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Beunruhigende Corona-Nachwirkungen

Alexander Busch
29. Mai 2020

Die Prognosen verheißen nichts Gutes: Lateinamerika steht vor den größten politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der vergangenen 50 Jahre - mit negativen Auswirkungen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

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Warteschlange an einer Suppenküche in Lima, Peru
Warteschlange an einer Suppenküche in LimaBild: picture-alliance/dpa/AP/M. Meja

Lateinamerika ist dabei, das nächste Corona-Epizentrum zu werden. Wie es heißt, könnte die Infektionsrate noch bis Juli zunehmen. Mit dem Höhepunkt der Zahl der Todesfälle wird etwa in Brasilien erst Anfang August gerechnet.

Dennoch sind jetzt schon einige Prognosen möglich, wie sich Lateinamerika durch die Krise verändern wird. So rutscht Lateinamerika derzeit in seine schwerste Rezession nach den Schuldenkrisen der 1980er-Jahre. Die Lage ist überraschend ähnlich. Heute wie damals steigen die Schulden der Staaten rasant - jetzt infolge der sozialen Maßnahmen aufgrund von Corona, damals für staatliche Investitionen.

Auch diesmal ist die globale Nachfrage nach Waren und Rohstoffen zurückgegangen. Damit sind die Einnahmen beim Verkauf von Rohöl, aber auch bei einigen Agrar- und Bergbauprodukten gesunken. Für Energie- und Rohstoffexporteure wie es viele südamerikanische Länder sind, ist das eine schlechte Kombination, weil dadurch ihre Zahlungsfähigkeit schrumpft.

Eine Frage des Geldes

Neue Schuldenkrisen werden unvermeidlich sein. Ecuador und Argentinien versuchen sie gerade mit Verhandlungen zu vermeiden. Wie Finanzinvestoren und internationale Banken auf eine regionale Verschuldungskrise reagieren werden, bleibt abzuwarten. Private Finanzinvestoren ziehen bereits jetzt ihr Kapital aus der Region ab. Als Investor könnte China jedoch die Gunst der Stunde nutzen und den nicht mehr kreditwürdigen Staaten Geld leihen, gegen Sicherheiten im Agrar-, Bergbau- und Energiesektor.

Frisch ausgehobene Gräber in Manaus, Brasilien
Frisch ausgehobene Gräber in ManausBild: picture-alliance/dpa/Prefeitura Manaus/Semcom/A. Pazuello

Auch die schwächelnden lateinamerikanischen Währungen verhindern die künftige Kreditaufnahme im Ausland. Zins und Tilgung in US-Dollar sind teuer geworden für alle, die keine eigenen Dollar-Einnahmen haben. Allerdings bringen die niedrigen Wechselkurse für Pesos und den Real auch Vorteile: Die Leistungsbilanzdefizite etwa werden schneller abgebaut, weil die Länder weniger importieren und Einfuhren auch gar nicht mehr finanzieren können.

Doch den Hauptvorteil einer schwachen Währung kann die Region kaum nutzen: Lateinamerika wird nach der Krise nicht automatisch zu einem wettbewerbsfähigen Standort, nur weil die Kosten gesunken sind. Das gilt vor allem für die Industrie. Wegen des technologischen Rückstandes und der künftig kürzeren globalen Wertschöpfungsketten dürfte Südamerika wieder zum reinen Rohstoffexporteur werden. Ob Zentralamerika und Mexiko von ihren schwächeren Währungen als Zulieferer der USA profitieren, bleibt abzuwarten. Das scheint aber angesichts der Abschottungspolitik im Norden wenig wahrscheinlich.

Stotternder Wachstumsmotor

Es ist zu erwarten, dass die staatliche Kontrolle der Wirtschaft zunehmen wird: durch höhere Steuern oder staatlich gestützte Unternehmen. Hohe Arbeitslosigkeit und wachsende Armut werden die Pro-Kopf-Einkommen und damit den Konsum schrumpfen lassen. Damit stottert - zusätzlich zu den schwindenden Rohstoffexporten - auch der entscheidende Wachstumsmotor Lateinamerikas: die Nachfrage der 630 Millionen Einwohner.

Für Investoren wird es dann weniger attraktiv, in die Produktion von Konsumgütern vor Ort zu investieren. Bis vor Kurzem waren die konsumfreudigen Lateinamerikaner immer noch der wichtigste Anreiz, um in der Region Fabriken zu errichten oder zu kaufen. Dieses Argument verliert nun an Zugkraft.

Gewaltsamer Protest in Santiago de Chile
Gewaltsamer Protest in Santiago de ChileBild: picture-alliance/dpa/F. Castillo

Und etliche Regierungen werden wohl der Versuchung nicht widerstehen können, ihre in der Coronakrise neu gewonnene Autorität beizubehalten oder gar auszubauen. Das lässt sich derzeit in allen Ländern beobachten. In Mexiko etwa begrüßt Präsident Andrés Manuel López Obrador die heilsamen Wirkungen von Corona, welche den übergroßen Einfluss der Unternehmen im Land reduziere. Gleichzeitig baut er - wie es auch in Argentinien oder Brasilien geschieht - die staatliche Kontrolle über die Wirtschaft aus.

Autoritärer Trend

Der Rechtsstaat und die Demokratie kommen aktuell in allen Staaten unter Druck, gleich welcher politischen Couleur die Regierungen sind. Die Unabhängigkeit der Justiz wird ausgehöhlt, die Medien gegängelt und die Legislativen angefeindet, wenn die Regierungen dort keine Mehrheit haben.

Der autoritäre Trend dürfte anhalten, weil neue sozialen Unruhen drohen - so wie in Chile, Ecuador, Kolumbien und Bolivien im vergangenen Jahr. Die Proteste dürften sich auch in der Post-Corona-Ära fortsetzen - möglicherweise mit noch größerer Härte, weil die sozialen Folgen der Krise heftig sein dürften.

Sollten die Demos gegen Ende des Jahres wieder aufflammen, würden viele lateinamerikanische Regierungen sicher nicht zögern, diese zu unterdrücken - mit dem Argument eines nationalen Notstands oder der schweren Krise. Die Regierungen haben zu Beginn der Corona-Pandemie gemerkt, dass autoritäre Führung bei einem großen Teil der Menschen in Krisenzeiten gut ankommt. Da ist es verlockend, auf die neuen Instrumente zu setzen.