"Besser nach Russland gehen als zu Hause bleiben"
11. Januar 2006In einem neuen Werk in Stupino (südlich von Moskau) möchte Volkswagen zunächst den Octavia von Tochterfirma Skoda montieren lassen. Später soll dort eine europäische Version des Kleinwagens Gol gebaut werden, den es derzeit in Brasilien und China gibt. Durch das neue Werk erhofft sich VW, den Marktanteil in Russland von jetzt zwei bis drei auf zehn Prozent steigern zu können. Daimler-Chrysler hat dagegen Pläne, in Russland zu produzieren, erstmal auf Eis gelegt: Der Konzern hat Zweifel, ob man in der russischen Produktion die erwünschte Qualität garantieren kann.
DW-WORLD: Welchen Ruf genießt Russland in der Autobauwelt als Produktionsstandort?
Ferdinand Dudenhöffer: Die Qualität der russischen Hersteller ist katastrophal. Aber bei den westlichen Herstellern steht die Qualität der in Russland montierten Fahrzeuge nicht hinter der Qualität in Deutschland zurück. Sobald ein Hersteller in Russland eine Fabrik baut, wird das gesamte Qualitätssystem mit nach Russland genommen. Man kann davon ausgehen, dass dann die Qualität besser sein wird als in Deutschland. Eben so, wie es in Bratislava oder Polen bei VW ist.
Eignet sich ein Auto wie der VW Gol dazu, den russischen Markt zu erobern? Welche Voraussetzungen muss ein Auto haben, um in Russland erfolgreich zu sein?
Der Gol ist neben dem Octavia ein interessanter Ansatz für Russland. Allerdings muss das Fahrzeug sicher auf Russland angepasst werden. Auch im Design muss man attraktiv sein - da bleiben noch Änderungen für den Gol zu machen. Wichtig ist: Der Preis beim Gol kann die 10.000-Euro-Grenze unterschreiten. Heute dominieren in Russland Hyundai, GM-Daewoo, Ford und Toyota. VW ist abgeschlagen. Das liegt auch am Preis der Fahrzeuge.
Wie sehen Sie die Zukunft des russischen Automarktes?
Russland ist einer der automobilen Wachstumsmärkte weltweit. Für 2006 rechnen wir mit 1,5 Mio. Pkw-Verkäufen in Russland. Bereits 2012 wird Russland die Zwei-Millionen-Grenze bei den PKW-Verkäufen überschreiten. Das Land hat 145 Millionen Einwohner, und auf 1000 Russen kommen heute nur 170 Pkw. Da ist Wachstum drin, und mit den Öl- und Gasexporten kann Russland sein Wachstum finanzieren.
Die russischen Hersteller - der größte ist AvtoVAZ - werden immer schwächer und sind in zehn Jahren von der Bildfläche als eigenständige Hersteller verschwunden. In Russland werden wir wie in jedem großen Automarkt viele Marken sehen.
Im letzten Jahrzehnt haben mehrere große Autokonzerne eigene Werke in Osteuropa gebaut. Welchen Nutzen haben dabei die Hersteller selbst und die Länder, in denen die Werke gebaut werden?
Um in diesen Ländern erfolgreich im Markt zu sein, braucht es Werke im Land. Die Präsenz der Marke steigt damit. Zum zweiten hat Ost-Europa wesentlich bessere Arbeitskosten als West-Europa. Drittens: Man muss weniger fürchten, dass man durch Handelshemmnisse blockiert wird. Jedes Land und jede Regierung hat die Neigung, heimische Produktion zu präferieren. Viertens: Man sichert seine Gewinne gegenüber Wechselkurs-Risiken ab.
Also: Es gibt wesentlich mehr Gründe, nach Russland zu gehen, als zu Hause zu bleiben. Aber man muss auch die Risiken sauber kalkulieren. Russland ist insbesondere bei Landkauf, Verträgen, Gebäudekauf sehr unsicher. In Russland sind viele Dinge völlig anders als bei uns. Da müssen Verträge über viele Bürokratien gemacht werden und die müssen wirklich völlig "wasserdicht" sein.
Sind Arbeitsplätze in Deutschland durch die VW-Expansion nach Russland gefährdet?
Kurzfristig nicht. Sollte aber das Werk in zehn Jahren gut funktionieren, werden in Russland gebaute VWs nach Deutschland rollen. Das kostet dann definitiv Arbeitsplätze in Deutschland.
Prof. Ferdinand Dudenhöffer ist Mitbegründer des "Center of Automotive Research" (CAR) an der Fachhochschule Gelsenkirchen, wo er auch lehrt. Außerdem ist er Geschäftsführer von "B & D Forecast", einem Forschungsinstitut für die Automobilwirtschaft.