Betriebe in Mexiko ignorieren Corona-Auflagen
29. April 2020Es sind verwackelte Amateurvideos mit dem Handy, der Ton ist leise oder rauscht - hastig gefilmt, damit der Sicherheitsdienst sie nicht entdeckt. Darauf zu sehen sind Gruppen demonstrierender Arbeiter der Fertigungsindustrie im Norden Mexikos. Sie werfen ihre Arbeitskittel Aufsehern vor die Füße oder begehren vor Fabriktoren dagegen auf, dass sie entweder unter Gesundheitsrisiken weiterarbeiten müssen oder ihren Job verlieren.
Bei Hyundai, Roger's, Carso, Safran, Hisense und Ontex in Tijuana kam es dem Journalisten Alfredo Alvarez zufolge in den vergangenen Tagen zu Protesten. Nach Angaben von Luis Hernández, dem Vorsitzenden des Verbandes der Fertigungs- und Exportindustrie in Baja California (Index), sind derzeit 60 Prozent der 1200 Zulieferbetriebe geschlossen. Konflikte habe es in etwa 20 Betrieben gegeben, "hauptsächlich durch Mitarbeiter, die die Pandemie als Gelegenheit für bezahlten Urlaub sehen" - so jedenfalls seine Sicht der Dinge im Interview mit der DW.
Eigentlich dürfen in Mexiko nur noch systemrelevante Betriebe arbeiten. Doch viele der Maquilas, die für den US-Markt produzieren, widersetzten sich der Anordnung und drohten den Arbeitern mit Entlassung, sollten diese nicht erscheinen, berichtet der Journalist Alvarez auf seiner Webiste. Die Folgen dieser Praxis sind fatal: 20 Todesfälle durch das Coronavirus in Maquilas wurden bislang publik - 13 davon alleine beim Autozulieferer Lear in Ciudad Juárez.
Der Gesundheitsdienst von Lear, der Recherchen der Los Angeles Times zufolge schon Ende März von COVID-19-Fällen Kenntnis hatte, speiste die Kranken mit Schmerzmitteln ab und schickte sie zurück ans Band. So nachlässig geht es offenbar in vielen Betrieben zu. In Tijuana bestätigte am Mittwoch ein Sprecher von Surgical Specialities zwei Todesfälle durch das Coronavirus in der Fertigungsfabrik für Medizinbedarf. Die Fabrik gilt als systemrelevant. Arbeiter beklagen aber, sie müssten in voller Besetzung arbeiten statt den amtlich verordneten 50 Prozent. Der Unternehmerverband Index hat seinen Mitgliedern die Installation von Fieberthermometern an Fabriktoren empfohlen - dem nachgekommen ist gerade einmal ein Betrieb.
Millionen Arbeitsplätze in Gefahr
Aber der Druck kommt nicht nur von den Arbeitgebern, sondern auch aus den USA. So twitterte der US-Botschafter in Mexiko, Christopher Landau, er werde alles in seiner Macht Stehende tun, um die Lieferketten aufrechtzuerhalten. Auch für Mexiko steht einiges auf dem Spiel: Sieben Millionen Arbeitsplätze und fast zwei Drittel der Exporte.
Was in der Pandemie essenziell ist, definieren beide Freihandelspartner derzeit anders. Mexiko zählt zu systemrelevanten Firmen vor allem Lebensmittel und Gesundheitsbedarf. In den USA gehört auch die Luftfahrt- und Rüstungsindustrie dazu. Und vieles liegt in einer Grauzone: Während sich die Leuchtmittelindustrie aus Sicherheitsgründen für unentbehrlich hält, ließ der Gouverneur von Baja California die Maquila der US-Firma Copper Lightning schließen. "Wenn sich Mexiko und die USA nicht einigen, werden die Lieferketten reißen. Das ist unsere Hauptsorge", sagte der Unternehmer-Vertreter Hernández der DW.
Wenig Nachsicht mit der Industrie zeigte zunächst der Gouverneur in Baja California, Jaime Bonilla. Immer wieder ließ der zur Regierungspartei Morena gehörende Politiker uneinsichtige Maquilas verriegeln - vermutlich auch deshalb, weil seine Hospitäler kurz vor dem Kollaps stehen. "Die Firmen wollen weiter Geld verdienen, auch wenn sie dabei ihre Arbeiter opfern", kritisierte er vor Journalisten. Baja California steht landesweit an dritter Stelle der Bundesstaaten mit den meisten Infizierten. 975 Menschen wurden positiv getestet, 133 starben am Virus. In den vergangenen zwei Tagen jedoch zeigte sich Bonilla plötzlich konzilianter. "In den USA sind die Fertigungsbetriebe weiter offen und operieren unter Auflagen, das beobachten wir genau."