Bestseller: Die kommentierte Edition "Hitler, Mein Kampf"
4. Januar 2017Die Kritische Edition von Adolf Hitlers antisemitischer Hetzschrift "Mein Kampf" ist inzwischen 85.000 Mal verkauft worden. Ende Januar kommt die mittlerweile 6. Auflage von "Hitler, Mein Kampf", wie die wissenschaftlich kommentierten Bände klugerweise heißen, in den Handel. "Damit konnte wirklich niemand rechnen", kommentiert Andreas Wirsching, Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZ), diese Entwicklung. Die Erstexemplare - zwei dicke Bände in schlichtem Grau mit roter Prägeschrift - waren vor einem Jahr, am 8. Januar 2016, der Weltöffentlichkeit präsentiert worden - mit einem enormen Medienecho in der ganzen Welt.
Das Wissenschaftlerteam des IfZ wollte damit dem unkommentierten Nachdruck des Original-Machwerks "Mein Kampf", das im Internet frei verkäuflich war, zuvorkommen, als am 31.12.2015 die Urheberrechte ausliefen. Diese lagen bis dahin beim Land Bayern, weil dort der Verlag in der Nazizeit angesiedelt war.
Die skeptischen Stimmen zu der Neuveröffentlichung waren dennoch zahlreich. Noch kurz vor der Veröffentlichung der kommentierten Ausgabe "Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition" warnte die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, vor der "Büchse der Pandora", die mit der legalen Verbreitung dieser antisemitischen Hetzschrift geöffnet würde.
Auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste
Dass sich die kritisch-kommentierte Ausgabe innerhalb eines Jahres 85.000 Mal verkaufen würde, hätte das renommierte Münchner Institut für Zeitgeschichte niemals geahnt. Kein Wunder also, dass IfZ-Direktor Andreas Wirsching immer noch erstaunt ist: "Diese Verkaufszahlen haben uns überrollt", sagt er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa.
Im April 2016 schafften es die beiden Bände sogar auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Und das, obwohl das inhaltlich extrem sperrige Werk, das mit Unmengen von wissenschaftlichen Anmerkungen versehen ist, keineswegs als Verkaufshit geplant war. Das Interesse, auch aus dem Ausland, war enorm: Wochenlang wurde ausführlich darüber in der internationalen Presse berichtet.
Wirsching selbst musste zahllose Interviews geben. Das Wissenschaftlerteam, unter der fachkundigen Leitung des versierten Historiker Christian Hartmann nahm an mehr als 70 Lesungen, Diskussionen und Symposien im In- und Ausland teil. Ob in Moskau, Wien, Warschau, Amsterdam oder Toronto - die Nachfragen, nach einer kritischen Einordnung des ambitionierten Forschungsprojektes rissen nicht ab.
Keine Propaganda von rechts
Projektleiter Hartmann und sein Team bekamen im November 2016 den mit 50.000 Euro dotierten Wissenschaftspreis "Gesellschaft braucht Wissenschaft" verliehen. Sie hätten mit ihrer Edition "eine große Lücke in der Erforschung über den Nationalsozialismus in Deutschland" geschlossen, hieß es in der Begründung der Jury. Das Ganze ist mühsamste Detailarbeit. Die Publikation analysiert akribisch die Falschaussagen in Hitlers Werk, zeigt ideologische Verdrehungen auf und hat gleichzeitig alle historischen Fehler bereinigt. Manche Kritiker merkten nach der Veröffentlichung an, das Buch bestünde mehr aus Anmerkungen als aus Text. Die ausführlichen wissenschaftlichen Fußnoten hatten die Historiker des IfZ als Teil der Geschichte angelegt und auch für Laien und interessierte Leser leicht verständlich geschrieben.
Hartmann muss derweil erst mal Pause machen; bis März ist er beurlaubt. Er und sein Team können sehr zufrieden sein mit der geleisteten Arbeit und dem durchschlagenden Erfolg dieser wissenschaftlichen Grundlagenarbeit. Sie haben dem Münchner Institut weltweit Anerkennung und gute Presseresonanz verschafft. In der Literaturbeilage der englischen "Times" war zu lesen: "Umfang und Preis der Neuausgabe von 'Mein Kampf' werden wohl dafür sorgen, dass sie in rassistischen und extrem nationalistischen Kreisen nicht zur Pflichtlektüre wird. Trotzdem war der Erstdruck in Höhe von 4000 Exemplaren innerhalb weniger Tage ausverkauft."
Im Institut für Zeitgeschichte ist man auch erleichtert, dass Befürchtungen, wie die von Charlotte Knobloch, nicht eingetreten sind. "Es gab keine Strafanzeigen gegen die kritische Edition des IfZ, keine Propaganda-Aktionen von rechter Seite und auch keine durchschlagenden Kampagnen rechtsgesinnter Verlage, unmittelbar nach Ablauf des Urheberrechts "Mein Kampf" auf den Markt zu bringen", heißt es in einer Pressemitteilung.
Verwendung auch im Geschichtsunterricht
Die kritisch-kommentierende Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf" soll in Zukunft Verwendung im Geschichtsunterricht finden. Die bayerische Landeszentrale für politische Bildung arbeitet an einer Handreichung, wie Auszüge daraus für Schüler genutzt werden können. Vorher werde der Landtag informiert, sagt ein Sprecher des Kultusministeriums in München: "Es geht darum, sensibel mit einer schwierigen und historisch sehr belastenden Quelle umzugehen."
Institutsdirektor Wirsching reagiert auf diese Idee eher zurückhaltend. "Ich habe persönlich ein etwas zwiespältiges Verhältnis zu dieser Frage", sagt er. "Es wäre absurd, in die Diskussion der 1950er Jahre zurückzufallen und zu sagen: Hitler war es. Ich warne vor einer zu starken Hitler-Zentrierung in der öffentlichen Diskussion, vor allem im Geschichtsunterricht."