Die EU will Putins Patriarchen bestrafen
4. Mai 2022Die Europäische Kommission schlägt Sanktionen gegen Vladimir Gundyaev vor. Vladimir wen? Spektakulär wird die Ankündigung durch die Erläuterung des Namens. Denn der 75-Jährige, dem die Drohung gilt, ist unter seinem geistlichen Namen weltbekannt. Kirill I. ist als Patriarch von Moskau Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche.
Angesichts seiner innigen Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, dessen Kurs er konsequent folgt und verteidigt, gehört der Kirchenvertreter zu einem Kreis von weiteren 58 Personen, die mit einem Einreiseverbot in die EU und dem Einfrieren von Vermögen auf westlichen Konten belegt werden sollen. So wie Oligarchen und wichtige politische Wegbegleiter Putins. Das würde zum Beispiel nun auch förmlich ausschließen, dass Kirill Ende August zur Vollversammlung des Weltkirchenrats nach Karlsruhe kommt.
Putins Patriarch
Patriarch und Präsident sind eng miteinander verbunden (das Titelbild zeigt eine Szene von 2017). Beide teilen die Geburtsstadt Leningrad, das heutige Sankt Petersburg. Dort lernte Putin in den 1970er-Jahren den sowjetischen Geheimdienst KGB kennen, Kirill - damals noch als Seminarist Gundyaew - die russische Orthodoxie. Mit nur 31 Jahren wurde der Geistliche Erzbischof.
Seit 2000 ist Putin Präsident (mit einer Unterbrechung von 2008 bis 2012). Nach dem Tod von Alexius II. wurde Kirill, der zuvor schon 20 Jahre das wichtige Außenamt des Patriarchats geleitet hatte, zum neuen Patriarchen von Moskau und der gesamten Russisch-Orthodoxen Kirche gewählt. Und hatte sein Vorgänger Alexius sich 2008 noch kritisch zum Georgienkrieg geäußert, so sucht man vergleichbare Stellungnahmen mit Blick auf Putins Eingreifen in Syrien und das zum Teil barbarische militärische Vorgehen russischer Truppen dort oder auf die aktuelle Aggression gegen die Ukraine vergebens. Im Gegenteil - schon Putins Syrieneinsatz würdigte Kirill als "heiligen Kampf".
Der Kirchenmann, der mit dem Staatsoberhaupt die Ablehnung liberaler Werte und die Verurteilung von Homosexualität teilt und eine "westliche, gottlose Zivilisation" beklagt, stimmte nach dem 24. Februar, dem Beginn der Invasion, frühzeitig ein in die Sprachwahl des Präsidenten. Kein Wort von Krieg oder Aggression, stattdessen spricht er nun erneut von einem "heiligen" Kampf. Auch nach dem Offenbarwerden von mehreren Massakern an der Zivilbevölkerung in der Ukraine gab es kein öffentliches kritisches Wort. Russland habe nie jemanden angegriffen, sondern verteidige nur seine Grenzen.
Staat und Kirche
Putin hat für seinen Patriarchen, dem einige kundige Köpfe übrigens auch eine KGB-Vergangenheit nachsagen, durchaus gesorgt. In Russland gibt es wieder schulischen Religionsunterricht. Die Einnahmen der Kirche sind steuerfrei. Immer wieder nimmt der Präsident an Gottesdiensten Kirills teil.
Orthodoxie-Expertinnen und Experten im Westen kritisierten schon rasch den Kurs und die Verantwortung des Patriarchen. Dagegen hielt sich Papst Franziskus, der als Oberhaupt der Kirche von Rom nach allgemeinem Verständnis auf einer Stufe mit dem Moskauer Patriarchen und dem griechisch-orthodoxen Patriarchen von Konstantinopel steht, lange Zeit mit jedem kritischen Wort zur Rolle Kirills zurück.
"Staatskleriker"
Erst in einem Interview der italienischen Tageszeitung "Corriere della Sera" an diesem Dienstag wurde Franziskus deutlich. Ein längeres Zitat verdeutlicht den Frust des Katholiken: "Ich habe mit Kirill 40 Minuten lang per Zoom gesprochen. In den ersten 20 Minuten las er mir alle Rechtfertigungen für den Krieg vor. Ich hörte zu und sagte: 'Ich verstehe das alles nicht. Bruder, wir sind keine Staatskleriker, wir können nicht die Sprache der Politik verwenden, sondern die von Jesus. Wir sind Hirten desselben heiligen Volkes Gottes. Deshalb müssen wir nach Wegen des Friedens suchen und das Feuer der Waffen einstellen. Der Patriarch darf nicht zum Messdiener Putins werden.'"
Und Franziskus erläuterte, er hätte eigentlich für den 14. Juni in Jerusalem ein Treffen mit Kirill vereinbart, das zweite nach einer Begegnung 2016 auf dem Flughafen von Havanna in Kuba. Aber daraus werde nun nichts. Er fürchte ein "zweideutiges Signal".
Nun also die von der EU-Kommission auf Vorschlag Litauens angeregten Sanktionen. Garantiert ist deren Umsetzung noch nicht. Vor einer Entscheidung auf Ministerebene beraten die bei der EU akkreditierten Botschafter der Mitgliedsstaaten.
Die Sperrung westlicher Konten könnte Kirill durchaus treffen. Immer wieder gab es in Russland Berichte über einen ausschweifenden Lebensstil und Gerüchte über eine Villa in der Schweiz. Dazu passte ein Foto, das ein User einst im Netz entdeckte: Es zeigte den Patriarchen mit einer Schweizer Luxusuhr für 30.000 Euro am Handgelenk.