Besser als Messi
14. Juli 2014Man könnte sagen, sein Auftritt ist typisch deutsch: Der sonst so modebewusste Mario Götze schlurft mit Badelatschen in den Pressekonferenzraum und trägt darin auch noch weiße Socken. Eine Kombination, wie sie sonst nur am All-Inklusiv-Buffet deutscher Pauschal-Urlauber-Reiseziele zu sehen ist. Oh weh. Doch an diesem Abend darf Götze auch mit weißen Socken in Badelatschen durch das Maracana spazieren – eigentlich darf er alles. Denn er hat Deutschland zum Weltmeister gemacht.
Realisiert hat er das so kurz nach dem Spiel noch nicht. "Ein unglaubliches Gefühl! Man begreift gar nicht was da gerade passiert. Ein Traum ist in Erfüllung gegangen für jeden einzelnen von uns", sagt Mario Götze und seine Stimme klingt längst nicht so cool und lässig wie gewohnt in Interviewsituationen. Kurz hält er inne und fährt dann fort: "Ich bin sehr stolz auf die Mannschaft und auf das was hier in Brasilien passiert ist."
Das "Wunderkind" kommt spät
Passiert ist für Götze persönlich an diesem Final-Nachmittag in Rio de Janeiro lange Zeit nicht viel. 88 Minuten lang sitzt der Bayern-Spieler, den viele Experten als das größte Talent des deutschen Fußballs bezeichnen, auf der Bank, wie sie oft in diesem Turnier. Mario Götze muss zusehen, wie sich seine Mannschaft schwertut, in der Defensive immer wieder für Schrecksekunden sorgt und in der Offensive Chance um Chance vergibt. Dann kommt sein Einsatz. Bundestrainer Joachim Löw nimmt Altstar Miroslav Klose in dessen ziemlich sicher letztem WM-Spiel vom Platz. Der Stürmer von Lazio Rom hatte sich abgearbeitet an der robusten und manchmal auch nicht ganz fairen Hintermannschaft der Argentinier. Nun ist Zeit für frische Kraft auf dem Platz und Löw denkt schon an die Verlängerung.
Deshalb macht sich Götze nun bereit, umarmt sich kurz mit Klose, der mit gesenktem Kopf vom Platz geht , und betritt das Spielfeld. Löw hat einen Plan mit ihm, wie er später erzählen wird. "Er kann immer ein Spiel entscheiden wenn es auf der Kippe steht", sagt Löw über Götze, der für ihn ein "Wunderkind" sei mit "immensen Möglichkeiten" und "unheimlich raffiniert".
Löw findet die richtigen Worte
Die erste Halbzeit der Verlängerung verstreicht allerdings ohne einen echten Geistesblitz des 22-Jährigen Sohns eines Datentechnik-Professors. Deshalb nimmt ihn sich Löw beim Seitenwechsel zur Seite und spricht mit ihm. Götze ist noch frisch, im Gegensatz zu seinen erschöpften Teamkollegen. Löw erwartet nun von ihm einen Impuls und versucht ihn bei seinem Stolz zu packen. "Ich habe zu Mario Götze gesagt: Jetzt zeig der ganzen Welt, dass du besser bist als Messi und dieses Spiel entscheiden kannst. Du hast alle Möglichkeiten das zu tun", berichtete Joachim Löw nach dem Spiel über diesen Dialog. "Ich hatte bei ihm einfach ein gutes Gefühl, deshalb habe ich das zu ihm gesagt."
Es war genau das richtige Gefühl. Denn nur acht Minuten später zeigt Mario Götze der Welt tatsächlich, was in ihm steckt. Nach einer präzisen Flanke von Andre Schürrle in den Strafraum, nimmt Götze den Ball mit der Brust an und knallt ihn anschließend wuchtig aus spitzem Winkel ins lange Eck. Ein Tor, wie eine Befreiung für das abgekämpfte Team, das Götze mit unbändiger Freude feiert.
"Kein einfaches Jahr für mich"
Weil Argentinien nun nichts mehr entgegenzusetzen hat, wird Götze zum Matchwinner, der Deutschland den WM-Titel beschert. Eine erstaunliche Entwicklung, denn lange sah es so aus als sollte dies nicht sein Turnier werden. Hatte Löw ihm anfangs noch vertraut und Götze in den ersten beiden Gruppenspielen gegen Portugal und Ghana von Anfang an gebracht, so schien es danach, als habe Götze plötzlich kein Standing mehr beim Bundestrainer. Gegen die USA, Frankreich und auch im Finale gegen Argentinien wurde er drei Mal erst spät eingewechselt, gegen Algerien sogar nach einer schwachen Leistung schon zur Halbzeit ausgewechselt. Eine Situation, die Götze zu schaffen machte. "Es war kein einfaches Jahr und auch kein einfaches Turnier für mich", sagte er später vor den Journalisten und fasste damit seine Misere zusammen: Nach dem Wechsel von Borussia Dortmund zum FC Bayern München im vergangenem Sommer kämpfte Götze zunächst mit Verletzungen, dann mit seiner Rolle als Reservist. Sowohl bei den Bayern als auch in der Nationalmannschaft fungierte er oft nur als Edeljoker. Gemessen an seinem gewaltigen Talent keine befriedigende Aufgabe für ihn.
Und so ist jener goldene Schuss zum 1:0 im Maracana auch sein ganz persönlicher Befreiungsschlag. Mit seinem Tor schreibt Mario Götze an diesem Abend Fußballgeschichte und kann mit Fug und Recht von sich behaupten, in diesem Finale tatsächlich besser als Messi gewesen zu sein.