwegs) haben die Filmemacher ungewöhnliche Wege eingeschlagen, betreut vom neu gegründeten Kölner Verleih "Die TelePaten". In einem Internetwettbewerb konnten Rapper sich um den Soundtrack bewerben. Und die Darsteller gehen mit in die Kinos, nicht nur um den Film zu zeigen, sondern auch zum Rappen und Breaken in Clubs und Discos.
Das Marketing wirkt: Auf der Homepage zu "Status Yo!" hatten sich sogar schon vorm offiziellen Start etliche Freiwillige gemeldet, um Flyer und Aufkleber zu verteilen – obwohl sie den Film noch gar nicht gesehen hatten. (reh)
"Status Yo!", Deutschland/Schweiz 2004, 118 Minuten, Regie: Tim Hastreiter, Kinostart in Deutschland: 4. November 2004