Berliner Mauer als Kunstprojekt
28. August 2018Mitten in der deutschen Hauptstadt soll für einen Monat ein geschlossener Bereich eingerichtet werden, umgeben von einer Betonwand - ähnlich der Berliner Mauer, die im November 1989 fiel. Ein Teil der rekonstruierten Mauer soll auf dem Bürgersteig der Straße "Unter den Linden" verlaufen. Dafür würden 900 Betonelemente benötigt, so die Organisatoren der Berliner Festspiele. Wie 1961 solle die Mauer in nur einer Nacht entstehen. Selbstverständlich würden Menschen und Mitarbeiter von Unternehmen ungehinderten Zugang zu ihren Wohnungen und Arbeitsplätzen behalten. Das gelte auch für Rettungsdienste.
Innerhalb des Bereichs solle eine "andere Realität" entstehen, erklärten die Veranstalter. Die Gestaltung der Straßen, Laternen und Schilder solle aber nicht die Atmosphäre in der UdSSR oder DDR nachempfinden. Vielmehr sollen die Besucher das Gefühl bekommen, sich in einen anderen Raum begeben zu haben. Theoretisch passen in das "abgesperrte" Viertel bis zu 20.000 Menschen. Doch pro Tag sollen nur 1500 bis 3000 Eintrittskarten verkauft werden, die je nach Aufenthaltsdauer zwischen 15 und 45 Euro kosten werden. Die Tickets sollen in Form eines "Auslandsvisums" ausgestellt werden, mit dem sich die Besucher rund um die Uhr innerhalb des Areals aufhalten können.
Die Installation soll am 12. Oktober eröffnet werden - vorausgesetzt die Behörden genehmigen die Mauer in der Innenstadt. Der "Fall der Mauer" ist für den 9. November geplant - genau wie 1989. Die Veranstalter versprechen zudem, man werde wie vor 29 Jahren ein Stück von der Mauer abhauen und als Andenken mitnehmen können.
Das Filmprojekt "DAU"
Die Berliner Installation ist die erste von drei Etappen eines weltweiten Projekts zur Präsentation des Films "Dau Freiheit" des russischen Regisseurs Ilya Khrzhanovsky. Laut den Koordinatoren des Projekts beschränkt sich die Installation in Berlin aber nicht auf den Film selbst. Sie solle ein besonderer Ort sein, wo die Besucher "Geschichte spüren" können.
Im Mittelpunkt der ursprünglichen Idee von Khrzhanovskys Film steht ein geheimes Physik-Institut der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, in dem der sowjetische Physiker Lev Landau arbeitete. Für die Dreharbeiten des Films im ukrainischen Charkiw wurde ein riesiges Set aufgebaut, mit einer Gesamtfläche von 12.000 Quadratmetern. Charkiw wurde nicht zufällig ausgewählt. Dort sind noch viele Gebäude erhalten, die im Stil des sowjetischen Konstruktivismus' gebaut wurden.
Die Filmarbeiten wurden schließlich zu einem riesigen anthropologischen Experiment: Drei Jahre lang lebten und arbeiteten auf dem Set bis zu 400 Menschen. Nicht alle waren professionelle Schauspieler. Irgendwann löste sich das Team sogar vom Drehbuch und begann zu improvisieren. Einer der Kameramänner war der Deutsche Jürgen Jürges, der mit Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders zusammengearbeitet hat.
Das Ergebnis von 140 Drehtagen und drei Jahren Arbeit waren 700 Stunden Videomaterial, aus dem schließlich 13 Spielfilme entstanden sind. Jetzt werden die Filme von Ilya Khrzhanovsky nicht bei einem klassischen Filmfestival gezeigt, sondern in jener "anderen Realität", die mitten in Berlin geschaffen werden soll.
Eine Zeitreise für 6,6 Millionen Euro
Finanziert wird das Projekt vom Londoner "Phenomen Trust", hinter dem sich der russische Geschäftsmann Sergey Adoniev verbirgt. Er hat unter anderem in Russland in Projekte im Bereich Kommunikation und Mobilfunk investiert. Der Berliner Teil des Projekts kostet 6,6 Millionen Euro, einschließlich der Errichtung der Mauer.
Unterstützt wird die Installation von den Berliner Festspielen. Intendant Thomas Oberender findet es interessant, dass ein russischer Künstler eine solche Zeitreise durch verschiedene Etappen der sowjetischen Geschichte mit Menschen inszeniert hat, die tatsächlich diese Zeit noch einmal gemeinsam durchlebt haben. "Und zwar - interessanterweise - unter Bedingungen völliger Freiheit. Niemand hat ihnen vorgeschrieben, was sie machen sollen, es gab kein Drehbuch", so Oberender. Ihm zufolge lernt man bei dem Projekt, wie große Utopien in repressive Erfahrungen umschlagen können. Man lerne aber auch Formen von Solidarität, Kreativität, unglaublicher Intelligenz und Aufopferungsbereitschaft. "Man lernt, was Geschichte mit dem Einzelnen macht, aber wie auch Einzelne manchmal Geschichte machen", so der Intendant der Berliner Festspiele.
Susanne Marian, Produzentin von "Phenomen Films", betont, das Projekt sei keine Studie über Totalitarismus oder die Stalin-Zeit. "Wir bilden 30 Jahre Sowjet-Geschichte ab, aber man kann natürlich nie eine Vergangenheit wirklich abbilden", sagt sie. Es hätten Menschen unterschiedlichen Alters mit verschiedenen Lebenserfahrungen an dem Projekt teilgenommen. "Sie haben sich auf das Experiment eingelassen, in eine andere Lebenswelt einzutauchen, um zu schauen, was das in ihrem jeweiligen persönlichen Leben bedeutet".