Besonnener Freund aus Deutschland
15. September 2002Während Bush vor den Gefahren warnte, die von dem Regime in Bagdad ausgehen, warnte Fischer vor den Risiken eines militärischen Vorgehens gegen dieses Regime. Zwei Reden, zwei Welten.
Es war keine Routinerede, die Bundesaußenminister Joschka Fischer vor der UN-Generalversammlung in New York gehalten hat. Es war eine Rede, die geprägt war von der tiefen Sorge um die dramatischen Entwicklungen im Mittleren Osten, die sich derzeit anbahnen. Denn, wie US-Präsident George Bush nur einen Tag nach seiner Rede vor der UNO präzisierte, die Zeit für den Irak läuft ab. Wenn er von Bagdad die Erfüllung der UN-Resolutionen fordere, so spreche er von Tagen und Wochen und nicht von Monaten oder gar Jahren, sagte Bush.
Die Uhr also läuft und die Gefahr eines Krieges im Nahen und Mittleren Osten wird immer größer, eines Krieges, der schnell außer Kontrolle geraten könnte. Denn anders als im Krieg gegen die Taliban wird die Antiterrorkoalition einen Feldzug gegen Bagdad nicht mittragen. Das haben praktisch alle arabischen Führer deutlich gemacht.
Viel dramatischer aber ist, dass die hochgradig gespannte Lage im Nahen Osten durch einen Krieg weiter destabilisiert würde. In Jordanien sieht sich das Königshaus einer mehrheitlich palästinensischen, zunehmend unzufriedenen und verbitterten Bevölkerung gegenüber. In Ägypten kann die Unruhe in der Bevölkerung nur durch massive polizeistaatliche Massnahmen unterdrückt werden. Syrien wartet nur darauf, sich zum Führer der unterpriviligierten arabischen Massen zu machen.
Und schließlich Israel: in Jerusalem regiert ein Kabinett, das die USA zum Krieg drängt, weil es sich davon mehr Sicherheit für Israel verspricht. Das Palästina-Problem, der zentrale Konflikt im Nahen Osten, würde durch eine Militärintervention gegen Bagdad nicht gelöst, die größte Bedrohung für die Sicherheit der israelischen Bürger also mit einem Krieg gegen Saddam auch nicht aus dem Weg geräumt.
Für Fischer war es keine leichte Aufgabe, diese deutsche Position in New York vorzutragen, vor dem Auditorium der Weltgemeinschaft und in der Stadt, die von den grausamsten Terrorangriffen erschüttert wurde, die die Welt jemals sah. Denn die ablehnende Haltung Berlins gegenüber der amerikanischen Politik kann in Washington leicht als Untreue gegenüber dem Bündnispartner verstanden werden.
Kompliziert wurde Fischers Mission in New York durch die fast schizophrene Position, in der sich Deutschland befindet. Eine der stärksten und wichtigsten Mächte in Europa, sowohl ökonomisch als auch politisch, ist Berlin in New York doch nicht viel mehr als ein Papiertiger. Denn es ist nicht Mitglied der sogenannten P5, der fünf permanenten Mitglieder im Weltsicherheitsrat. Und nur sie haben letztlich Einfluss auf das weitere Geschehen.
Dennoch war es gut, dass Fischer die Bedenken der Bundsregierung vorgetragen hat. Am East River in New York, weit weg vom heimischen Wahlkampf, könnten die mahnenden Worte eine andere Wirkung entfalten als in den Bierzelten und auf den Fernsehbildschirmen der
Bundesrepublik. Denn innerhalb der Weltgemeinschaft ist man noch längst nicht überzeugt davon, dass ein militärisches Eingreifen die Lösung des Problems ist. Auch in der Europäischen Union ist die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen. Und selbst von amerikanischen Politikern werden durchaus kritische Fragen gestellt.
Deutschland an der Seite der USA. Das war die Losung vor einem Jahr. Deutschland als besonnener Freund und kritischer Mahner, das ist das Motto in diesem Jahr, am Vorabend eines möglichen Krieges, dessen Folgen und Auswirkungen noch nicht abzuschätzen sind.