Bestsellerautor Haruki Murakami wird 75
12. Januar 2024Es sind schräge Typen in schrägen Geschichten, porträtiert mit einer liebevollen Distanz zu den Figuren, es geht um Liebe, um Verluste und Verlassensein - und es geht sehr viel um Sex. Es wird geraucht und getrunken; wenn Musik gehört wird, ist es Rock oder Jazz. Und das kommt nicht von ungefähr: Haruki Murakami mag Musik, und einige seiner Romantitel haben im Japanischen die Titel berühmter Songs.
Ein Skandal machte Murakami zum Shootingstar
Obwohl Murakami bereits Ende der 1970er seinen ersten Roman veröffentlichte, wurden seine Bücher international erst viel später bekannt. In Deutschland geschah dies im Juni des Jahres 2000, als in einer Literatursendung, in der vier renommierte Literaturkritiker miteinander über neue Buchveröffentlichungen sprachen, eine bizarre Diskussion ausbrach.
Das "Literarische Quartett" war eine Kultsendung mit hohem Unterhaltungswert und ebenso hohen Einschaltquoten. Die graue Eminenz dieser Sendung, der Kritikerpapst Marcel Reich-Ranicki, stritt mit einer Kollegin, Sigrid Löffler, über Murakamis Buch "Gefährliche Geliebte" und löste damit einen waschechten Skandal aus. Die Sexszenen des Romans standen im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Sigrid Löffler nannte sie "sprachloses, kunstloses Gestammel" und bezeichnete das Buch als "literarisches Fastfood". Woraufhin ihr Gegenüber Marcel Reich-Ranicki sie als lustfeindlich beschimpfte.
Modernes Japanbild
Auch schlechte Werbung ist bekanntlich gute Reklame - "Gefährliche Geliebte" entwickelte sich quasi über Nacht zum Bestseller. Haruki Murakami, der wie kein anderer ein neues Bild vom normalen Leben im modernen Japan entwarf, in dem viel Wert auf die Zubereitung von Essen, auf Musik und nächtliche Ausgehkultur gelegt wird, wurde zum Kultautor. Viele seiner Bücher waren internationale Bestseller, wie etwa "Wilde Schafsjagd", "Naokos Lächeln" oder "Kafka am Strand".
Inzwischen mit vielen Auszeichnungen dekoriert, wird er seit Jahren von vielen Menschen als Favorit für den Literaturnobelpreis gehandelt. Ihm ist es wohl auch zu verdanken, dass japanische Gegenwartsliteratur weltweit populär geworden ist.
Zum Schreiben kam Murakami eher zufällig, wie er in seiner Autobiographie "Beruf Schriftsteller" erzählt. "Ich war in keiner Weise dazu ausgebildet, Romane zu schreiben. Ich war zwar für Film- und Theaterwissenschaften eingeschrieben, studierte aber - ganz zeitgemäß - so gut wie gar nicht, sondern ließ mir die Haare wachsen und einen Bart stehen und lief schmuddelig herum. Mit anderen Worten: "Ich gammelte."
Der erste Roman "Wenn der Wind singt" ist dem gammelnden Studenten 1979 gleich so gut gelungen, dass er dafür einen Nachwuchspreis der japanischen Literaturzeitschrift "Gunzo" erhielt. Das hatte Konsequenzen: "Ehe ich mich's versah, war ich Berufsschriftsteller. Ich muss mich selbst wundern, wie einfach das war. Viel zu einfach", schreibt er in seiner Autobiographie.
Vorliebe für englischsprachige Literatur
"Schreiben", so Murakami, der am 12. Januar 1949 als Sohn eines buddhistischen Priesters in Kyoto geboren wurde, liege irgendwo zwischen "langsamem Radfahren und schnellem Gehen", und sei deshalb für richtig intelligente Menschen, die gerne Ideen auf den Punkt formulierten, nicht geeignet. Mit Büchern hatte Murakami schon über seine Eltern Kontakt. Beide unterrichteten japanische Literatur und führten ihren Sohn schon früh an die Literatur heran. Seine Kindheit verbrachte Haruki Murakami in Kobe - einer Hafenstadt, in der auch amerikanische Soldaten stationiert waren, was dem Autor früh Zugang zu westlichen Autoren ermöglichte.
