Besuch beim Putin-Porträtisten
12. September 2016Atemberaubend ist der Blick von der Dachterasse in der Brjusow-Gasse 17 in Moskaus historischer Altstadt. "Siehst du das gläserne Dach meiner Nachbarn? Dort sitzt Sobjanin, der Bürgermeister von Moskau", lächelt Nikas Safronow. Sein Lächeln verrät: "Man ist unter sich."
Wir gehen, ach was: Wir flanieren auf der großzügigen Dachterrasse eines sechsstöckigen Altbaus. Und genießen die russische Metropole von oben, im goldenen Abendlicht. Die mit Naturholz ausgelegte, mit Edelmetall umzäunte und mit grau gepolsterten Sitzgarnituren möblierte Terrasse mutet eher maritim-minimalistisch als russisch-rustikal an. Das Dach öffnet sich auf alle vier Seiten hin, auch zum Roten Platz.
"Aber Putin winkt Ihnen noch nicht, oder?" scherze ich und merke: Mein Gesprächspartner hat den Witz zwar registriert, aber mehr als ein gequältes Lächeln will er ihm nicht auf die Lippen zaubern: "Der sitzt etwas weiter." Bei Putin wird Nikas Safronow ernst.
"Putin macht Dinge, die sich vor ihm keiner getraut hat - außer Jesus Christus vielleicht. Vor Putin habe ich großen Respekt", gesteht der 60-jährige Künstler und lässt den Blick in eine Ecke wandern. Von dort lächelt uns friedlich der russische Staatschef zu, von einem Porträt, eingepackt in durchsichtige Folie. Ganz als wäre er mit der Antwort seines Malers zufrieden. Neben ihm das Bild eines sibirischen Tigers vor den Kirchen des Kreml - malerisch.
"Putin ist ein Gewinnertyp"
"Ich male Gesichter, die interessant sind. Niemand will beim Lotto die Verlierer sehen. Aber jeder will den Gewinner kennen lernen. Putin ist so einer: Ein Profi, ein Mann, ein Patriot. Einer, den ich interessant finde."
Nikas Safronow ist eine Legende unter den zeitgenössischen russischen Künstlern und mit dieser Meinung nicht allein. Im "goldenen" Viertel, zehn Gehminuten vom Kreml entfernt, rund um die so genannten Patriarchen-Teiche leben die Gewinner des neuen Russland. Menschen mit Geld, sehr viel Geld. Sie zahlen fürs Wohnen ähnlich hohe Preise wie in London oder Paris – wo viele von ihnen weitere Wohnungen besitzen. Hier in ihren Edelnestern innerhalb des Moskauer Gartenrings sind sie zu Hause. Lästigen U-Bahn-Geruch gibt es hier nicht. Stattdessen wird die Luft geschwängert von den Abgasen der wohl meisten Mercedes-S-Klasse-Limousinen pro Quadratmeter auf der Welt. Manche Oligarchengattin hat hier ihre Zweitwohnung und eine schicke Boutique dazu. Sie soll sich im wäldlichen Oligarchenviertel Rubljowka außerhalb des Gartenrings ja nicht langweilen.
Nikas Safronow kennt keine Langeweile. Aus bescheidenen Verhältnissen im provinziellen Uljanowsk kommend, hat er sich längst den Status eines der bekanntesten und reichsten russischen Künstler erarbeitet. Allen Wirren der 90er Jahre zum Trotz und dem Hunger der Russen nach allem Neuen in den satten 2000er Jahren sei Dank. Safronow genießt seinen Ruf: Ein Partylöwe, ein gern gesehener Gast, Liebling des Hochglanzpresse. Die Loren und den Gorbatschow, Bush Junior und Bill Clinton, sie alle hat er getroffen. Eine Ehrentafel mit Fotos schmückt sein Büro.
40 Millionen Dollar Wohn-Installation
Safronow wirkt erstaunlich jung, als er im Jeanshemd und mit langen Haaren ins Haus bittet: Eine neo-gotisch, sakral-ritterlich, düster-rustikal wirkende Raritätensammlung. Ein 800 Quadratmeter großes Schloss, hinein gebaut in einen schlichten konstruktivistischen Sowjetbau aus den 1920er Jahren. Ganz egal, wie man diesen Stil findet: Die angeblich vierzig Millionen US-Dollar teure Wohn-Installation lässt wohl niemanden gleichgültig. "Auf die Echtheit der Exponate lege ich wert" - betont Safronow, während er sich eine Rittermaske aus Blech über den Kopf stülpt.
Wozu er das braucht, möchte ich wissen: Den französischen Napoleon-Tisch, die römischen Fresken und die wertvollen russischen Ikonen? "Weil das gut hierhin passt." Und weil er sich das leisten könne. Geschmack hin oder her.
Nikas Safronow ist ein Held seiner Zeit. Er hat in der Umbruchphase in Russland die Gunst der Stunde genutzt. Er hat sich stets angepasst. Sein Stil? Eine Mischung aus allem. Er nennt das "Dream Vision". Das meiste Geld brachten wohl die Porträts. Arabische Könige, zentralasiatische Herrscher, russische Regionalfürsten. Männer mit Geld. Und Putin. Angeblich persönlich bekannt. Darüber möchte er aber nicht reden. Er sei nicht politisch, spricht aber dann doch über Politik. Leise, beiläufig, markant.
"Russland lebte immer nach eigenen Gesetzen"
"Der Westen benutzt Russland zur Abschreckung. Das ist aber falsch. Russland bleibt ein wichtiger Teil dieser Welt. Ohne Russland gibt es kein Deutschland, kein Polen und kein Europa. Die Welt kann ohne Russland nicht existieren. So wie die Welt auch nicht ohne Bienen existieren kann. Obwohl sie ab und zu mal stechen."
Die kommende Duma-Wahl? "Nicht von Bedeutung." Auf die Präsidentenwahl komme es an. Und die ist erst in zwei Jahren. Trotzdem: Safronow wird auch zur Duma-Wahl gehen. Damit der Westen endlich verstehe, dass Russland unbesiegbar sei. "Es wird weder kommunistisch werden noch europäisch. Russland lebte schon immer nach eigenen Gesetzen. Und ging seinen eigenen Weg."
Der Künstler entschuldigt sich. Oben am Dach warten Kinder. Ein Dutzend Jungen und Mädchen, die mit dem Meister zusammen zeichnen wollen. Den schönen sibirischen Tiger. Vor den Kirchen des Kreml.