Beunruhigung im Zirkel der Macht
19. Juli 2012Ein Angriff war erwartet worden. Anfang der Woche hatte Qassem Saad Eddin, der Sprecher der Freien Syrischen Armee, eine Offensive der bewaffneten Widerstandskräfte in Damaskus angekündigt. Die Regierungstruppen stellten sich auf Straßenkämpfe in mehreren Vierteln der syrischen Hauptstadt ein. Dass die Offensive aber mit einer regelrechten Geheimoperation beginnen würde, hatte niemand erwartet.
Und so konnte ein zu den Aufständischen übergelaufener Leibwächter offenbar ohne größere Probleme eine Bombe in einem Konferenzsaal in der Zentrale der Nationalen Sicherheitsbehörde deponieren. Als dort dann führende Vertreter von Assads Staatsschutz zusammentrafen, bediente er die Fernzündung. Die Explosion riss mehrere Repräsentanten des Regimes in den Tod – darunter Verteidigungsminister Daoud Rajha, dessen Vorgänger, den General und amtierenden Sekretär des Vizepräsidenten sowie Assads Schwager, den stellvertretenden Verteidigungsminister Assef Schaukat.
Der Aufstand trifft erstmals die Familie Assad
Dem Tod Schaukats messen Beobachter besondere Bedeutung zu. Der Ehemann von Bashar al-Assads Schwester Bushra wurde 2005 zum Direktor des militärischen Geheimdienstes ernannt. In dieser Zeit verhängten die USA und die Europäische Union Sanktionen gegen den Politiker. Sie werfen ihm ein besonders brutales Vorgehen gegen die Demonstranten vor. Zudem bringen die Vereinigten Staaten ihn mit dem Mord an dem libanesischen Premierminister Rafik Hariri im Februar 2005 in Verbindung.
Mit Schaukats Tod trifft der Aufstand zum ersten Mal auch die Assad-Familie selbst. Das Attentat, glaubt ein auf Anonymität bestehender Sprecher des Syrischen Nationalrats im Gespräch mit der Deutschen Welle, wird die Familie spalten. "Assads Schwester wird den Tod ihres Mannes nicht einfach hinnehmen. Sie wird ihren Bruder oder ein anderes Mitglied des Regimes dafür verantwortlich machen." Das, vermutet er, werde den inneren Zusammenhalt der bislang geschlossen auftretenden Familie schwächen.
Vertrauensschwund im Zirkel der Macht
Noch beunruhigender dürfte für Präsident Assad der Umstand sein, dass den Rebellen überhaupt ein Attentat von solcher Qualität gelang. Der Umstand, dass sie selbst in die schwer bewachte Sicherheitsbehörde vorzudringen vermochten, zeigt, wie weit ihre Verbindungen mittlerweile reichen. Das eng gesponnene Netz, das sie in den letzten Monaten gewoben haben, dürfte Assad am meisten verunsichern. Von nun an, so die Botschaft dieses Anschlags, ist kaum ein Ort mehr vor den Rebellen sicher. "Jetzt schwindet das Vertrauen selbst innerhalb der engsten Zirkel der Macht", schreibt die in London erscheinende Zeitung "Al Sharq al Ausat".
Das Attentat dürfte Signalwirkung haben, glaubt auch der Syrien-Experte Heiko Wimmen von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Schon der Rücktritt von Nawaf Fares, dem syrischen Botschafter im Irak habe viele Anhänger Assads verunsichert, erklärt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. Der Anschlag im Herzen des Regimes habe dessen Verwundbarkeit unübersehbar vor Augen geführt. "Viele Leute überlegen nun aus ganz nüchternem Kalkül, wann wohl der Punkt erreicht sein wird, an dem sie darüber nachdenken sollten, sich und ihre Interessen auf die Zeit nach Assad vorzubereiten." Andere hingegen gingen aus innerer Überzeugung auf Distanz zur Regierung. Darunter seien auch manche bereit, ihr eigenes Leben im Kampf gegen die Regierung zu opfern. "In diesem Zusammenhang muss man davon ausgehen, dass diese Personen auch ideologisch und religiös motiviert sind, dieses Mittel einzusetzen. Sie haben dann diese Disposition und sind daher zugänglich für Versuche der Opposition, sie für solche Aktionen zu gewinnen."
Militärs wechseln die Seite
Signalwirkung dürfte das Attentat aber auch in den Kreisen des Militärs haben. Man wisse von 160 führenden Militärs, die dem Regime bereits den Rücken gekehrt hätten, erklärt der anonyme Sprecher des Syrischen Nationalrats. Außerdem wisse man von rund 100 000 desertierten Soldaten. Besonders viele hätten nach dem Attentat die Seiten gewechselt. "Wir können noch keine genauen Zahlen nennen. Aber wir wissen, dass sich sehr viele Soldaten vom Regime abgewandt haben."
Offen ist, wie sich das Attentat auf die Kämpfe der kommenden Tage auswirken wird. Das Regime sei zwar schwer getroffen, erklärt der Sprecher des SNC. Doch ein finaler Schlag sei der Anschlag nicht gewesen. Tatsächlich demonstriert die Regierung derweil Entschlossenheit. Das Militär sei entschlossen, das Land endgültig von "kriminellen Banden" zu befreien, berichtet die amtliche syrische Nachrichtenagentur SANA. Entsprechend heftig wird in vielen Teilen des Landes gekämpft, mehr und mehr auch in Damaskus selbst.
Treue bis zum bitteren Ende
Heiko Wimmen von der Stiftung Wissenschaft und Politik schließt nicht aus, dass sich diese Kämpfe in den kommenden Tagen und Wochen verstärken könnten. Die Gewalt könnte dann immer stärker entlang ethnischer und konfessioneller Linien verlaufen. Vor allem die Alawiten, zu denen auch die Familie Assad gehört, fürchteten eine kollektive Bestrafung ihrer Religionsgemeinschaft. "Das heißt, dass wahrscheinlich eine Kerngruppe übrigbleiben wird, auch innerhalb der Streitkräfte, die diesem Regime bis zum bitteren Ende die Treue hält und dieses Ende könnte dann tatsächlich sehr bitter sein." Dass das Assad-Regime siegen könnte, davon sind dessen Verbündete Russland und China offenbar weiterhin überzeugt. Sie legten am Donnerstag (19.07.2012) abermals ihr Veto gegen eine Resolution des Sicherheitsrates ein.