1968 beginnt Murakami sein Studium der Theaterwissenschaften an der Tokioter Waseda Universität. Dort lernte er auch seine Frau Yoko kennen, die er nach dem Studium 1971 heiratete. Parallel zum Studium arbeitete er in einem Plattenladen, in dem er seine große Vorliebe zur westlichen Musik entwickelte. Dieser Leidenschaft treu geblieben, betrieb Murakami in Tokio von 1974 bis 1982 eine eigene Jazz-Bar namens "Peter-Cat". Von 1991 bis 1995 arbeitete Murakami als Gastdozent in den USA; er übersetzte englischsprachige Romane z. B. von Raymond Chandler, John Irving, F. Scott Fitzgerald oder Truman Capote. 1995 kehrte er zurück nach Japan.
Einige seiner Bücher erschienen in Deutschland zunächst als kostengünstigere Sekundärübersetzungen, wurden also erst ins Englische und dann ins Deutsche übersetzt, was natürlich die Frage aufwirft, wie viel vom Original noch erhalten bleibt. Das hatte zur Folge, dass viele seiner Romane noch einmal neu übersetzt werden mussten.
So hat die Übersetzerin Ursula Gräfe einige seiner Bücher direkt aus dem Japanischen neu ins Deutsche übertragen; aus "Gefährliche Geliebte" wurde "Südlich der Grenze, westlich der Sonne", den Roman "Mr. Aufziehvogel" erhält man nun unter dem Titel "Die Chroniken des Aufziehvogels".
Garant für gute Verkaufszahlen
"Als Schriftsteller zu überleben, ist ein fast unmögliches Unterfangen", so Murakami. Viele Shootingstars seien sang- und klanglos wieder verschwunden. Dieses Schicksal droht ihm ganz sicher nicht, der in kleineren und in letzter Zeit auch größeren Abständen einen Roman nach dem anderen schreibt und auch weiterhin eine große Leserschaft begeistert.
Sein letzter zweiteiliger Roman "Die Ermordung des Commendatore" bekommt nun nach sechs Jahren einen Nachfolger. Pünktlich zu Murakamis 75. Geburtstag erscheint "Die Stadt und ihre ungewisse Mauer". Auf 640 Seiten tauchen Leserinnen und Leser wieder in die wohlbekannte Murakami-Welt ein - eine Welt aus Rätseln und Geheimnissen und flüchtigen Momenten, und wieder geht es um Melancholie, Liebe und Suche.
Obwohl der Bestseller-Status bei einem Murakami-Roman quasi programmiert ist, sind kritische Töne an seinem Werk in den vergangenen Jahren lauter geworden. Einige Rezensenten werfen ihm vor, bestenfalls Unterhaltungsliteratur zu produzieren, andere ätzen, er greife in schöner Regelmäßigkeit auf die gleichen Stilelemente zurück. Sie attestieren ihm einen gewissen Mangel an Originalität, wenn er wiederholt seine Protagonisten über Äußerlichkeiten wie ihren Kleidungsstil, ihre Vorliebe für exotische Gerichte oder erotische Rituale charakterisiert. Aber das ist wohl zum Teil Geschmackssache.
Murakami sagt, ihm sei es egal, ob ein Werk, an dem er gerade arbeitet, in die Literaturgeschichte eingeht. Ihm sei nur wichtig, es zu Ende zu bringen. "Ich will nicht sterben - zumindest bis ich diesen Roman fertig habe, will ich auf keinen Fall sterben."
Dieser Artikel wurde erstmals am 01.01.2019 veröffentlicht und anlässlich des 75. Geburtstags des Schriftstellers aktualisiert.